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Nobelpreis für Chemie 2002: Knapp verpasst ist keinesweg verloren

In den vergangenen Wochen wurden die Namen der diesjährigen Nobelpreisträger bekannt gegeben. Die Namen der Nobelpreisträger für Chemie 2002 erfuhr ich am 9. Oktober aus dem Internet Ų in einer Pause im hektischen Geschehen um die Jahrestagung der DPhG in Berlin. Ich las, dass für die höchste wissenschaftliche Auszeichnung in diesem Jahr die Wissenschaftler Kurt Wüthrich, Koichi Tanaka und John Fenn ausgewählt worden waren. Und ich las, dass das Nobelpreiskomitee die Preise für neue Methoden zur Charakterisierung von Biomakromolekülen vergeben hatte.

Nun kenne ich mich mit Biomakromolekülen ein wenig aus, und so las ich weiter, dass man Kurt Wüthrich den Nobelpreis für Pionierarbeiten in der Kernresonanzspektroskopie zuerkannt hatte. Das war sicherlich in Ordnung, war es doch Wüthrich bereits im Jahre 1985 gelungen, die Struktur eines ganzen Proteins mit Hilfe der Kernresonanzspektroskopie (NMR) aufzuklären.

Weiter wurden Methoden zur Massenspektrometrie ausgezeichnet, wie ich weiter las und gleichzeitig stutzte. Klar, John Fenn hatte man für seine Entwicklung der Electrospray-Ionisations-Methode (ESI-MS) und deren erstmalige Anwendung auf Proteine geehrt. Aber wer war Koichi Tanaka, und was hatte er geleistet?

Vielleicht eine etwas überhebliche, arrogante Frage, die ich mir da stellte, verstehe ich doch sicherlich etwas von Proteinen, wahrscheinlich jedoch viel zu wenig von instrumenteller Proteinanalytik, um ein fundiertes Urteil abgeben zu können.

Nein, ich stutzte deshalb, weil mir jemand sehr gut bekannt ist, von dem ich weiß, dass er entscheidende Arbeiten durchgeführt und publiziert hat, durch die MS-Verfahren zu einer der unverzichtbaren Standardmethoden in dem boomenden Gebiet "Proteomics" avancierten. Diese so genannte MALDI-TOF-Analytik kennt heute jeder, der Bioanalytik an polaren Makromolekülen betreibt.

Was also war da ausgezeichnet worden, was Herr Tanaka erfunden hatte? Ein Blick in die "Advanced information on the Nobel Prize in Chemistry 2002" der Royal Swedish Academy of Sciences (http://www.kva.se) sollte Aufschluss geben.

Da liest man dann, dass Koichi Tanaka einen Durchbruch in der Soft Laser Desorptionsmethode (SLD) erzielt hatte, mit der es möglich war, intakte Proteine zu analysieren. Und zu meiner Freude und Beruhigung las ich da auch die Namen, die ich kannte – Michael Karas und Franz Hillenkamp. Die beiden letztgenannten sind die Erfinder der MALDI-MS, eine Methode der Massenspektrometrie, ohne die die dynamische Entwicklung der Life Sciences nicht mehr vorstellbar ist. Aber was war oder ist SLD? Vielleicht etwas zu einfach aber sicherlich nicht unzutreffend könnte man SLD als so etwas ähnliches wie MALDI bezeichnen. So etwa beschreibt es auch das Dokument der Royal Swedish Academy of Sciences. Während jedoch MALDI alle modern ausgebildeten Naturwissenschaftler, und somit auch alle Absolventinnen und Absolventen eines jüngeren Pharmaziestudiums, kennen, hat sich SLD überhaupt nicht durchsetzen können.

Was soll's, mag der ein oder andere Leser dieses Kommentars vielleicht sagen? Nun, nicht nur dem Kollegen und Freund Michael Karas wurde eine Ehre und Auszeichnung vorenthalten, die er sicherlich verdient hätte. Auch der Deutschen Pharmazie ist ein Preis entgangen, an dem der vermeintliche Preisträger, Michael Karas, der Pharmazie zweifelsohne einen ideellen Anteil gegönnt hätte. Professor Karas ist nämlich pharmazeutischer Hochschullehrer, C4-Professor am Institut für Pharmazeutische Chemie in Frankfurt und damit neben Professor Steinhilber einer der Nachfolger der bekannten pharmazeutischen Chemiker Professor Herbert Oelschläger und Professor Christian Noe.

Der Fachbereich Chemische und Pharmazeutische Wissenschaften der Goethe-Universität hat Professor Karas vor zwei Jahren auf diesen Lehrstuhl berufen, weil die Analytik zu den Kernkompetenzen eines jeden Pharmazeuten gehören sollte und weil er ein Ausnahmewissenschaftler ist, wie der Blick auf seinen wissenschaftlichen Werdegang und seine Leistungen sofort verrät. Offensichtlich erfährt die Entscheidung, Professor Karas nach Frankfurt zu berufen, eine nachträgliche Rechtfertigung – auch, wenn es nicht ganz zum Nobelpreis gereicht hat.

Für jemanden, der so knapp – und wie viele meinen ungerechterweise – eine so einmalige Auszeichnung verpasst hat, ist die Enttäuschung sicherlich groß. Wir können das nachfühlen, da wir uns schon auch gedanklich ausgemalt haben, was gewesen wäre, wenn aus der deutschen Pharmazie ein Nobelpreisträger hervorgegangen wäre. Schade, verdammt schade! Und dennoch meine ich – und so habe ich es auch auf der DPhG-Jahrestagung gesagt – kann die wissenschaftliche Pharmazie in Deutschland mit viel Optimismus in die Zukunft schauen.

Fast 1000 Teilnehmer haben die Jahrestagung der wissenschaftlichen pharmazeutischen Gesellschaft in Berlin besucht, so viele, wie nie zuvor. Und um Haaresbreite hätten wir den Tagungsteilnehmern und der gesamten pharmazeutischen Community einen Nobelpreisträger präsentieren können. Zwar nur fast, aber immerhin.

Als Präsident der DPhG möchte ich es jedenfalls nicht versäumen, im Namen aller Kolleginnen und Kollegen und sicherlich auch im Namen all derer, denen die Pharmazie etwas bedeutet, unserem Kollegen Professor Michael Karas ganz herzlich zu gratulieren.

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