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Universität Freiburg: Pharmazeutisch-botanische Exkursion in die Nordalpen

Das Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Freiburg veranstaltete im Juli 2002 für Studierende des Grundstudiums eine pharmazeutisch-botanische Exkursion ins Allgäu und Lechtal, um den Teilnehmern Kenntnisse über die Flora der nördlichen Kalkalpen zu vermitteln, die auch viele pharmazeutisch genutzte Arten bereithält. Die Besichtigung eines in Sonthofen ansässigen Pharmaunternehmens, das sich auf Latschenkiefer-Produkte spezialisiert hat, ergänzte das Exkursionsprogramm ideal.

Für den Pflanzenliebhaber sind die nördlichen Kalkalpen wegen ihres Artenreichtums ein interessantes Gebiet. Durch ihre Vielfalt verschiedenster Standorte und Pflanzengesellschaften sind sie prädestiniert, den Bogen von den aus den Bestimmungsübungen im Grundstudium vertrauten Arten zu den Pflanzen der montanen, subalpinen und alpinen Vegetation zu schlagen. Viele Pflanzen werden auch pharmazeutisch genutzt oder sind als Giftpflanzen für den Apotheker wichtig.

Betriebsbesichtigung Allga-Pharma

Der erste Exkursionstag begann mit der Besichtigung der Firma Allga-Pharma in Sonthofen und stand daher ganz im Zeichen der Latsche Pinus mugo. Die Allga-Pharma ist ein mittelständisches Unternehmen mit 70 Angestellten und hat sich auf die Destillation des Latschenkieferöls und dessen Verarbeitung spezialisiert. Das Unternehmen deckt den ganzen Produktionsweg vom Anbau des Pflanzenmaterials, Gewinnung, Verarbeitung, Konfektonierung und Vertrieb ab.

Stationen der vom Geschäftsführer Wolfgang Böhmer und Apothekerin Beate Böhme geführten Besichtigung waren die Anzuchtflächen für Jungpflanzen, die Destillation als Herzstück des Unternehmens, sowie Produktion und Versand. Für die Gewinnung des ätherischen Öls bedient sich die Allga-Pharma eines besonders schonenden Destillationsprozesses, um die thermische Belastung zu reduzieren und die ursprüngliche Stoffzusammensetzung weitestgehend zu erhalten. Die Destillationsrückstände werden zur Gewinnung der Prozesswärme für die Destillation verbrannt und die anfallende Asche zur Düngung der Anbauflächen verwendet. Somit wird das Pflanzenmaterial optimal und ressourcenschonend genutzt.

Ihre pharmazeutische Bedeutung erlangt die Latsche aufgrund des ätherischen Öles mit seinen aus dem Terpenoidstoffwechsel stammenden Leitsubstanzen •- und ≠-Pinen und Ę3-Caren. Der medizinische Einsatz des Latschenkieferöls bei rheumatischen Beschwerden und Neuralgien beruht auf der hyperämisierenden Wirkung; zudem wird es bei Infekten der Atemwege inhaliert. Darüber hinaus ist das Latschenkieferöl geschätzt für Pflegeprodukte und Kosmetika.

Nach der Betriebsbesichtigung begann das botanische Aufwärmen bei einer Wanderung über die firmeneigenen Latschenanbauflächen hoch über dem Illertal nördlich Immenstadt. Dort fand sich die Blutwurz Potentilla erecta, deren morphologische Auffälligkeit die vierzählige Blüte ist. Ihr Gehalt an kondensierten Gerbstoffen wird in der Droge Tormentillae rhizoma als Adstringens und Antidiarrhoikum pharmazeutisch genutzt.

Die auf Lichtungen und an Waldrändern beheimatete Tollkirsche Atropa bella-donna wurde in Blüte und Frucht gefunden. Wie sich kleinräumig das Artenspektrum ändern kann, zeigten die Nesselblättrige Glockenblume Campanula trachelium als typische Waldrandart und die Kleine Glockenblume Campanula cochleariifolia, die sich wenige Schritte weiter auf einem Kalkfelskopf fand.

Abgerundet wurde der erste Exkursionstag mit einem Gang durch die imposante Breitachklamm nahe Oberstdorf, wo die Flora feuchter montaner Wälder z. B. mit dem Nesselblättrigen Ehrenpreis Veronica urticifolia oder dem Buchenfarn Phegopteris connectilis präsent war.

Iseler

Der zweite Exkursionstag hatte das Oberjoch und seinen Hausberg, den 1886 m hohen Iseler, zum Ziel. Ein ungnädig gestimmter Wettergott hielt nicht vom Botanisieren ab, und so wurde unter tiefhängenden Wolken ein abwechslungsreiches Florenmosaik bergwärts durchwandert. Zunächst gab es ein Wiedersehen mit der Latsche. Sie bildet über der Waldgrenze, vorzugsweise auf kalkhaltigen Hanglagen in der subalpinen Vegetationsstufe, den Krummholzgürtel, der ein natürlicher Erosions- und Lawinenschutz ist. Dank ihrer elastischen Äste vermag die Latsche unter der Schneelast am Boden liegend zu überwintern.

Des Weiteren bestaunten wir die in prächtiger Blüte stehende Bewimperte Alpenrose Rhododendron hirsutum sowie die für subalpine Kalkgebiete charakteristische Bäumchen-Weide Salix waldsteiniana.

Elemente der Hochstaudenfluren waren z. B. der herrlich blau blühende Alpendost Cicerbita alpina und die Berg-Flockenblume Centaurea montana, der Berg-Bärenklau Heracleum montanum und die Große Sterndolde Astrantia major sowie der Gewöhnliche Baldrian Valeriana officinalis, der neben anderen Baldrian-Arten Lieferant der Wurzeldroge Valerianae radix mit mild sedierender Wirkung ist. Weitere, am Iseler gefundene Baldrianarten waren der Berg-Baldrian Valeriana montana, auf Kalkfelsen oder auf Geröll der Felsen-Baldrian Valeriana saxatilis sowie der Stein-Baldrian Valeriana tripteris.

Erste Vorboten der alpinen Stufe waren beim Aufstieg die Polster-Segge Carex firma, der Blaugrüne Steinbrech Saxifraga caesia und die Silberwurz Dryas octopetala, die alle charakteristisch für die Firmeten sind (das sind kleinflächige, lückige Pioniervegetationseinheiten auf Kalkschutt). Orchideenfreunde wurden an keinem der Exkursionstage enttäuscht. Am Iseler wurden neben anderen die Zwergorchis Chamorchis alpina, die Weißzunge Pseudorchis albida sowie die Einknolle Herminium monorchis entdeckt.

Der beim Erreichen des Gipfelkreuzes einsetzende Regen verwehrte die Aussicht auf ein an schönen Tagen vom Rätikon bis zum Wettersteingebirge reichendes Bergpanorama. Die Sicht reichte aber, um viele gelbblühende Compositen zu entdecken, darunter drei verschiedene Löwenzahnarten auf engstem Raum: der Graue und der Steifhaarige Löwenzahn Leontodon incanus und L. hispidus, sowie der Schweizer Löwenzahn Leontodon helveticus.

Fund des Tages war die unscheinbare Mondraute Botrychium lunaria, ein Farn, dessen Wedel in einen fertilen und einen photosynthetisierenden sterilen Teil gegliedert ist. Beim Abstieg führte der Weg durch Weiden mit ausgedehnten Beständen der Arnika Arnica montana, deren Inhaltsstoffe zur äußerlichen Anwendung bei Entzündungen geschätzt sind.

Lechtal

Ziel des dritten Exkursionstages war das Lechtal, um dessen weitläufige Flussschotterfluren zu erkunden. Auf den Schotterbänken von Alpenflüssen findet sich die einzigartige Pflanzengesellschaft der Weiden-Tamariskenflur (Salici-Myricarietum), die durch Flussregulierungen und Bau von Staustufen stark dezimiert worden, im oberen Lechtal jedoch noch in beeindruckender Ausdehnung erhalten ist. Nur wenige Zentimeter über dem mittleren Wasserspiegel gelegen wird sie bei Hochwasser oder nach der Schneeschmelze regelmäßig überflutet und dadurch umgestaltet, Schotter oder Mursand wird einerseits abgetragen, andererseits herangeschwemmt.

In dieser ungeheuer dynamischen Umgebung findet der botanisch Interessierte einerseits die charakteristischen, an den Standort gebundenen Arten, andererseits Alpenschwemmlinge, also subalpin-alpine Pflanzen, die als Samen oder Keimlinge mit Wasser und Geröll herabgerissen werden und auf den Sandbänken eine neue Heimat finden; ergänzt wird die Vegetation durch Elemente der Ruderalflora sowie eingeschleppte Pflanzen.

Namengebende Leitarten der Weiden-Tamariskenflur sind die Deutsche Tamariske Myricaria germanica mit ihren eigenartigen graugrünen, schuppenartigen Blättern und die Lavendel-Weide Salix elaeagnos. Weitere Weidenarten im Exkursionsgebiet waren die Purpur-Weide, Salix purpurea, die Öhrchen-Weide Salix aurita, die Großblättrige Weide Salix appendiculata mit ihren besonders großen, auffälligen Stipeln sowie die Schwärzende Weide Salix nigricans. Zubereitungen aus Weidenrinde, die schon in der Antike therapeutisch genutzt wurden, gewinnen heute zunehmend an Bedeutung bei der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen.

Der Sammlung gelbblühender Compositen konnten zwei nur in Schotterfluren vorkommende Arten hinzugefügt werden: das Grasnelkenblättrige Habichtskraut Tolpis staticifolium und der Alpen-Knorpellattich Chondrilla chondrilloides. Zu den Schwemmlingen, also den Pflanzen, denen wir auch 1000 Meter höher hätten begegnen können, zählten die Silberwurz, Sendtners Mohn Papaver sendtneri und der Blaugrüne Steinbrech Saxifraga caesia.

Zwei Nachtschattengewächse in der Lechtaler Ruderal- und Adventivflora sind alkaloidhaltig: der Stechapfel Datura stramonium und der Bittersüße Nachtschatten Solanum dulcamara, ersterer wegen seines Gehaltes an Tropanalkaloiden früher für Hexensalben verwendet. Eine interessante und ästhetisch ansprechende Giftpflanze war der Wolfs-Eisenhut Aconitum vulparia, einen anderen Farbtupfer bildete die Mehl-Primel Primula farinosa.

Den Studenten, die sich mit Gummistiefeln oder barfuß auf Schotterinseln im Lech hinauswagten, zeigten sich teilweise unauffällige, aber stets nicht alltägliche Arten, z. B. die Alpenbinse Juncus alpino-articulatus, die Nadelbinse Eleocharis acicularis, die Alpen-Gemswurz Hutchinsia alpina sowie das Sumpf-Herzblatt oder Studentenröschen Parnassia palustris, das mit seinen paraboloid geformten weißen Petalen das Sonnenlicht fokussiert und so die fertilen Blütenteile einige Grad Celsius über die Umgebungstemperatur aufheizen kann. Daher wird die Blüte gerne von Insekten besucht, die sich dort aufwärmen und dabei die Blüte bestäuben.

Nachdem die Füße wieder trocken und halbwegs vom Lechsand befreit waren, wurde der Rückweg und die Heimreise nach Freiburg angetreten, den Kopf voller botanischer Impressionen.

Der Dank der Autoren und aller Exkursionsteilnehmer geht an Frau Apothekerin Renate Vollmann und die Firma Allga-Pharma, Sonthofen, die die Exkursion großzügigerweise unterstützte, sowie an Herrn Wolfgang Böhmer und Frau Beate Böhme.

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