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FDP: Apothekensystem nicht leichtfertig infrage stellen (DAZ-Interview)

(im). Kurz vor der Bundestagswahl haben wir die Gesundheitsexperten der Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in Berlin gebeten, zu einigen Fragen Stellung zu beziehen, die ApothekerInnen, PTA und PKA auf den Nägeln brennen. Der Liberale Dr. Dieter Thomae stellt den Apotheken ein gutes Zeugnis aus. Nach Meinung des gesundheitspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion war das Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln per Gesetz seinerzeit richtig, daran habe sich auch nichts geändert. Thomae kritisiert die jetzige Aut-idem-Regelung, man könne nicht nur den Preis zum Kriterium der Abgabe machen. Beim Thema Zuzahlungen plädiert die FDP für einen prozentualen Selbstbehalt bei Arzneimitteln mit einer absoluten Höchstgrenze. Die Fragen an Dr. Dieter Thomae richtete DAZ-Korrespondentin Susanne Imhoff-Hasse.

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Wie beurteilt die FDP-Bundestagsfraktion den jetzigen Distributionsweg bei Arzneimitteln? Teilen Sie die Ansicht von Fachleuten, dass er bei flächendeckender Versorgung der Bevölkerung sicher und kostengünstig ist?

Thomae:

Der Vertriebsweg für Arzneimittel über die Apotheken vor Ort hat sich gut bewährt. Die Patienten wissen, dass sie ihre Medikamente jederzeit, auch nachts und am Wochenende, in zumutbarer Nähe erhalten, dass die Arzneimittel sachgerecht gelagert worden sind und dass ein pharmakologisch geschulter Apotheker sie im Bedarfsfall umfassend berät. Ein solches System sollte man nicht leichtfertig infrage stellen.

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Uns interessiert Ihre Meinung zum Versandhandel mit Arzneimitteln, dessen Verbot erst 1998 ins Gesetz aufgenommen wurde. Sehen Sie Gefahren für das jetzige funktionierende System in Deutschland, wenn z. B. Versandhandel via Internet erlaubt würde?

Thomae:

Für das 1998 ins Gesetz aufgenommene Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln, das im Übrigen über alle Parteigrenzen hinweg verankert worden ist, gab es gute Gründe. An diesen Argumenten hat sich nichts Grundlegendes geändert. Nach wie vor sind Arzneimittel ein ganz besonderes Gut, für das besondere Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Die Erfahrungen mit dem Versandhandel allgemein belegen jedoch, dass es immer wieder einmal zu Pannen kommen kann, die wir uns in diesem Bereich jedoch nicht erlauben können.

Nicht von ungefähr haben sich Europapolitiker der SPD ebenfalls dagegen ausgesprochen, diesen Vertriebsweg zuzulassen. Im Übrigen: wer den Versandhandel mit Arzneimitteln zulassen will, muss ehrlicherweise zugeben, dass dann auch das gesamte Preissystem im Apothekensektor umgestellt werden müsste.

Es kann nicht angehen, dass Versandapotheken auf Zuzahlungen der Patienten verzichten können und mit ihren Preisen herunter gehen können, die an die Arzneimittelpreisverordnung gebundenen niedergelassenen Apotheker jedoch nicht. Ich rate jedem, sich einen solchen Schritt sehr gründlich zu überlegen.

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Die Apotheker ärgert bei der jetzigen Aut-idem-Regelung, dass ausschließlich der Preis maßgeblich ist und nicht die Auswahl unter pharmazeutischen Gesichtspunkten. Würde die FDP im Falle einer Regierungsbeteiligung an aut idem etwas ändern?

Thomae:

Die Aut-idem-Regelung ist ein einziges Desaster. Man kann nicht nur den Preis zum Kriterium der Abgabe von Arzneimitteln machen, wie die Bundesregierung das getan hat. Darüber hinaus ist die geschaffene Regelung strategieanfällig und sie ist in höchstem Maße verwaltungsaufwändig.

Das dafür benötigte Geld sollte man besser in die Versorgung kranker Menschen stecken. Solange nicht alle Demenzkranken mit den für sie notwendigen innovativen Produkten versorgt werden, weil das angeblich zu teuer ist, ist es um so verantwortungsloser, Versichertengelder im Bürokratendschungel versickern zu lassen.

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Was sagt die FDP zu dem Argument, nicht so sehr die Ausgaben als vielmehr die sinkenden Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung seien das Problem (z. B. geringere Einnahmen wegen Arbeitslosigkeit). Wie würden Sie im Falle einer Regierungsbeteiligung die Einnahmen stabilisieren?

Thomae:

Wir haben es im Gesundheitsbereich mit einem ganzen Bündel von Ursachen für die seit Jahren andauernden Schwierigkeiten zu tun. Neben den ausgabenrelevanten Faktoren eines steigenden Anteils älterer Menschen, der Verbesserungen beim medizinischen Fortschritt und steigenden Ansprüchen haben wir auf der Einnahmeseite das Problem einer sinkenden Lohnquote, die sich in Form von niedrigeren Beiträgen bemerkbar macht.

Zugleich ist der gesetzlichen Krankenversicherung viel Geld für andere Sozialversicherungszweige entzogen worden. Das rächt sich nun bitterlich. Wer das Gesundheitssystem reformieren will, muss deshalb auf allen Ebenen anpacken. Neben der Konzentration der Leistungen auf das medizinisch unbedingt Notwendige und der Herausnahme versicherungsfremder Leistungen gehört hierzu auch eine Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages als Lohnbestandteil.

Auf diese Weise wird transparent, was der Versicherungsschutz den Einzelnen wirklich kostet und schafft den Freiraum für allein an den Wünschen der Versicherten ausgerichtete Lösungen. Darüber hinaus muss der Wettbewerb genutzt werden, um ohne bürokratische Auflagen eine effiziente, qualitätsorientierte Gesundheitsversorgung zu garantieren.

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Gibt es Vorstellungen für Änderungen bei den Zuzahlungen der Patienten zu Arzneimitteln?

Thomae:

Zuzahlungen sind nicht nur ein Finanzierungsinstrument. Sie sind in allererster Linie ein Instrument, um zu kostenbewusstem Verhalten anzuregen. Das funktioniert aber nur dann, wenn kostenbewusstes Verhalten sich merklich auszahlt. Wir plädieren deshalb für eine prozentuale Zuzahlung bei Arzneimitteln mit einer absoluten Höchstgrenze.

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Würden die Liberalen eine "große" Gesundheitsreform im Falle einer Regierungsbeteiligung anstoßen oder auf punktuelle Änderungen setzen?

Thomae:

Wir brauchen eine umfassende Gesundheitsreform, damit die Patienten, die Versicherten und diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, wieder eine langfristige Perspektive haben und nicht permanent Ad-hoc-Entscheidungen jede Planbarkeit zunichte machen. Das ist auch von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung des Gesundheitsmarktes als Wachstumsmarkt. Wer investiert, braucht Verlässlichkeit für seine Entscheidungen.

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Herr Dr. Thomae, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!

Kastentext

Dr. Dieter Thomae ist seit 1987 Mitglied des Deutschen Bundestags. In der vergangenen Legislaturperiode (bis 1998) war er Vorsitzender des Bundestags-Gesundheitsausschusses. Derzeit ist der Liberale gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.

Zitate

Die Aut-idem-Regelung ist ein einziges Desaster. Dr. Dieter Thomae, FDP

Wir brauchen eine umfassende Gesundheitsreform, damit die Patienten, die Versicherten und diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, wieder eine langfristige Perspektive haben ... Dr. Dieter Thomae, FDP

Neben der Konzentration der Leistungen auf das medizinisch unbedingt Notwendige und der Herausnahme versicherungsfremder Leistungen gehört hierzu (zu einer Reform, die Red.) auch eine Auszahlung des Arbeitgeberbeitrages als Lohnbestandteil. Auf diese Weise wird transparent, was der Versicherungsschutz den Einzelnen wirklich kostet. Dr. Dieter Thomae, FDP

Die Erfahrungen mit dem Versandhandel allgemein belegen jedoch, dass es immer wieder einmal zu Pannen kommen kann, die wir uns in diesem Bereich jedoch nicht erlauben können. Dr. Dieter Thomae, FDP

FDP: Apothekensystem nicht leichtfertig infrage stellen Der Liberale Dr. Dieter Thomae stellt den Apotheken ein gutes Zeugnis aus. Nach Meinung des gesundheitspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion war das Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln per Gesetz seinerzeit richtig, daran habe sich auch nichts geändert. Thomae kritisiert die jetzige Aut-idem-Regelung, man könne nicht nur den Preis zum Kriterium der Abgabe machen. Beim Thema Zuzahlungen plädiert die FDP für einen prozentualen Selbstbehalt bei Arzneimitteln mit einer absoluten Höchstgrenze.

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