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Apothekerverband Mecklenburg-Vorpommern: Versandhandel in Theorie und Praxis

WARNEMÜNDE (tmb). Das größte Reizwort für Apotheker dürfte derzeit der Versandhandel sein. Argumente gegen den Arzneimittelversand bietet ein internationaler Vergleich, der beim Wirtschaftsseminar des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern am 25. September in Warnemünde präsentiert wurde. Außerdem wurde dort ein Einblick in die Geschäftsmodelle und die Denkweise von Versandhändlern vermittelt, aus denen möglicherweise Strategien gegen den Versand abgeleitet werden können.

Dr. Eckart Bauer, ABDA, untersuchte die Folgen des Arzneimittelversandhandels in den Ländern, in denen diese Vertriebsform praktiziert wird. Innerhalb der EU ist Arzneimittelversand in Großbritannien, den Niederlanden und mit Einschränkungen in Dänemark zulässig. In Südschweden ist ein Modellversuch der staatlichen Apothekenmonopolgesellschaft vorgesehen. In der Untersuchung von Bauer wird die Situation in Deutschland mit den Versandhandelsländern Niederlande, Schweiz und USA verglichen. In diesen drei Ländern sind die Arzneimittelausgaben seit 1996 deutlich stärker als in Deutschland gestiegen. In der Schweiz und den USA sind auch die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel deutlich höher als in Deutschland.

In den Niederlanden und der Schweiz werden weniger als 0,5% bzw. weniger als 1% der Arzneimittel per Versand gehandelt. Von einer boomenden Entwicklung könne daher nicht gesprochen werden. In den USA liegt der Umsatzanteil bei 13 bis 15%, wobei dieses Marktsegment schon lange etabliert und durch das Internet nicht wesentlich gewachsen ist.

Sonderfall USA

Neben der teilweise dünnen Besiedlung liegt dies insbesondere in der aus europäischer Sicht ungewöhnlichen Struktur der dortigen Arzneimittelversorgung begründet. Dort haben die Versicherten oft keine freie Apothekenwahl, oder diese wird durch differenzierte Zuzahlungsregelungen gesteuert. Zudem bestehen dort zum Teil drastische Preisunterschiede zwischen den Apotheken. Im harten Wettbewerb zwischen Versicherern und Apotheken werden vergleichsweise niedrige Preise ausgehandelt, die als Geschäftsgeheimnisse nicht transparent sind. Die Apotheken müssen ihre Deckungsbeiträge in der Akutversorgung und bei Privatkunden erwirtschaften. Die Kunden müssen daraufhin hohe Preise zahlen und häufig mühsame Preisvergleiche anstellen. Mittlerweile würden Staatsanwaltschaften sogar wegen Wucherei im Notdienst ermitteln.

Abgeltungssysteme in Europa

Für den innereuropäischen Vergleich sind die unterschiedlichen Regelungen zur Apothekenentgeltung interessant. Die deutsche Arzneimittelpreisverordnung mit ihrer degressiven Spanne führt derzeit zu einem durchschnittlichen Rohertrag von 5,30 Euro pro Packung. In den Niederlanden erhalten die Apotheken dagegen ein Fixentgelt von 6 Euro pro Packung. Im Durchschnitt arbeiten die deutschen Apotheken damit günstiger, was für die Krankenkassen wichtiger sein sollte als die Betrachtung einzelner Packungen in bestimmten Preisbereichen.

Das Entgelt der schweizerischen Apotheken setzt sich seit der Einführung der Leistungsorientierten Abgeltung (LOA) im Juli 2001 aus einer Handelsmarge von 15% und verschiedenen Fixzuschlägen zusammen. Für etwa 95% aller Packungen ergeben sich so höhere Aufschläge als in Deutschland. Erst ab einem Herstellerabgabepreis von 63,53 Euro ist der schweizerische Aufschlag geringer. So betrug im Jahr 2001 der Vertriebskostenanteil in der Schweiz 36,4% der Arzneimittelpreise, bei den deutschen GKV-Umsätzen dagegen nur 27,9%. Das schweizerische Entgeltsystem wäre demnach für deutsche Apotheken ein durchaus günstiges Angebot.

Der Versandhandel in der Schweiz und den USA ist streng national organisiert. Eine solche Abschottung ist innerhalb der EU nicht vorstellbar. In den Niederlanden ist der Versand dagegen primär auf den Export angelegt und spielt im Land fast keine Rolle. So sind die Ergebnisse des Vergleichs nur eingeschränkt aussagekräftig für einen potenziellen Versand in Deutschland, der wesentlich durch Import bestimmt würde.

Doch bietet keines der Vergleichsländer eine in allen Aspekten bessere oder gar preisgünstigere Arzneimittelversorgung. Es lasse sich damit keinerlei Aussicht ableiten, mit dem Versand Geld zu sparen. Stattdessen bestehe die Gefahr, das bewährte System zu zerstören. Für die Apotheker biete die Untersuchung immerhin die Erkenntnis, dass auch in Ländern mit Versandhandel weiterhin herkömmliche Apotheken bestehen bleiben, tendenziell jedoch weniger Apotheken pro Einwohner als in Deutschland.

Wie Versandhandel in der Praxis funktioniert

Wie ein Versandhandel in der Praxis arbeitet, stellte Martin Kampffmeyer, Kiel, Vorstand der Lenscare AG, dar. Die Firma Lenscare ist der größte Versandhändler für Kontaktlinsen in Europa. Für Kampffmeyer ist der Kunde entscheidend, der eigenverantwortlich den Vertriebsweg auswählt. Die Kunden seien der Motor der Entwicklung, ohne sie gäbe es keinen Versandhandel. So waren seine Ausführungen von den Erfahrungen eines weitgehend unregulierten Marktes geprägt und gingen nicht auf das Problem einer möglichen Steuerung durch die Krankenversicherung ein.

Dennoch vermittelte er bemerkenswerte Einsichten in die Funktionsweise von Versandhandelsstrategien. Demnach bringt das Internet erfahrungsgemäß kaum neue Kunden, es spart vornehmlich Kosten beim Bestellablauf. Um neue Kunden zu gewinnen, sei Werbung außerhalb des Internets nötig. Kostenlose Publicity wie die umfangreiche Berichterstattung im Fall DocMorris sei damit sehr vorteilhaft für den Versandhandel. Ansonsten bleibe nur der teure Kauf von Adressen. So würden gute Adressen für bis zu 150 DM pro Adresse gehandelt.

Typischerweise erreiche der Versandhandel meist einen Marktanteil von etwa 10%, mehr sei kaum zu realisieren. Diese seien in städtischen und ländlichen Regionen gleichmäßig verteilt. Gerade bei Singlehaushalten in der Stadt sei eine zunehmende Abschottung zu verzeichnen, die in der Soziologie als Cocooning beschrieben wird. Dies fördere den Einkauf von zu Hause aus. Rücksendungsquoten von bis zu 50% bei Nichtgefallen seien dabei durchaus normal.

Versandhandel müsse keineswegs billiger als normaler Einzelhandel sein, sondern nur ein solches Image aufbauen. Die typischen Kunden hätten zudem eher ein überdurchschnittlich hohes Einkommen. Versandhändler wenden teilweise sehr große Mühe auf, um detaillierte Daten über ihre Kunden zu erfahren, was weitaus schwieriger als in einer persönlichen Beziehung zum Kunden sei. Daraufhin machen sie gezielt Angebote für andere Produkte, d. h. für das Cross-Selling. Außerdem kooperieren Versandhändler häufig über die Branchen hinweg.

Versandhandel lebt von hohen Spannen

Der Arzneimittelmarkt sei aus der Perspektive typischer Versandhändler eher wenig interessant, weil die Spannen sehr niedrig sind. Im Versandhandel sollte der Wareneinsatz typischerweise unter 40% des Preises betragen. Das Marketing sei sehr wichtig und koste ein Viertel bis ein Drittel des Umsatzes. Als Gewinn werde oft ein Viertel des Umsatzes kalkuliert. Der Arzneimittelmarkt sei damit für Versandhändler nur attraktiv, wenn deutlich geringere Marketingkosten als in dieser Kalkulation anfallen. Dies sei beispielsweise durch eine Kooperation mit Krankenkassen zu erreichen, die bereits über die wertvollen Adressen verfügen.

Als mögliche Strategien gegen DocMorris empfahl Kampffmeyer den Apothekern beispielsweise, Kooperationen mit Herstellern oder Krankenkassen einzugehen oder einen eigenen Versandhandel aufzubauen, möglicherweise im Ausland. Denn erfahrungsgemäß seien die erfolgreichsten Handelsunternehmen Hybridhändler, d. h. sie betreiben sowohl Versandhandel als auch klassischen Einzelhandel. Letztlich entscheidend sei aber, auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen.

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