Arzneimittel und Therapie

Nozebo-Effekt: Nebenwirkungen – reine Glaubensfrage?

Glaube versetzt bekanntlich Berge - auch in der Medizin. Schon das Vertrauen in ein Medikament kann unter Umständen zur Heilung eines Patienten führen, wie erfolgreiche Behandlungen mit Plazebos eindrucksvoll beweisen. Leider funktioniert dieses Phänomen auch in der umgekehrten Richtung: Allein die sichere Erwartung, dass eine unerwünschte Arzneimittelwirkung eintreten wird, kann diese tatsächlich herbeiführen - der so genannte Nozebo-Effekt. In einer Studie wurde versucht, diesem Phänomen systematisch zu begegnen.

1995 verursachten unerwünschte Arzneimittelwirkungen schätzungsweise Kosten in Höhe von 76,6 Billionen Dollar alleine in den USA. Zudem kam es aufgrund von Nebenwirkungen zu 17 Millionen Krankenhausbesuchen. Seit einiger Zeit erhärtet sich bei Wissenschaftlern der Verdacht, dass ein Teil dieser Nebenwirkungen hausgemacht sei. Eine Reihe von Patienten hat nach Meinung der Experten solche Angst vor den unangenehmen Begleiterscheinungen eines Medikaments, dass diese pessimistische Erwartungshaltung ausreicht, um tatsächlich Nebenwirkungen hervorzurufen. In Anlehnung an den positiv bewerteten Plazebo-Effekt wird das geschilderte negative Phänomen als Nozebo-Effekt bezeichnet.

Systematische Auswertung der wissenschaftlichen Literatur

Um die Tragweite des Nozebo-Effekts zu erfassen, wurden englischsprachige Artikel von 1966 bis hin zur Gegenwart mithilfe der MEDLINE database auf Schlagworte wie beispielsweise Unerwünschte Wirkungen, Nozebo und Plazebo durchsucht und anschließend ausgewertet. Es wurde eine gezielte Auswahl an Studien verwendet, die sich in Qualität und Methodik zum Teil jedoch zu sehr unterschieden, um einen standardisierten Vergleich anstellen zu können. Die hier beschriebene Literaturstudie ist somit als Überblick zu verstehen.

Negative Einstellung macht krank

Bei dem Versuch, die Ursachen für den Nozebo-Effekt zu klären, werden verschiedene Aspekte deutlich: Wartet der Patient förmlich auf eine Nebenwirkung, ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine unerwünschte Arzneimittelwirkung eintritt, deutlich erhöht. Der Betroffene ist versucht, die täglich auftretende Müdigkeit jetzt als unangenehme Begleiterscheinung zu werten. Insbesondere wenn der Patient zuvor über eine ganz bestimmte Nebenwirkung aufgeklärt wird, entwickelt er gerne gerade diese. In einer multizentrischen Studie zu Acetylsalicylsäure (Aspirin®) beispielsweise klärten nur zwei von drei Zentren die Probanden über die Möglichkeit von gastrointestinalen Beschwerden auf. Im Vergleich zum dritten, ahnungslosenentrum brachen sechsmal so viele Probanden wegen gastrointestinaler Beschwerden die Studie ab.

Ob jemand dazu neigt, dem Nozebo-Effekt zum Opfer zu fallen, hängt stark von der Persönlichkeit des Patienten ab: Bei ängstlich oder depressiv veranlagten Menschen äußern sich Nebenwirkungen häufig in Form von Atemnot, Tachykardie oder Schweißausbrüchen - alles auch Reaktionen auf Nervosität bzw. Angst. Schätzungsweise ein Drittel der Patienten, die unter Depressionen leiden, stellt aufgrund von Nebenwirkungen die Medikation schon während der ersten vier Wochen ein.

Die Erfahrung lehrt: Blaue Pillen machen müde

Eine weitere Möglichkeit, den Nozebo-Effekt auszulösen, können schlechte Erfahrungen sein, die der Betroffene in der Vergangenheit gemacht hat. Der Patient lernt es aufgrund der unangenehmen Erinnerung richtiggehend, schon auf neutrale Reize zu reagieren. So reicht es in einigen Fällen, Allergiker an einer Plastikrose riechen zu lassen, um eine Atemnot zu provozieren. Für manchen Asthmatiker ist der Anblick eines mit Staub gefüllten Glases Anlass genug, einen Asthmaanfall zu erleiden. Dass die Darreichungsform eines Medikamentes im Kopf des Patienten eine wichtige Rolle spielt, ist kein Geheimnis: Plazebos wirken nachgewiesen in Form einer Injektion besser als in Tablettengestalt. Dies lässt sich auf den Nozebo-Effekt übertragen: grüne und blaue Plazebo-Tabletten vermitteln beruhigende Wirkung - gleichzeitig rufen sie Benommenheit hervor. Rote, gelbe und orange Tabletten wirken in der Vorstellung dagegen eher anregend und suggerieren dementsprechende Nebenwirkungen.

Plazebo mit Nebenwirkungen?

Bei näherer Betrachtung der Studien zeigte sich, dass nahezu ein Viertel der Probanden, die Plazebos erhielten, über Nebenwirkungen klagte. Wurden die Studienteilnehmer konkret nach dem Auftreten von solchen unerwünschten Wirkungen befragt, erhöhte sich die Zahl sogar auf 27 bis 71 Prozent. In einigen Studien verspürte die Plazebo-Gruppe die unangenehmen Begleiterscheinungen in demselben Maße wie die Verum-Gruppe. Unter Kopfschmerzen litten die Teilnehmer der Plazebo-Gruppe zuweilen sogar vermehrt. Am häufigsten wurden eher unspezifische, alltägliche Symptome wie Übelkeit, Müdigkeit, Benommenheit und gastrointestinale Beschwerden genannt.

Wieweit der Nozebo-Effekt gehen kann, beweist die Framington-Studie, die sich über zwei Jahrzehnte hinweg mit Herzerkrankungen beschäftigte. Die Häufigkeit an Herzinfarkten war bei den Frauen, die sich für potenziell gefährdet hielten, viermal so hoch wie bei anderen, obgleich sie im Vergleich keine höheren Risikofaktoren aufwiesen. Bemerkenswert ist, dass der Nozebo-Effekt signifikant mehr Frauen als Männer zu betreffen scheint.

Was kann dem Nozebo-Effekt entgegengesetzt werden?

Stark ausgeprägte Nebenwirkungen können in der Praxis durchaus ein Grund dafür sein, die Medikation abzusetzen, zu ändern oder zusätzliche Medikamente zu verabreichen, um die Nebenwirkungen zu behandeln. In jedem Fall zieht dies höhere Arzneimittelkosten nach sich. Bevor die angesprochenen Maßnahmen ergriffen werden, sollte der Nozebo-Effekt als Ursache für die Beschwerden ausgeschlossen werden. Hier ist insbesondere der Apotheker in seiner Vertrauensposition als Fachmann gefordert.

  • Wirkt der Patient im Gespräch ängstlich und gibt er eher unklare, allgemein gehaltene Auskünfte bezüglich der Nebenwirkungen, lohnt es sich, noch einmal genauer nachzufragen. Ist sich der Apotheker daraufhin sicher, dass keine ernsthafte Nebenwirkung vorliegt, kann er den Patienten dementsprechend beruhigen. Oft reicht es schon aus, wenn der Betroffene begreift, dass seine Beschwerden nicht bedrohlich sind.
  • Hat der Patient in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit anderen Medikamenten gemacht, kann er bereits im Vorfeld durch Aufklärungsgespräche dafür sensibilisiert werden, was die Furcht vor neuen negativen Ereignissen bewirken kann. So ist der Patient in der Lage, seine Angst gezielt zu bekämpfen.
  • Hat der Apotheker den Verdacht, dass der Patient die unerwünschten Wirkungen als willkommene Ausrede verwendet, die Therapie abzubrechen, sollte er klären, ob der Patient eventuell der Diagnose misstraut. Vielleicht hat der Betroffene auch das Gefühl, zu viele verschiedene Tabletten schlucken zu müssen und fühlt sich damit überfordert. Hier helfen Dosierspender oder auch schriftlich fixierte Einnahmeschemata.
  • In manchen Fällen ist es hilfreich, das Medikament sozusagen in das Vertrauen des Patienten einzuschleichen. Ist die anfängliche Dosierung sehr niedrig, hat er die Chance, sich an das Arzneimittel zu gewöhnen physisch und psychisch.

In jedem Fall muss zuvor geklärt werden, dass den Nebenwirkungen keine ernsthaften Ursachen zu Grunde liegen.

Plazebo-Effekt: für die Studienauswertung ein Problem

Die Schmerzlinderung, die durch die Gabe eines Plazebos erreicht werden kann, ist in den meisten Fällen positiv zu bewerten. Es gibt jedoch auch negative Seiten: In einigen Studien ist die Behandlung schon in der Plazebo-Gruppe so erfolgreich, dass eine sehr hohe Anzahl an Teilnehmern erforderlich ist, um überhaupt noch eine signifikante Verbesserung durch das Verum erreichen zu können. Dies zeigt jedoch auch die dringende Notwendigkeit, ein Medikament in den klinischen Studien in einem Plazebo-Zweig zu prüfen: Zeigt schon das Plazebo derart hohe Erfolge, bestünde ansonsten die Gefahr, ein völlig unwirksames Medikament für gut zu befinden.

Literatur: Barsky, A. J., R. Saintfort, M. P. Rogers, J. F. Borus: Nonspecific Medication Side Effects and the Nozebo Phenomenon. J. Am. Med. Assoc. 287 (5) 622 627 (2002).

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