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Biochemie: Die Herbstfärbung der Laubbäume

Die herbstliche Färbung der Blätter unserer Bäume verzaubert jeden Betrachter. Es ist das ästhetische Aufbäumen der Natur vor der monotonen, winterlichen Pause. Die rote und gelbe Pracht ist ein Zeichen des Todes und des Überdauerns für wieder bessere Zeiten zugleich.

Das Sterben der Blätter

Eine Ulme kann 600 Jahre alt werden, ihre Blätter dagegen fallen jeden Herbst in einer Art kollektiven Absturzes innerhalb weniger Tage tot von den Zweigen. Während der synchronen Seneszenz der Blätter bringen die flammenden Farben der Kronen noch einmal die Seele zum Schwingen. Rein profan und durch die biochemische Brille betrachtet, konnte bisher kein wie auch immer gearteter biologischer Sinn der Herbstfärbung gefunden werden. So steht es im Lehrbuch. Der Freude des empfindsamen Menschen scheint also keine Sinnhaftigkeit innezuwohnen. Davon abgesehen ist es den Biochemikern bisher nicht gelungen, den Vorgang Verfärbung vollständig zu beschreiben.

Das Altern, Verfärben und Sterben der Blätter setzt ein mit einer sinkenden, photoperiodisch gesteuerten Atmungs- und Photosyntheseintensität. Ist die Zeit des Tageslichts kurz genug, setzt sie ein. Tiefe Temperaturen eines frühen Winters beschleunigen den Vorgang. Vor dem Herbst hemmen wahrscheinlich Cytokinine (Purinderivate) die Blattalterung. Wo sich Cytokinine konzentrieren, häufen sich die Assimilate (Nährstoffe). Wichtige Gegenspieler dieser pflanzlichen Hormone und wichtig für die Seneszenz sind die auch für den Blattfall verantwortliche Abscisinsäure (Sesquiterpenderivate) und vor allem Ethylen, das in anderem Zusammenhang (Obst) als Reifungshormon bezeichnet wird.

Retten, was zu retten ist

Die alternden Blätter sind für den Baum eine Quelle wertvoller Ionen und Aminosäuren, Proteine und Nucleinsäuren. Doch ihre Mobilisierung muss schnell gehen. Denn die farbigen Zwischenprodukte des Chlorophyllabbaus sind toxisch. In zwei bis drei Tagen ist aus einem grünen ein braunes Blatt geworden. Mit dem Laubfall entsorgt der Baum auch zahlreiche Gifte und nicht transportfähige Ionen wie das Ca2+, die sich im Lauf des Jahres irreversibel in den Blättern angereichert haben.

Die Farbstoffe der Blätter

Die Farben der Blätter setzen sich zusammen aus

  • dem Blattgrün (Chlorophyll) in den Chloroplasten,
  • den chymochromen oder Saftfarbstoffen in den Vakuolen der Zellen und
  • den Lipochromen in den Chloro- und Chromoplasten.

Die Saftfarbstoffe sind größtenteils wasserlösliche Anthocyane (griech. anthos = Blüte, kyanos = blau). Dies ist der Überbegriff für Anthocyanidine (Aglyka) und Anthocyanine (Glykoside). Ihr chemisches Grundgerüst ist das Flavan (2-Phenyl-chroman). Durch die Substitution von H-Atomen durch Hydroxylgruppen sowie durch deren Methylierung entstehen die verschiedenen Anthocyanidine wie Pelargonin, Cyanidin, Delphinidin, Päonidin, Petunidin und Malvidin, die ihre Namen meist nach bestimmten Pflanzen, in deren Blüten sie vorkommen, tragen.

Ihre Farbe ist teilweise pH-Wert-abhängig (dies ist vom Kohl bekannt, der sowohl Blaukraut als auch Rotkraut heißt; bei der Zubereitung mit Essig, wie sie in Norddeutschland üblich ist, geht das Blau in Rot über). In sehr alkalischem Milieu wird der zentrale Ring der Anthocyanidine aufgebrochen, und es entstehen Chalkone von gelber Farbe. Eine weitere abgeleitete Substanzgruppe sind die ebenfalls gelben Aurone (Tab. 1).

Lipochrome sind in erster Linie die lipophilen roten Carotinoide und die meist gelben Xanthophylle. Sie werden in den photosynthetisch inaktiven Chromoplasten gebildet, die durch Chlorophyllabbau entstehen. Das 1931 aus der Möhre Daucus carota isolierte Carotin gab der gesamten Stoffklasse der Carotinoide (über 70 Substanzen sind bekannt) den Namen. Sie sind Tetraterpene, haben also eine C40-Grundstruktur.

Die Xanthophylle sind Derivate der Carotinoide, die durch Zyklisierung entstehen. Entscheidend ist dabei die Anlagerung von Sauerstoff. Und sehr wahrscheinlich bildet das Xanthophyll Violaxanthin die Ausgangsverbindung für die Synthese der Abscisinsäure. Damit schließt sich der Kreis der an der Laubfärbung Beteiligten.

Die Abbauprodukte

Die Synthese der leuchtend roten Anthocyane wird als Nebenprodukt des auf hohen Touren laufenden "klimakterischen" Stoffwechsels angesehen. So wie der Hamster für den Winter Vorrat schafft, so rettet die Ulme ihre wertvollen Kohlenhydrate, Aminosäuren und Ionen, deren Aufnahme Energie kostet und die im Frühjahr noch vor Beginn der Photosynthese dringend gebraucht werden, vor dem durch den Laubfall drohenden Verlust und transportiert sie in die Speicherparenchyme in Stamm und Wurzel. Das erfordert die schnelle und effektive Zerlegung der Proteine, Nucleinsäuren und Porphyrine. Da die Carotinoide nur aus den hier weniger wertvollen Elementen C, H und O bestehen, werden sie kaum oder nur unvollständig abgebaut.

Mit dem Katabolismus der Chlorophylle kommt ihre leuchtend gelbe Farbe zum Vorschein. Er ist kompliziert und nicht ganz verstanden. Richter gibt als primäre Abbauprodukte Chlorophyllid – das ist der nackte Porphyrinring des Chlorophylls ohne den Phytolschwanz – und das Phäophytin – den magnesiumfreien Primärakzeptor des Photosystems II – an. Zu den vielen Kataboliten zählen so genannte Rostpigmente, die in den Vakuolen seneszenter Mesophyllzellen akkumulieren, z. B. Bilinon, das Kaliumsalz von 1-Formyl-19-Oxobilan.

Auch die Regulation der Assimilatströme ist bis heute nicht aufgeklärt. Beim Austreiben im Frühjahr schicken die Speicherorgane ihre Inhaltsstoffe in die frischen Blattknospen. Im Herbst ist es umgekehrt, dann fließt alles in die andere Richtung. Das System ist hormonell gesteuert. Vermutlich werden die Gene, die für Produktion, Transport und Weiterverarbeitung der organischen Moleküle zuständig sind, vom Zuckergehalt des Cytoplasmas reguliert: Eine hohe Zuckerkonzentration unterdrückt die Photosyntheseenzyme und stimuliert die Produktion der an der Bildung von Speicherstoffen beteiligten Enzyme.

Dieses System zu verstehen, ist vor allem für die Nutzpflanzenforschung von großem Interesse. So wird zum Beispiel am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm bei Potsdam gezielt darauf hingearbeitet, den Trockenmassegehalt der Kartoffelknolle durch verstärkten Phloemtransport weiter zu erhöhen.

Der Indianersommer

Anthocyane sorgen für den berühmten Indianersommer (Indian Summer) im Osten Nordamerikas. Die Farbstoffe haben einen eigenen Zweig der Tourismusindustrie geschaffen. Jeden Herbst ziehen Scharen farbhungriger Touristen in die Wälder Neuenglands, um sich an der besonders intensiven Farbenpracht zu erfreuen. Es werden sogar Herbstlaubvorhersagen ausgegeben, damit die schnell vergehenden Naturwunder nicht verpasst werden. Hohe Lichtflüsse und ebenfalls hohe Tagestemperaturen sind dafür verantwortlich. Der Indian Summer entspricht insofern unserem Altweibersommer.

Allerdings haben sich die Baumarten Neuenglands (Tab. 2) auch auf das besondere Klima eingestellt. Da es keine Gebirgsbarrieren gibt, die das Gebiet vor dem Einfall der kalten Witterung aus dem kanadischen Polargebiet schützen, kommt es zum schnellen Wechsel von sonnenreichen, warmen Herbsttagen zu eisigen Wintertagen. Die Bäume, die fähig waren, die Blattalterung möglichst lange hinauszuzögern, um sie dann sehr schnell ablaufen zu lassen, besaßen einen Selektionsvorteil. Sie konnten sehr lange Photosynthese betreiben und dennoch ihre wertvollen chemischen Güter vor dem hereinbrechenden Winter in Sicherheit bringen, bevor die Blätter erfroren und abfielen.

Diese sehr rasche Blattalterung erfordert eine hohe klimakterische Stoffwechselaktivität. Damit einher geht die starke Synthese von Anthocyanen. Das flammende Rot macht den Indian Summer so bezaubernd.

Kasten: Zahlen

Vom Polarbereich kommend, rast die Welle der Verfärbungen in Westeuropa mit 60 bis 70 km/Tag nach Süden. Weltweit werden jährlich 300 Millionen Tonnen Chlorophyll ab- und wieder aufgebaut. In den Ozeanen kommen noch einmal 900 Mio. Tonnen durch kurzlebige Algen hinzu. 200 Mio. Tonnen Carotinoide werden jährlich zu farblosen Verbindungen abgebaut.

Kasten: Wintervorrat

Wichtige Elemente, die die Pflanzen im Winter speichern und großenteils den Blättern vor dem Laubfall entziehen, sind Stickstoff, Schwefel, Magnesium, Eisen, Phosphor, Kalium und Mangan.

Kasten: Farben als Namengeber chemischer Substanzen

  • blau, griech. kyanos: Cyan..., ...cyan
  • gelb, lat. flavus: Flavan, Flavon
  • gelb, blond, griech. xanthos: Xantho...
  • hellgrün, griech. chloros: Chlor, Chloro...
  • rot, lat. ruber: Rubin, ...rubin
  • dunkelgrau, griech. phaios: Phäo...

    Kasten: Herbst im Internet

    Farbenpracht "Indian Summer" www.das-fotoarchiv.com/angebote/indian/d_indian.htm Alles Notwendige für einen Urlaub in der "blazing glory" Newenglands: gonewengland.miningco.com

    Literatur

    Schopfer und Brennicke: Pflanzenphysiologie, 5. Auflage. Springer, Berlin 1999. Sitte et al.: "Strasburger", 35. Auflage. Spektrum, Heidelberg 2002. von Denffer et al.: "Strasburger", 31. Auflage. Gustav Fischer, Stuttgart 1978. Richter: Stoffwechselphysiologie der Pflanzen, 6. Auflage. Thieme, Stuttgart 1997.

  • Noch während seine Blätter absterben, entnimmt der Baum ihnen wichtige organische Moleküle und Ionen, um sie in seinem Stamm zu speichern und im nächsten Frühjahr wieder zu verwenden. Der Mobilisierung dieser Substanzen geht der Abbau komplexer Moleküle im Blatt voraus. Dieser Katabolismus ist die Ursache für das Schauspiel der Herbstlaubfärbung. Die Farben sind rein zufällig und haben keinen biologischen Sinn. 

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