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Wahrlich sehr aufschlussreich das war er allemal, jener Blick, den Regine Siedenburg hinter die Kulissen von DocMorris werfen konnte (siehe DAZ 39 [2002] S. 81ff). Dass sie es konnte, hat mehrere Gründe. Sicher spielte dabei eine Rolle, dass die Kollegin Siedenburg zwar Deutsche ist und in Deutschland Pharmazie studiert hat, dass sie aber zugleich seit vielen Jahren die niederländische Pharmazie von innen kennt auch wenn sie ihre niederländische Apotheke inzwischen verkauft hat. Sie lebt aber weiter in den Niederlanden, im schicken Wassenaar. Ihr niederländischer Kollege Jack Waterval, ursprünglich Mitbegründer von DocMorris, gab ihr bereitwillig Auskunft bei einem Kopje Koffie rutschte ihm auch die eine oder andere Information heraus, die sonst wohl nicht so einfach von ihm zu haben gewesen wäre. Waterval fungiert heute zwar nur noch als Teilzeit-Berater von DocMorris; er ist aber immer noch so etwas wie die Gallionsfigur der niederländischen Versandapotheke.

DocMorris, so Waterval, hat 2001 einen Umsatz von 5 Mio. Euro gemacht also etwa so viel wie vier durchschnittliche deutsche Apotheken. Man wachse derzeit um 5% je Woche. Nach mächtigen Investitionen in den Jahren 2000 und 2001 rechne man damit, Ende 2002 den break-even-pointu erreichen bei einem Umsatz von dann 20 Mio. Euro. Das sei dann 0,2% des deutschen Arzneimittelmarktes, meint Waterval ein kleiner Rechenfehler: es wären dann gut 0,07%, denn der deutsche Arzneimittelmarkt liegt nicht bei 10 Mrd. Euro (was sich aus 0,2% Marktanteil ergäbe), sondern bei gut 27 Mrd. Euro. 0,07% Marktanteil: ist das viel oder doch eher wenig nach den 1,3 Mrd. Publikumskontakten in deutschen Medien, die ein geschicktes Marketing DocMorris eingebracht hat?

Auf jeden der 5 Apotheker, die derzeit für DocMorris tätig sind, kommen 15 andere Mitarbeiter. Da können die Niederländer nur hoffen, dass die deutschen Patienten, die bei ihnen bestellen, ernst zu nehmende Fragen weiterhin hauptsächlich bei ihrem Apotheker um die Ecke loswerden. Denn bei solch einer Personalstruktur wird nicht zu verhindern sein, dass hochgestochene pharmazeutische Qualitätsansprüche weitgehend Luftbuchungen bleiben.

Auch sonst setzt DocMorris offensichtlich auf eine freundliche Arbeitsteilung mit den deutschen Apotheken eine Arbeitsteilung, bei denen Erträge und Kosten jeweils unproportional verteilt werden: die deutsche Apotheke um die Ecke soll ruhig liefern, was billig ist und schnell benötigt wird; die niederländischen Versender hingegen möchten neben teuren Lifestyle-Arzneimitteln (Pille, Viagra, Propecia etc.) gern weiterhin und sogar verstärkt die hochwertigen Rezepte von chronisch Kranken auf sich konzentrieren. Das hat in der Tat einen doppelten Vorteil: dort stecken die hohen Deckungsbeiträge, und man kann sich mit der Belieferung Zeit lassen nach Eintreffen der Rezepte brauchen die Niederländer nach eigener Aussage 2 bis 3 Tage, im ungünstigsten Fall eine Woche. Auch diese Angaben sind noch geschönt: Uns sind Fälle wie der bekannt, wo der Versicherte mehr als vier Wochen auf ein Antibiotikum warten musste obwohl der zu zahlende Betrag schon nach drei Wochen von seinem Konto abgebucht worden war.

Gleichwohl scheint das Rezept von DocMorris wenn man von den aufgelaufenen Defiziten absieht bisher weitgehend aufgegangen zu sein. 490 von rund 520 deutschen Krankenkassen akzeptieren angeblich die Abrechnungen des holländischen Arzneiversenders. Dass dieser Arzneiversender recht locker mit Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher umgeht, scheint deutsche Krankenkassen wenig zu stören. Bei den Lifestyle- und OTC-Arzneimitteln, die Patienten oft zusätzlich zu den auf Rezept verordneten Arzneimitteln bestellen, greift DocMorris wie Waterval gegenüber Frau Siedenburg einräumte auf günstig einzukaufende holländische Ware zurück, die in Deutschland so nicht verkehrsfähig wäre. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Der niederländisch beschrifteten Packung wird nur eine knappe Patienteninformation in deutscher Sprache beigefügt; sie entspricht nicht dem, was in Deutschland als eine der Voraussetzungen für die Verkehrsfähigkeit vorgeschrieben ist. Die deutschen Behörden schweigen dazu immer noch. Diese Relativierung von Bestimmungen, die ihren Sinn im Verbraucherschutz haben, ist skandalös. Denn wenn eine deutsche Apotheke eine solche Packung in den Verkehr brächte, drohen ihr harte Strafen; im Wiederholungsfall würde sie ihre Betriebserlaubnis verlieren.

Ähnliches gilt auch für die Tatsache, dass die Niederländer geduldet von ihren Komplizen in deutschen Krankenkassen tun, was jedem deutschen Apotheker aufgrund des Sozialgesetzbuches verboten ist: die holländischen Versender verzichten auf die Rezeptgebühr, die jeder deutsche Apotheker nach § 31 SGV für die Krankenkassen einbehalten muss. Nach holländischem Recht sei man dazu nicht verpflichtet so die Begründung. Deutsche Behörden nehmen auch dies bislang hin. Steht dahinter die resignative Einsicht, man könne gegen Gesetzesverstöße, die jenseits unserer Grenzen passieren, ohnehin nichts machen auch wenn sie zu eklatanten Wettbewerbsverzerrungen, letztlich auch zur Aushöhlung des nationalen Sozial-, Arzneimittel- und Verbraucherschutzrechtes führen? Wenn unsere Behörden so dächten, hätte das fatale Konsequenzen, die weit über die Rezeptgebühr hinausreichen. Noch schlimmer wäre, wenn man die Rechtsverstöße kühl kalkulierend hinnimmt, weil man sich bewusst ist, dass der Verzicht auf die Rezeptgebühr letztlich so ziemlich das einzige Motiv für den Versicherten ist, die Unbequemlichkeiten einer Bestellung beim Versender auf sich zu nehmen.

DocMorris hat, wie Waterval erzählte, etwa 10 000 Arzneimittelpackungen auf Lager eine Größenordnung, auf die auch normale deutsche Apotheken kommen. Deutsche Politiker kündigen an, man wolle auch die ausländischen Versender verpflichten, jedes bestellte Arzneimittel zu liefern. Rosinenpickerei wolle man nicht hinnehmen. Diese vollmundigen Verlautbarungen laufen ins Leere. Denn natürlich kommt kein Versicherter auf die Idee, akut benötigte (und tendenziell eher niedrigpreisige) Arzneimittel per Versand zu ordern; da geht er ganz von selbst in seine Apotheke um die Ecke. Er wird allenfalls die (tendenziell eher hochpreisigen) Arzneimittel zur Behandlung chronischer Krankheiten in der Versandapotheke bestellen. Mit der Verpflichtung, ein Vollsortiment zu listen, lässt sich die für die wohnortnahen Apotheken gefährliche Rosinenpickerei von Versandapotheken also nicht verhindern. Ist das so schwer einzusehen?

Klaus G. Brauer

Hinter den Kulissen: Biedermänner, Seilschaften, Geschäftemacher

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