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GKV-Finanzentwicklung: Kassen weiterhin im Minus

BERLIN (ks). Im ersten Halbjahr 2002 liegt das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen bei knapp 2,4 Mrd. Euro. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt beklagte vor allem den Anstieg der Arzneimittelausgaben um 3,9 Prozent und warf den Ärzten vor, sie verordneten zu teuer. Dennoch prognostizierte die Ministerin ein ausgeglichenes Ergebnis zum Jahresende. Neue Tarifabschlüsse, Renten- steigerungen und Einmalzahlungen sollen für "positive Effekte auf der Einnahmeseite" sorgen. Horst Seehofer (CSU) sprach von einem "Fiasko", die Bundesregierung erhalte mit diesem Defizit die "Quittung für ihre völlig verfehlte Wirtschafts- und Gesundheitspolitik".

Als die Ministerin am 2. September in Berlin die neuen Zahlen zur Entwicklung der Finanzen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vorstellte, war das Lächeln, für das sie bekannt ist, sehr verhalten: Gegenüber dem Vorjahr haben die Gesamtausgaben der GKV im ersten Halbjahr 2002 um rund 2 Mrd. Euro zugenommen. Einnahmen von knapp 67,8 Mrd. Euro stehen Ausgaben von rund 70,2 Mrd. Euro gegenüber, das macht ein Minus von 2,4 Mrd. Euro. Der durchschnittliche Beitragssatz lag zum 1. Juli 2002 bundesweit bei 13,99 Prozent.

Gedämpfter Anstieg bei Arzneimitteln

Die Ausgaben für Arzneimittel sind zwar im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (die Steigerung lag im 1. Halbjahr 2001 bei 11 Prozent) deutlich zurück gegangen, für Schmidt sind sie aber immer noch zu hoch. Sie erklärte, der Ausgabenzuwachs sei vor allem durch das Sparpaket der Bundesregierung gedämpft worden. Die Neufestsetzung der Festbeträge und die Einführung der Aut-idem-Regelung habe zu Preissenkungen von über drei Prozent bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln geführt.

Auch die Erhöhung des Apothekenrabatts und die Einmalzahlung der Pharmaindustrie habe die GKV finanziell entlastet. Doch Schmidt ist unzufrieden mit den Ärzten: In einer Zielvereinbarung hatten sie erklärt, die Arzneimittelausgaben 2002 um fünf Prozent senken zu wollen. "Diese Vereinbarung hat bisher keine erkennbaren Auswirkungen gezeigt", so die Ministerin. Wollten die Ärzte ihren Sicherstellungsauftrag beibehalten, müssten sie ihre Anstrengungen erheblich verstärken.

"Gute" Innovationen will Schmidt den Patienten nicht vorenthalten, aber sie machte deutlich: "Die Ärzteschaft muss begreifen: Nicht alles was teuer ist, ist auch gut". Weitere Einsparungen erhofft sich die Ministerin durch die Einführung einer Gesundheitskarte, die Arzneimittelverordnungen speichert sowie der Positivliste. Schmidt kündigte an, sie werde die Positivliste schon in Kürze dem Bundesrat zuleiten.

Wie der Kuchen geteilt wird

Bei den Gesamtausgaben der GKV nehmen in Apotheken abgegebene Arzneimittel übrigens mit 15,51 Prozent den dritten Rang ein – im Vorjahreszeitraum war dieser Anteil genauso hoch. Die ärztliche Behandlung schlägt bei den Gesamtausgaben mit 16,01 Prozent zu Buche (Steigerung 2,3 Prozent). Die meisten Kosten verschlingt nach wie vor die Krankenhausbehandlung: die Ausgaben im stationären Bereich sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres um 3,6 Prozent angestiegen und beanspruchen nun 32,63 Prozent der GKV-Gesamtausgaben. Bei den Verwaltungskosten der Krankenkassen liegt der Ausgabenzuwachs bei 4 Prozent, sie machen 5,16 Prozent der Gesamtausgaben aus.

Schmidt erhofft Verbesserungen im 2. Halbjahr

Die Ministerin rechnet damit, dass die zweite Jahreshälfte die Finanzen der Kassen ausgleichen wird. Dann erst würden die neuen Tarifabschlüsse, die die Gehälter um rund 3,4 Prozent wachsen lassen, ihre Wirkung zeigen. Zudem führten Rentensteigerungen und Beitragssatzanhebungen zu Mehreinnahmen. Auch Einmalzahlungen wie das Weihnachtsgeld werden die Einnahmeseite verbessern, so die Ministerin. Auf Nachfrage musste Schmidt allerdings einräumen, dass auch Mindereinnahmen zu erwarten sind.

Die Riester-Rente und die Entlastung freiwillig versicherter Rentner wird zu Beitragsausfällen von schätzungsweise 300 Mio. Euro im Kalenderjahr führen. Zudem: auch vor einem Jahr war Schmidt optimistisch, dass sich das Halbjahresdefizit der GKV von 4,9 Mrd. Mark ausgleichen werde. Die Kassen schlossen das vergangene Jahr jedoch mit einem Minus von rund 5,48 Mrd. Mark (2,8 Mrd. Euro) ab.

Perspektiven der GKV

Zu möglichen weiteren Beitragsatzsteigerungen wollte sich die Ministerin nicht konkret äußern. Sie erklärte, es gebe "keinen Anlass Panik zu machen". Die Probleme der GKV sind Schmidt zufolge auch weniger in der Einnahmeseite zu erblicken, als vielmehr in der Qualität der Leistungserbringung: Leistungen würden zu wenig abgestimmt, Arzneimittel doppelt und dreifach verschrieben und der Nutzen und die Sicherheit vieler Therapien sei nicht erwiesen. Daher sei es notwendig, die von der Bundesregierung begonnenen Strukturreformen fortzusetzen, so die Ministerin.

Schmidt verärgert über Ärzte

Zu diesen Reformen zählen auch die Disease-Management-Programme (DMP). In diesem Punkt musste die Ärzteschaft einen weiteren Rüffel der Ministerin einstecken. In den Chroniker-Programmen sollen nur solche Medikamente eingesetzt werden, deren Nutzen und Sicherheit belegt ist. So könnten etwa bei Diabetes mellitus Typ 2 jährlich 200 Euro pro Patient eingespart werden, erklärte Schmidt. Doch der Länderausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hat gerade am vergangenen Wochenende beschlossen, dass vor der Bundestagswahl keine DMP-Verträge geschlossen werden sollen.

Dies bezeichnete die Ministerin als "skandalös" und "reine Wahltaktik". Im KV-Bezirk Nordrhein standen die Vertragsabschlüsse für Brustkrebs-DMP kurz vor dem Abschluss – nun wurden sie vertagt. Der KBV-Vorsitzende Manfred Richter-Reichhelm rechtfertigte den Beschluss des Länderausschusses: Bevor der dauerhafte Bestand der derzeitigen Rechtsgrundlage nicht gesichert sei, sollten die KVen mit Krankenkassen keine DMP-Verträge schließen. Damit solle verhindert werden, dass aufwändig ausgehandelte Verträge "später vielleicht nur noch Makulatur sind".

Opposition: Gesundheitspolitik auf dem Tiefpunkt

Horst Seehofer sagte nach der Vorstellung der Zahlen, die Behauptung der Ministerin, die finanzielle Lage der GKV werde sich im zweiten Halbjahr verbessern, sei ein "Trugschluss". Vielmehr sei der "Tiefpunkt der rot-grünen Gesundheitspolitik" erreicht. Schmidt verkenne "völlig die Realität", wenn sie die Notwendigkeit von Beitragssatzsteigerungen leugne. Er rechnet auch bei einem etwaigen Regierungswechsel mit einem Anstieg von 0,2 bis 0,5 Prozentpunkten.

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Dieter Thomae sprach von einem "erneuten Armutszeugnis rot-grüner Gesundheitspolitik". Mangels eines Gesamtkonzepts verschlechtere sich die medizinische Versorgung "dramatisch", "Budgetierung und Listenmedizin tun ihr Übriges", so Thomae.

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