Reportage

R. SiedenburgMein Besuch bei DocMorris (Reportage ü

Über die Apotheke DocMorris, die sich in einem eher nüchternem Gewerbegebiet in Landgraaf dicht bei der niederländisch-deutschen Grenze niedergelassen hat, wurde in deutschen Medien schon viel geschrieben und berichtet. Durch ihr ehrgeiziges Streben, den Versandhandel in Deutschland etablieren und dabei auch noch Geld verdienen zu wollen, rief sie bereits viel Aufmerksamkeit hervor in den Medien, bei Apothekern, Krankenkassen und Gesundheitspolitikern. Der nachfolgende, leicht subjektive Bericht ist aufgrund eines Besuchs bei DocMorris entstanden. Ziel war es, Zahlen und Fakten darzustellen Ų unabhängig von allen politischen Verwicklungen.

Beim Besuch von DocMorris hoffte ich auf die Offenheit und Kooperation von Jack Waterval, einem der geistigen Väter von DocMorris und ehemaliger Direktor, heute eine Art "Teilzeit-Berater" von DocMorris.

Nach dem Begrüßungszeremoniell, bei dem in Holland das obligatorische "Kopje Koffie" niemals fehlt, sitze ich also dem Mann gegenüber, der in Deutschland bei Krankenkassen und in der Politik, bei Apothekern, Ärzten und Patienten, so unterschiedliche Reaktionen, teilweise bis hin zu wütenden Gefühlsäußerungen verursacht hat. Jack Waterval ist ein junger Kollege (39) mit Frau und kleinen Kindern, der bereits sein erstes Unternehmen, eine niederländische Apotheke, an die Kette eines Großhandels in den Niederlanden verkauft hat und danach neue Herausforderungen suchte.

So entstand DocMorris

Die Idee, eine Internet- bzw. Versandapotheke für Deutschland/Europa zu gründen, wurde, wenn man so will, im vorigen Jahrhundert geboren, im Jahre 1999 während des allgemeinen Internetfiebers. Ein paar Investoren mit technischem Hintergrund und Interneterfahrung kombinierten die Tatsachen, dass Arzneimittel in den Niederlanden günstiger sind, Internet bei Konsumenten stets populärer wird, und einen günstigen Standort in Grenznähe.

Zusammen mit dem holländischen Apotheker Jack Waterval wurde somit die Idee geboren, 0800docmorris.com ins Leben zu rufen. Bereits davor war zu sehen, dass im "kleinen Grenzverkehr" die so genannten Lifestyle Drugs, wie z. B. die Antibabypille, Xenical, Viagra, Finasterid etc. von deutschen Kunden wegen des Preisunterschiedes in holländischen Apotheken mit Rezept abgeholt wurden.

Zum Teil parallel dazu, zum Teil etwas später starteten andere Unternehmer ähnliche Internetbetriebe in den Niederlanden, der Schweiz und Dänemark mit mehr oder weniger Erfolg, in Deutschland wurde in diesem Jahr der Bundesverband deutscher Versandapotheker gegründet. Für die Niederlande war dies nicht der erste Versuch, einen Versandhandel ins Leben zu rufen.

Caremark war vor Jahren der erste und hat damals unter den niederländischen Apothekern einen ähnlichen Aufruhr und Boykotte verursacht. Allerdings war das Bestellen von Arzneimitteln per Versand damals kein Erfolg bei den Patienten, diese bevorzugten die Vorteile ihrer eigene Stammapotheke, und somit hatte sich nach einiger Zeit die Sache von selbst erledigt. Caremark wurde vom Großhandel OPG übernommen und dann liquidiert.

Zum wachsenden Erfolg von DocMorris in Deutschland hat vor allem auch die große Publizität in den Medien beigetragen. Waterval zeigte mir die über 1,3 Milliarden Medienkontakte, die seine Hamburger Agentur in mehr als einem Meter säuberlich gebundenen Kopien für DocMorris zusammengestellt hat: "Wir haben keinen Pfennig oder Cent für direkte Reklameaktionen ausgeben müssen. Eine solche Publizität ist unbezahlbar. Wir wachsen um rund fünf Prozent pro Woche."

Aber die erhitzte Diskussion rund um DocMorris fordert auch ihren Tribut: Immer wieder wird DocMorris in teure juristische Prozesse verwickelt, die auch Jack Waterval persönlich angreifen, der als Gallionsfigur für seinen Betrieb fungiert, eine Tatsache, die sichtbar nicht spurlos an Waterval vorbeigegangen ist.

Der pharmazeutische Alltag in der "Apotheke DocMorris"

DocMorris ist eine Apotheke im Sinne der niederländischen Gesetzgebung, sie unterliegt der Aufsicht der staatlichen Gesundheitsinspektion und den Regeln der NAN (=Nederlandse Apotheek Norm), ähnlich der deutschen Apothekenbetriebsordnung. Deswegen muss laut dieser Vorschrift u. a. eine Offizin vorhanden, die Herstellung von Rezepturen möglich sein und die Überwachung der Medikation ausgeübt werden können. DocMorris ist ISO 9001 zertifiziert. Geöffnet ist DocMorris von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr an Werktagen, aber 24-stündig erreichbar via Internet an allen Tagen der Woche.

Täglich werden die von den Patienten in Freiumschlägen eingesandten Rezepte und Bestellungen bei einem deutschen Postamt jenseits der Grenze abgeholt (hierdurch spart man einen Tag des Postweges). Nach dem Öffnen der Briefe und Einscannen in das Computersystem, womit täglich zwei Personen beschäftigt sind, werden alle Rezepte im Computer kontrolliert und korrigiert, die Arzneimittel bestellt und in der Lagerhalle zusammengestellt, nochmals von Pharmazeuten kontrolliert und verpackt.

Dies ist allerdings eine extrem vereinfachte Zusammenfassung der komplexen Bearbeitung der eingehenden Rezepte. DocMorris arbeitet mit drei verschiedenen Computersystemen, einem holländischen zur Registrierung der Patienten, der Medikation und Medikationsüberwachung von Wechselwirkungen und Kontraindikationen. Weiterhin einem deutschen System für die Warenbewirtschaftung und die Bedruckung der Rezepte mit der PZN und darüber hinaus mit einem eigenen System für die Logistik und das Workflow-Management, in dem auch alle Patientenkontakte registriert werden. Eine vollständige Kopplung der drei Systeme ist einer der Zukunftspläne, bisher ist dies nur über Schnittstellen realisiert.

Täglich nimmt DocMorris rund 40- bis 50-mal telefonischen Kontakt auf mit Ärzten, die die Rezepte ausgestellt haben, um Undeutlichkeiten abzuklären oder wegen der Medikationsüberwachung. Außerdem werden täglich Hunderte von Klienten kontaktiert per E-Mail und Telefon. Die Medikationsüberwachung ist ein Qualitätsmerkmal der holländischen Pharmazie, mit der Pharmaceutical Care verwirklicht und die Arzneimittelsicherheit für den Patienten erhöht wird. Die Medikationsüberwachung auf die deutsche Situation anzuwenden, ist nur beschränkt möglich, da die deutschen Ärzte nur selten die Dosierung aufs Rezept schreiben und eine Erfassung der kompletten Medikationsgeschichte und damit eine große Apothekentreue notwendig ist.

Im Falle einer Versandapotheke wie DocMorris kommt hinzu, dass überwiegend Arzneimittel für chronische Erkrankungen bestellt werden, während akute Medikamente wie Antibiotika und Schmerzmittel wohl eher in der Apotheke vor Ort gekauft werden.

Ein DocMorris-Kunde erhält im Idealfall seine Bestellung zwei bis drei Tage nach Eingang des Rezeptes und im ungünstigsten Fall nach einer Woche.

Laut Waterval sind rund 70% seiner Kunden Wiederbesteller. In der Bestellhistorie werden zum Beispiel etwaige Allergien und Kontraindikationen registriert. Der Input für das persönliche Gesundheitsprofil jedes einzelnen Kunden wird von ihm auf freiwilliger Basis erstellt. Der Datenschutz ist gewährleistet.

Neben der Abteilung für die Auftragsbearbeitung, sowie Lagerhaltung und Versand, sind eine Abteilung "Customer Care Solutions" und ein externes Callcenter mit der Kundenpflege und dem Marketing betraut. All diese Abteilungen unterstehen der Aufsicht der fünf bei DocMorris beschäftigten Apotheker.

Arzneimittel kommen aus Deutschland

70 bis 80% der Arzneimittel werden nach Deutschland geliefert und zu einem großen Teil bei einem deutschen Großhandel bezogen (Waterval gab den Namen des Großhändlers allerdings nicht preis). Die Lieferung der günstigeren holländischen Arzneimittel ist aus abrechnungstechnischen Gründen schwierig, da diese keine deutsche PZN haben.

Viele der so genannten "Lifestyle drugs" und OTC-Arzneimittel, die die Patienten selbst zahlen müssen, werden aus den Niederlanden bezogen. Hier wird eine Patienteninformation in deutscher Sprache beigefügt, die jedoch nicht als Beipackzettel registriert ist. OTC-Präparate werden überwiegend als Zusatzverkäufe zu den Rezepten abgegeben. Laut DocMorris liegt der Rezeptwert hoch (er verrät keine Zahlen), Zielsetzung ist es, diesen weiterhin zu steigern.

Nach der letzten gerichtlichen Aussprache ist es DocMorris verboten, Arzneimittel nach Deutschland zu versenden. Dieses Problem für DocMorris und seine Kunden wurde dadurch umgangen, dass die Klienten einen Abholauftrag an einen Kurierdienst erteilen, das Päckchen abzuholen. Dies vor dem Hintergrund, dass auch in deutschen Apotheken die Arzneimittel nicht immer durch den Patienten persönlich abgeholt werden. Eine Spitzfindigkeit, die den Fortbestand des Unternehmens sichert, bis der Europäische Gerichtshof zu einem Urteil kommt, das dann vielleicht oder auch nicht in die deutsche Gesetzgebung übernommen wird.

Die deutsche Monopolkommission hat im übrigen bekannt gegeben, dass im Rahmen der europäischen Richtlinien die Regeln des Landes gelten, aus dem die Versendung stattfindet – im Falle DocMorris die Niederlande – und hier ist der Postorderhandel mit Arzneimitteln erlaubt. Auch auf die Frage nach der strittigen Mehrwertsteuer – in Deutschland 16%, in den Niederlanden 6% – erhielt ich eine eindeutige Antwort: Für deutsche Kunden wird die deutsche Mehrwertsteuer berechnet und an das Finanzamt in Kleve abgeführt.

Daten und Fakten

Das Personal von DocMorris setzt sich zusammen aus deutschen und holländischen PTAs, PKAs, Lagerarbeitern und anderen Hilfskräften, fünf Apothekern und diversen Verwaltungsmitarbeitern und Informationstechnologen. Zum heutigen Zeitpunkt beschäftigt DocMorris 75 Mitarbeiter, zu einem großen Teil Teilzeitkräfte, und rechnet damit, bis zum Ende des Jahres auf 120 Mitarbeiter zu wachsen.

DocMorris hatte im August 2002 etwa 140 000 registrierte Patienten, wovon rund 70% wiederholt bestellt haben. Vereinzelte Kunden haben schon 35-mal bestellt. Das Durchschnittsalter der DocMorris Kunden liegt bei 55 Jahren, vorrangig werden teure, chronische Arzneimittel ausgeliefert und die bereits oben erwähnten "life style drugs".

Im Jahr 2001 realisierte DocMorris einen Jahresumsatz von 5 Mio. Euro. Der Umsatzzuwachs pro Woche liegt bei ca. 5%. Waterval schätzt den erwarteten Jahresumsatz 2002 auf 20 Mio. Euro, was rund 0,2% des deutschen Arzneimittelmarktes entspricht. Die Prognose ist, dass Ende 2002 ein "break even point" erreicht werden kann, nachdem in den Jahren 2000 und 2001 große Beträge in den Betrieb investiert werden mussten.

Die Bundesregierung erwartet, dass Versandapotheken in Zukunft etwa 5 bis 8% des Gesamtumsatzes an Arzneimitteln im deutschen Markt bestreiten. DocMorris strebt langfristig nach einem Gesamtmarktanteil von 1%. Geographisch gesehen gehen Bestellungen aus dem gesamten Bundesgebiet ein, wobei mehr Bestellungen aus ländlichen Umgebungen kommen als aus den Städten, ein Bestellmuster, das man sicher auch bei Versandkaufhäusern findet. Die Häufung im bereits erwähnten "Kleinen Grenzverkehr" stellt eine Ausnahme dar und ist ein schon länger bekanntes Phänomen.

Die Kunden von DocMorris schicken ihre Rezepte in Freiumschlägen ein, die sie bei DocMorris und teilweise auch von ihrer Krankenversicherung erhalten. Sie bekommen ihre Arzneimittellieferung frei Haus zugestellt, wobei eine Unterschrift vom Empfänger die persönliche Zustellung gewährleisten soll. Die Arzneimittelzuzahlung wird den Patienten nicht berechnet, mit dem Argument, dass es sie in den Niederlanden in dieser Form nicht gibt.

Etwa 90 – 95% des Arzneimittelumsatz wird auf Rezeptvorschrift bestellt, 70 bis 80% der gelieferten Mittel gehen nach Deutschland und werden größtenteils auch dort eingekauft. Rund 60 000 verschiedene Arzneimittelpackungen listet DocMorris in seinem Sortiment, wovon etwa 10 000 auf Lager sind.

DocMorris vertreibt deutsche und in Europa zugelassene Arzneimittel und ist in der Lage, die Rezepte mit der PZN zu versehen und bei den Krankenkassen abzurechnen. Rund 490 von den 520 deutschen Krankenkassen akzeptieren die Abrechnung mit der niederländischen Apotheke DocMorris. Den Kassen wird von DocMorris ein Rabatt von durchschnittlich rund 10 bis 15% gewährt, dieser Preisnachlass war auch das ausschlaggebende Argument für Regierung und viele Ärzte, dem Konzept DocMorris positiv gegenüberzustehen.

Großhandel und Industrie verhalten sich gegenüber DocMorris dagegen zurückhaltend bis boykottierend, einzelne haben bekanntlich einen Gerichtsprozess gegen DocMorris angestrengt – es sind Aktionen, mit denen Solidarität mit den deutschen Apothekern demonstriert werden soll, die um den Fortbestand ihres Berufsstandes fürchten.

Die deutschen Ärzte haben vor allem eine Einhaltung ihres Budgets vor Augen und stehen darum DocMorris eher positiv gegenüber.

Nach potenziellen Problemen gefragt: intern und extern

Nach den kritischen Punkten im Unternehmen gefragt, gab Waterval an, dass er sich vor allem Sorgen macht, dass das schnelle Wachstum des Unternehmens in der Organisation nicht perfekt aufgefangen werden kann. Für eine effiziente Arbeitsweise ist es notwendig, dass alle Arbeitsprozesse optimiert werden und die IT-Infrastruktur nahtlos aneinander anschließt – keine kleine Herausforderung bei drei sehr verschiedenen Systemen. Die Vielfalt der Prozesse, wie Warenbewirtschaftung, Logistik, Kundenpflege und Marketing, Medikationsbegleitung, Qualitätsüberwachung und Workflow- Management machen dies zu einer äußerst komplexen Aufgabe.

Darüber hinaus ist die innerbetriebliche Kommunikation zwischen den zahlreichen Teilzeitkräften und die damit verbundene Kontinuität von Arbeitsprozessen ein kritischer Punkt. Eine effiziente Arbeitsweise ist die Basis für die angestrebte Rentabilität des Unternehmens DocMorris und somit auch die größte Herausforderung.

Viel Energie, Zeit und Geld musste und muss in die juristischen Konflikte um DocMorris gesteckt werden. Jedes Gerichtsurteil kann eine Gefährdung des Unternehmens bedeuten. Und es werden teure Juristen benötigt, um Schaden abzuwenden. Auch steht die Unternehmensleitung hierdurch regelmäßig unter Druck und kann ihre Energie nicht vollständig auf die Betriebsführung richten. Derzeit heißt es abwarten, wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausfällt und welchen Effekt dies für DocMorris haben wird.

Die marktführenden deutschen Großhandlungen boykottieren DocMorris. Viele kleinere Großhandlungen wollen ebenfalls nicht an DocMorris liefern, da sie ihrerseits mit einem Boykott der deutschen Apotheker rechnen müssen. Darum trägt sich DocMorris mit dem Gedanken, selbst einen Großhandel in Deutschland zu gründen.

Kasten

Viel wurde bisher über und rund um DocMorris publiziert und noch mehr davon basiert auf Gerüchten und entspringt der Angst vor einer Bedrohung, die der "Freibeuter" DocMorris in den Augen der deutschen Apotheker für ihr Bestehen darstellt. Legalisierung des Versandhandels mit Arzneimitteln, Internethandel, Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes, Kettenapotheken sind nur ein paar dieser Schreckgespenster, die der Name DocMorris den meisten deutschen Apothekern vor Augen steigen lässt. Dagegen könnte sein wachsender Erfolg vermuten lassen, dass die Existenz von DocMorris für die deutschen Patienten Vorteile bringt und DocMorris von diesen vielleicht eher als "Robin Hood" unter den Apotheken gesehen wird.

Kasten Kommentar DocMorris – Freibeuter oder Volksheld?

Die in deutschen Apothekenkreisen meist negative Publizität von DocMorris scheint nach diesem Einblick in die Wirklichkeit vielleicht durchaus begründet und begreiflich. Aus diesem Blickwinkel erscheint DocMorris eher als Freibeuter, der seine Effizienz vor allem darauf stützt, dass er die teuren Rezepte der chronischen Patienten zu sich hinzieht.

Aus Sicht seiner Klienten kann DocMorris jedoch durchaus als Volksheld angesehen werden – eine Art moderner "Robin Hood" oder besser Piet Hein, das holländische Äquivalent, ein Freibeuter und Pirat, der im Regierungsauftrag die spanische Silberflotte überfiel und ausraubte und noch heute in Kinderliedern besungen wird. Ein Volksheld, der von den Reichen nimmt und an die Armen gibt (nicht ohne dass nach gut traditioneller, holländischer Handelsmanier etwas an seinen Händen kleben bleiben sollte ... Diese Phase hat unser heutiger Piet Hein allerdings noch nicht erreicht, vorläufig kosten seine Mannen und Waffenarsenal noch mehr, als er einnimmt ...)

Für die Kunden von DocMorris bietet sein Service jedenfalls durchaus Vorteile, wenn sie ihren Arzneimittelverbrauch lang genug im Voraus planen können, denn mit Wartezeiten müssen sie rechnen.

Vor allem in städtischen Bereichen haben die deutschen Apotheker ihren Patienten allerdings viel und teilweise sogar besseren Service zu bieten als jede Versandapotheke, nämlich die Schnelligkeit der Lieferung, eine unmittelbare Beratungsmöglichkeit bei Abgabe des Rezeptes und ein vollständiges Serviceangebot.

In einem Punkt wollen, können und dürfen sie DocMorris jedoch nicht schlagen: Er durchbricht die vermeintliche Sicherheit der Arzneimittelpreisverordnung, hinter der sich die deutschen Apotheker bis vor kurzem ein ruhiges pharmazeutisches Leben leisten konnten. Noch schlimmer, er bringt Politik und Krankenkassen auf ganz und gar unangenehme Ideen, so dass jetzt auch noch an anderen heiligen Grundpfeilern der deutschen Pharmazie kräftig gerüttelt zu werden droht: Das Verbot von Fremd- und Mehrbesitz könnte fallen und damit Apothekenketten eingeführt werden. Dies bedeutet für die deutschen Apotheken eine Herausforderung, und die Schlinge scheint sich immer mehr zuzuziehen.

Soll man in Rückzugsgefechten rufen, dass doch alles so schön war, wie es schon immer gewesen ist? Oder ist es besser, sich auf die eigenen Qualitäten zu besinnen, daran zu arbeiten, und der Welt verkünden, was man zu bieten hat? Ist es nicht viel besser, selber neue, innovative Konzepte zu entwickeln, die Welt mehr durch die Brille von Kunden und Patienten zu sehen? Denn dass scheint uns doch der Erfolgsweg eines DocMorris zu lehren: In der Lern- und Anpassungsfähigkeit einer Art liegt der Schlüssel zu ihrem Überleben.

1% oder auch selbst 5 bis 8% des deutschen Arzneimittelumsatzes werden nicht unbedingt das große Apothekensterben einleiten, aber was oder wer kommt nach DocMorris? Bleibt es hierbei oder stehen schon viel größere, vielleicht branchenfremde Handelspartner in den Startlöchern, um den kleinen Piet Hein hinter der holländischen Grenze mit seinem berühmt gewordenen Namen zu übernehmen und so richtig auszubauen? Jack Waterval gibt hierzu keine klaren Auskünfte, aber deutlich ist, dass die Gruppe von Investoren kein Interesse an einem berufspolitischen Kreuzzug hat, sondern knallharte ökonomische Interessen, also Verkauf und "return of investment"... Gesprächspartner hierfür scheint es schon zu geben.

Die holländischen Apotheker bekommen von Versandapotheken und Gesundheitsportalen im Internet keine schlaflosen Nächte. Hier gibt es schon länger Apothekenketten sowie den Fremd- und Mehrbesitz. Auch eine Niederlassungsbeschränkung gehört der Vergangenheit an. Derzeit entstehen in den Städten stets mehr neue Apotheken in so genannten Hoed's (= huisartsen onder een dak), eine Art Polyklinik/Gesundheitszentrum mit angeschlossenen Hausärzten und einer Apotheke. All diese Entwicklungen haben nicht zum Verschwinden der unabhängigen Apotheken geführt, sondern zu einer größeren Vielfalt innerhalb der Pharmazie.

Unabhängige Apotheken haben hier wohl begriffen, dass sie aktiv werden müssen, den Schwerpunkt auf Pharmaceutical Care legen, sich als Gesundheitsberuf profilieren und ihre Effizienz und Qualität steigern müssen. Denn auch hier hat die Politik ein Loch in der Tasche und mehr Ausgaben als budgetiert sind, so dass schon seit Jahren versucht wird, Einsparungen im Gesundheitssystem zu Lasten der Apotheken zu verwirklichen. Deshalb schließen sich unabhängige Apotheken auch immer öfter zu Arbeitsgemeinschaften zusammen, um effizienter und qualitativ hochwertig arbeiten zu können.

Solange alles beim Alten bleibt, braucht man sich nicht zu profilieren, aber wenn es bedrohlich wird für den Berufsstand, muss man die Kräfte bündeln, zusammenarbeiten, auch mit den angrenzenden Gesundheitsberufen, denn Profilierung kostet Zeit und Geld, Konflikte jedoch noch mehr.

Regine Siedenburg

Über die Apotheke DocMorris, die sich in einem eher nüchternen Gewerbegebiet in Landgraaf dicht bei der niederländisch-deutschen Grenze niedergelassen hat, wurde in deutschen Medien schon viel geschrieben und berichtet. Durch ihr ehrgeiziges Streben, den Versandhandel in Deutschland etablieren und dabei auch noch Geld verdienen zu wollen, rief sie bereits viel Aufmerksamkeit hervor in den Medien, bei Apothekern, Krankenkassen und Gesundheitspolitikern. Unser Bericht ist aufgrund eines Besuchs bei DocMorris entstanden. Ziel war es, Zahlen und Fakten darzustellen – unabhängig von allen politischen Verwicklungen.

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