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Disease-Management-Programme: Schwerer Start für Chroniker-Programme

BERLIN (ks). Seit dem 1. Juli gilt die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erlassene Rechtsverordnung, welche die Voraussetzungen für Disease-Management-Programme (DMP) für Diabetes mellitus Typ 2 und Brustkrebs festlegt. Möglichst schnell wollte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ihre Chroniker-Programme realisieren. Kritiker behaupten nun, der Zeitdruck sei den Inhalten alles andere als förderlich gewesen - selbst wenn sie selbst an den Anforderungsprofilen mitgearbeitet haben.

Die Verordnung des BMG basiert auf Empfehlungen des Koordinierungsausschusses, einem Gremium, dem Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft angehören. Sie regelt, welche Voraussetzungen das Programm einer Krankenkasse erfüllen muss, um vom Bundesversicherungsamt zugelassen zu werden.

Fachgesellschaften auf Konfrontationskurs

Doch die in der Verordnung beschlossenen Mindestanforderungen stoßen auf scharfe Kritik: Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) meint, die zu Diabetes mellitus Typ 2 geschaffenen Grundlagen würden nicht zu einer besseren Therapie beitragen. So seien bekannte Leitlinien in wesentlichen Teilen nicht berücksichtigt worden. Zudem seien bei der Entwicklung der Anforderungen keine Patientenvertreter einbezogen und wichtige Punkte wie Datenschutz, Dokumentation und Qualitätssicherung ungenügend geregelt worden.

Da der fachliche Rat und die Kompetenz der Gesellschaft vom Koordinierungsausschuss "ignoriert" worden sei, habe die DDG gemeinsam mit weiteren medizinischen Gesellschaften und der Bundesärztekammer im Mai selbst eine "Nationale Versorgungs-Leitlinie" zu Diabetes mellitus Typ 2 vorgelegt. Das Anforderungsprofil für die Diabetes-DMP blieben hinter diesen Praxis-Leitlinien zurück.

Auch die Deutsche Krebsgesellschaft ist unzufrieden: Die strukturierten Behandlungsprogramme blieben weit hinter längst etablierten Standards zurück, lässt sie in einer Pressemitteilung verlauten. Offenbar hätten "gesundheitspolitische Interessen des BMG und ökonomische Interessen der Krankenkassen" bei der Verordnung "die Feder geführt" - und "nicht einzig der Wille, Frauen mit Brustkrebs eine qualitätsgesicherte Versorgung auf höchstem Niveau zu gewährleisten".

Diese Äußerungen treffen bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen auf keinerlei Verständnis: Sie halten der Fachgesellschaft vor, das Programm nur wenige Wochen zuvor mit entwickelt und beschlossen zu haben. Nun trage die Krebsgesellschaft mit ihrer Haltung zu einer Verunsicherung der Patienten bei und verhindere die Verbesserung der Versorgung.

Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, stimmt ebenfalls in den Chor der Zweifler ein: Gegenüber der Wochenzeitschrift "Focus" erklärte er letzte Woche, die Chroniker-Programme seien "medizinisch fehlerhaft", lägen "teilweise unter dem heutigen Versorgungsstandard" und böten den Krankenkassen durch ihre Verkopplung mit dem Risikostrukturausgleich Anreiz, möglichst viele Mitglieder in die Programme zu "zwingen".

Blockadehaltung der Ärzte?

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt wies alle Kritik an den DMP entschieden zurück. Sie wirft den Ärzten nunmehr vor, die Programme, deren Voraussetzungen sie selbst mit entwickelt haben, zu blockieren. Was die Verbände betrifft, habe sie den Eindruck, diese wollten mit ihrem Widerstand nur von eigenen Versäumnissen ablenken, sagte die Ministerin vergangene Woche gegenüber dem "Handelsblatt". Überdies vermutet Schmidt, Verbände und Selbsthilfegruppen stünden unter massiver Einflussnahme der pharmazeutischen Industrie.

Die KBV erklärte zu den Vorwürfen, man habe die DMP-Inhalte unter enormen Zeitdruck erstellt - anderenfalls hätte die Ministerin im Juni nicht verkünden können, die strukturierten Behandlungsprogramme gingen bald an den Start. "Daher ist es völlig absurd, uns eine Blockadehaltung vorzuwerfen", so der KBV-Vorsitzende Manfred Richter-Reichhelm. Der KBV-Chef bemängelt an den DMP zudem, dass die Kassen durch sie umfangreiche und sensible Patientendaten erhalten sollen. "Wir Ärzte wollen nicht zu informellen Mitarbeitern der Krankenkassen degradiert werden", so Richter-Reichhelm.

DMP-Medikamente: Rückschritt um 30 Jahre ...

Die Pharma-Industrie will sich von Schmidt ebenfalls nicht zum "bequemen Sündenbock" machen lassen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der pharmazeutischen Industrie (BPI), Henning Fahrenkamp, erklärte, es sei "schlicht unmoralisch, der pharmazeutischen Industrie vorzuwerfen, sie wolle die Programme verhindern, weil viele teure Medikamente bei der Behandlung nicht berücksichtigt würden".

Die Industrie unterstütze alles, was die Qualität der Behandlung steigere, so Fahrenkamp. Doch die in den Behandlungsprogrammen für Diabetes vorrangig empfohlenen Arzneimittel für die orale Therapie seien 1969 und 1973 zugelassen - der therapeutische Fortschritt werde also um 30 Jahre zurückgedreht. Auch bei der medikamentösen Brustkrebstherapie beschränke man sich auf drei Substanzgruppen. Dies komme einem "therapeutischen Kahlschlag gleich", so der BPI-Geschäftsführer. Da für die Verordnungsfähigkeit von Medikamenten gefordert werde, dass sie sich in Langzeitstudien bewährt haben, stünden Innovationen erst mit großer Zeitverzögerung zur Verfügung.

... oder Schutz vor Pseudoinnovationen?

Rückendeckung erhält die Ministerin von dem Pharmakologen Peter Schönhöfer, dem Mitherausgeber des "Arzneimittel-Telegramms". Er sieht die medikamentöse Therapie durch die DMP nicht gefährdet, erklärte er in einem Interview mit dem AOK-Mediendienst. Beispiel Diabetes: hier habe sich zur Blutzuckersenkung die Behandlung mit Humaninsulin als Standard durchgesetzt. Die Industrie drücke aber "mit Macht Kunstinsuline in den Markt", die die Therapie um 35 Prozent verteuerten, ohne dass ein Zusatznutzen nachzuweisen sei.

Vielmehr stimulierten Kunstinsuline Zellteilungen und Zellwachstum - dies werde mit einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen in Verbindung gebracht, so Schönhöfer. Die Kritik seitens der Fachgesellschaften und Ärzteverbände hält der Pharmakologe für eine "Desinformationskampagne, hinter der viel Geld steckt". So habe die Industrie die Entwicklung der "Nationalen Versorgungs-Leitlinie" finanziell unterstützt - "nicht aus Nächstenliebe, sondern um die teuren Scheininnovationen zu fördern", so Schönhöfer.

Besagte Leitlinien enthielten eine Vielzahl empfohlener Arzneimittel, die nicht dem nachgewiesenen Standard bester Medizin entsprächen, so der Pharmakologe weiter. Beispiel: die Substanz Acarbose. Sie soll ein Ansteigen des Blutzuckerspiegels beim Essen vermindern. Während ein Nutzen dieses Medikaments nicht belegt sei, wisse man von Fällen schwerer Darm- und Lebererkrankungen. Seine Schlussfolgerung: "Die Nationale Versorgungs-Leitlinie wertet die Interessen der Industrie höher als die der Patienten".

Seit dem 1. Juli gilt die vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) erlassene Rechtsverordnung, welche die Voraussetzungen für Disease-Management-Programme (DMP) für Diabetes mellitus Typ 2 und Brustkrebs festlegt. Möglichst schnell wollte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ihre Chroniker-Programme realisieren. Kritiker behaupten nun, der Zeitdruck sei den Inhalten alles andere als förderlich gewesen – selbst wenn sie selbst an den Anforderungsprofilen mitgearbeitet haben.

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