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Analogarzneimittel: Me-toos: ohne Zusatznutzen oder therapeutischer Fortschritt?

BERLIN (ks). Analogarzneimittel, häufig auch "Me-toos" genannt, sind derzeit ein heißes politisches Thema. Im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat man es auf diese Präparate besonders abgesehen: Ein neues Institut, das nach dem Zulassungsverfahren eine zusätzliche Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln vornimmt, soll geschaffen werden. Die gesetzlichen Krankenkassen sollen nur noch für das zahlen, was einen "echten Fortschritt" darstellt. "Was nur 10 Prozent mehr nutzt, darf nicht 300 Prozent mehr kosten", lässt Ministerin Ulla Schmidt bei jeder passenden Gelegenheit verlauten.

Gerne beruft man sich im BMG auf den Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports (AVR), Prof. Dr. Ulrich Schwabe. Der hatte errechnet, dass bei den Verordnungen des Jahres 2000 rund 2,4 Mrd. DM hätten gespart werden können, wären Analoga mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen substituiert worden. Angesichts wachsender Kassendefizite und steigender Arzneimittelausgaben hört die Ministerin solche Summen sicherlich gerne.

Doch die forschende Arzneimittelindustrie und einige Wissenschaftler betrachten die anvisierten Einsparungen der Ministerin durch eine "vierte Hürde" erwartungsgemäß skeptisch: Sie meinen, Arzneimittel hätten ihren Wert in den langwierigen und aufwändigen Zulassungsverfahren bereits ausreichend unter Beweis gestellt.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) hatte bereits Anfang Juli eine Studie des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) zu Analoga vorgestellt – mit Ergebnissen, die im BMG sicherlich nicht mit großer Freude aufgenommen wurden (vgl. DAZ Nr. 28, 2002, S. 3364ff): Häufig sind Analogpräparate das Ergebnis von Parallelforschung unterschiedlicher Unternehmen und eben keine bloßen "Nachahmer". Zudem brachten in einigen Fällen erst Analoga den Therapiedurchbruch, den die Erstsubstanzen zunächst nur angestoßen hatten. Letztlich ließen sich laut IGES-Studie durch Analoga gar Kosten für die GKV sparen, da erst sie eine Wettbewerbssituation schufen.

Medizinischer Fortschritt vollzieht sich in kleinen Schritten

Auch der Pharmakologe Prof. Dr. Ernst Mutschler hat etwas gegen die pauschale Herabsetzung von Analogarzneimitteln: "Per se zu behaupten, ein Me-too-Präparat habe keine Vorteile gegenüber der Ausgangssubstanz, ist weder unter theoretischen noch unter praktischen Gesichtspunkten gerechtfertigt". Warum er dieser Meinung ist, erklärte er bei einem Pressegespräch, zu dem der Arzneimittelhersteller Pfizer am 12. September in Berlin eingeladen hatte. Analoga haben Mutschler zufolge eine ebensolche Existenzberechtigung wie Sprunginnovationen, denn, so der Pharmakologe, "medizinischer Fortschritt vollzieht sich – relativ selten – in großen und wesentlich häufiger – in kleinen Schritten".

Er definiert Analogarzneimittel daher als "Präparate, die eine neue Wirksubstanz enthalten, die entsprechend (analog) synthetisiert wurden und dabei auf einen bekannten Wirkprinzip bzw. einer bekannten Substanz aufbauen." Anders als die Politik zuweilen glauben mag, sei Forschung nicht planbar im Sinne des Ergebnisses.

Analogpräparate entstünden oft als Resultat einer Parallelforschung – eine jeweilige Einzelfallprüfung sei daher zwingend nötig. Wenn sich erweise, dass ein Analogpräparat einen pharmakodynamischen oder pharmakokinetischen Fortschritt mit sich bringe, könne jedenfalls nicht abwertend von einem Me-too ohne Zusatznutzen gesprochen werden, so Mutschler. So sei es etwa bereits ein erheblicher Fortschritt, wenn ein Medikament gegen Alzheimer nicht mehr vier Mal täglich, sondern nur noch ein Mal am Tag eingenommen werden müsse.

Mutschler hat eine Reihe von Beispielen parat, die belegen, dass die Weiterentwicklung einer Sprunginnovation, die einst einen Therapiedurchbruch bescherte, erhebliche Fortschritte für den Patienten bedeutet haben. Nicht selten sei die eigentliche Innovationssubstanz wegen zu schwerer Nebenwirkungen aus dem Handel genommen worden, während sich Analoga bewähren konnten. Auch lassen sich weitergehende (Neben-)Wirkungen einer Substanz häufig erst nach Jahren der Anwendung feststellen.

Beispiel Penicillin

Ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Analogentwicklung sind etwa Penicilline: Das erste Penicillin G, die Sprunginnovation, hatte noch ein schmales Wirkungsspektrum und musste zudem injiziert werden. Seine Weiterentwicklung zum Penicillin V hatte zwar noch das gleiche schmale Spektrum, konnte aber schon oral eingenommen werden. Mit Ampicillin folgte das erste Penicillin mit weiterem Wirkungsspektrum – doch es war relativ schlecht resorbierbar. Schließlich kam Amoxicillin, das das gleiche breite Spektrum bedient, ohne dabei jedoch wie sein Vorgänger die Darmflora zu schädigen. Gegenüber Ampicillin ist an der Ringstruktur dieser Substanz lediglich eine OH-Gruppe dazugekommen.

Mutschler führte ähnliche Entwicklungen bei einer Vielzahl anderer Arzneimittelgruppen auf: so etwa bei Gyrasehemmern, Diuretika, Benzodiazepinen, Neuroleptika und Glucocorticoiden, um nur einige zu nennen. Die weitere Erforschung einstiger Sprunginnovationen konnte in all diesen Fällen das ursprüngliche Wirkprinzip pharmakodynamisch und/oder pharmakokinetisch verbessern oder das Interaktionspotenzial verringern. Allerdings, so räumte Mutschler ein, gebe es auch Fälle, in denen ein Analogpräparat tatsächlich keinen Zusatznutzen gegenüber seinem Vorgänger hat – ist dieses auch noch teurer als das Original, bestehe tatsächlich kein Anlass es zu verordnen.

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