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DAZ-Interview: Seehofer: Qualifizierte Arbeit der Apotheker unverzichtbar

Kurz vor der Bundestagswahl haben wir die Gesundheitsexperten der Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in Berlin gebeten, zu einigen Fragen Stellung zu beziehen, die ApothekerInnen, PTA und PKA auf den Nägeln brennen. In unserem ersten Gespräch unterhielten wir uns mit Horst Seehofer von der Union. Er lobt das jetzige System der Arzneimittelversorgung durch freiberuflich tätige Apothekerinnen und Apotheker. Der stellvertretende Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich darüber hinaus klar gegen den Versandhandel mit Arzneimitteln aus. An der geltenden Aut-idem-Regelung lässt er kein gutes Haar, sie sei unausgegoren. Käme die Union wieder in Regierungsverantwortung, würde sie die jetzige Bevorzugung der Arzneimittel-Importe abschaffen, sagt Seehofer. Als zentrales Ziel der Union nennt der Ingolstädter eine stärkere Rolle der Patienten. Die Fragen an Horst Seehofer stellte DAZ-Korrespondentin Susanne Imhoff-Hasse.

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Wie beurteilt die Bundestagsfraktion von CDU/CSU den jetzigen Distributionsweg bei Arzneimitteln? Teilen Sie die Ansicht von Fachleuten, dass er bei flächendeckender Versorgung der Bevölkerung sicher und kostengünstig ist?

Seehofer:

Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich die Übertragung der Arzneimittelversorgung in die Verantwortung freiberuflich tätiger Apotheker nach wie vor für das effizienteste System halte. Die Apotheker haben über Jahrzehnte einen guten Beitrag zur medizinischen Versorgung der Patienten geleistet. Hier gibt es meiner Ansicht nach keinen grundsätzlichen Änderungsbedarf.

Ich freue mich darüber, dass die Apotheker in den letzten Jahren mit geeigneten Konzepten zur Verbesserung ihrer beratenden Funktion in die Offensive gegangen sind. Zu diesen Ideen gehört vor allem auch ihr Angebot einer engeren Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft. Eine gemeinsame Abstimmung in Fragen der Selbstmedikation, des Arzneimittelsortiments, der Arzneimittelqualität sowie der Anleitung der Patienten zum ordnungsgemäßen Gebrauch der Arzneimittel sind überzeugende und erfolgversprechende Ansätze für das Ziel, die Effektivität und Effizienz der Arzneimittelversorgung zu verbessern.

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Uns interessiert Ihre Meinung zum Versandhandel mit Arzneimitteln, dessen Verbot erst 1998 ins Gesetz aufgenommen wurde. Sehen Sie Gefahren für das jetzige funktionierende System in Deutschland, wenn z. B. Versandhandel via Internet erlaubt würde?

Seehofer:

Grundsätzlich ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Ansicht, dass die qualifizierte und engagierte Tätigkeit der Apotheker unverzichtbar ist und nicht durch den Handel über das Internet ersetzt werden kann.

Durch eine Zulassung von Versandhandel und Internetapotheken sehe ich eine Gefährdung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung durch öffentliche Apotheken. Allen Beteiligten ist klar, dass die traditionelle Apotheke von der Akutversorgung allein nicht "leben" kann. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sind zwangsläufig höhere Kosten die Folge, insbesondere bei Nacht- und Notdiensten, Rezepturen, niedrigpreisigen Arzneimitteln und der pharmazeutischen Beratung. Die aufwändige, kostenintensive Arbeit hätten demzufolge die öffentlichen Apotheken, während das einfache und schnelle Geschäft der Versandhandel macht.

Der Internethandel würde jedoch nicht nur die wohnortnahe Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln gefährden, sondern beinhaltet auch ein Risiko bei der Arzneimittelsicherheit. Diese Befürchtung konnte bisher von den Befürwortern des Internethandels aus meiner Sicht nicht überzeugend widerlegt werden.

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Die Apotheker ärgert bei der jetzigen Aut-idem-Regelung, dass ausschließlich der Preis maßgeblich ist, und nicht die Auswahl unter pharmazeutischen Gesichtspunkten. Würde die Union im Falle einer Regierungsbeteiligung an aut idem etwas ändern?

Seehofer:

Die von der Bundesgesundheitsministerin durchgesetzte Aut-idem-Regelung führt zur totalen Ökonomisierung der Arzneimittelversorgung. Die Patienten sollen nach dem Willen der Bundesgesundheitsministerin künftig nicht mehr das beste, sondern nur noch das billigste Arzneimittel erhalten. Eine solche Politik ist absolut falsch und wird von CDU und CSU mit massiven Mitteln bekämpft.

Der erste Grundsatz muss sein: Die Verantwortung für die Medikamententherapie gehört in die Hand des Arztes und darf ihm nicht genommen werden. Alles andere führt zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko. In der Medikamententherapie wird es ein undurchschaubares Durcheinander geben und der nächste Arzneimittelskandal ist vorprogrammiert. Dafür ist die Bundesgesundheitsministerin dann ganz persönlich verantwortlich.

In der Amtszeit der früheren CDU/CSU-geführten Bundesregierung ist die fakultative Aut-idem-Regelung eingeführt worden. Diese war allerdings beschränkt auf Fälle, bei denen der Arzt sich freiwillig dafür entschied und dies auf dem Rezept vermerkt wurde. Gedacht war dabei an die Situationen in der Nacht und an Wochenenden, bei denen es im Notfall möglich sein sollte, auf andere Präparate auszuweichen, wenn das verordnete Präparat nicht zur Verfügung steht. Bereits damals gab es gewichtige Gründe, die gegen eine generelle Aut-idem-Regelung sprachen. Diese Gründe gelten noch heute:

  • Die Bedeutung der Bioäquivalenz bei wirkstoffgleichen Fertigarzneimitteln. Auf Grund der galenischen Zubereitung kann der Mechanismus der Freisetzung bei Präparaten mit gleichem Wirkstoff unterschiedlich sein.
  • Die Frage der Compliance. Erhalten Patienten in unterschiedlichen Apotheken jeweils unterschiedliche Präparate für den gleichen Wirkstoff, bestünde die Gefahr, dass seitens der Patienten die Akzeptanz und Bereitschaft zur Mitwirkung an der Therapie beeinträchtigt würde.
  • Die Frage der Haftung für Therapiefolgen. Dafür muss alleine der Arzt haften. Dieser stellt die Diagnose und Indikation, dieser kennt Begleiterscheinungen und Allergieneigungen. Dieser muss sich daher darauf verlassen können, dass das von ihm gewählte Therapeutikum auch zur Anwendung kommt. Die Verantwortung für den Patienten kann nicht zwischen Diagnose und Therapie oder Arzt und Apotheker aufgeteilt werden. Hier geht es auch um die Frage der Therapiefreiheit der Ärzte.
  • Die Frage der Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit der Verordnungen. Derzeit sind die Ärzte in der ökonomischen Verantwortung für die Arzneimittelverordnungen. Bei Unwirtschaftlichkeit werden sie zu Regresszahlungen verpflichtet. Bei einer generellen Aut-idem-Regelung treten die Apotheker in diese ökonomische Haftung mit ein. Damit wird es aber schwieriger festzumachen, wer die Verantwortung für unwirtschaftliche Verordnungen trägt.
  • Die Aut-idem-Regelung wird bei der bestehenden Preisspannenverordnung keinen Anreiz für den Apotheker liefern, billigere Präparate abzugeben. Eher ist das Gegenteil der Fall. Also müsste die Preisspannenverordnung künftig so verändert werden, dass die Abgabe preisgünstigerer Präparate dem Apotheker höhere Gewinne brächte. Dazu müsste allerdings auch das System der Naturalrabatte überprüft und gegebenenfalls abgeschafft werden, da ansonsten das wirtschaftliche Interesse der Apotheker bei der Arzneimittelabgabe im Vordergrund steht.

Auf Grund dieser Argumente ist die generalisierte Aut-idem-Regelung völlig unausgegoren und ohne Aussicht auf Erfolg. Mit solchen Spielereien kann unser Gesundheitswesen nicht saniert werden.

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Die von SPD/Grünen gewollte Förderung der Arzneimittel-Importe bringt in der Apothekenpraxis große Probleme, z. B. bei der Patientencompliance und der Verfügbarkeit der Präparate. Wie steht die Union zu Importen?

Seehofer:

Wir haben zu unserer Regierungszeit die Privilegierung von Parallel- und Reimporten aus preisregulierten Ländern der Europäischen Union auch deswegen abgeschafft, weil es Probleme bei der Patientencompliance und bei der Verfügbarkeit gab. Es steht für mich auch heute fest, dass diese Entscheidung richtig war.

Wir werden daher die von der jetzigen Bundesregierung wieder eingeführte Regelung zur Förderung von Arzneimittel-Importen erneut abschaffen. Sie ist auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil Deutschland mit seinen Arzneimittelpreisen nicht mehr an der Spitze, sondern im europäischen Mittelfeld steht.

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Was sagt die Union zu dem Argument, nicht so sehr die Ausgaben als vielmehr die sinkenden Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung seien das Problem (z. B. geringere Einnahmen wegen Arbeitslosigkeit). Wie würden Sie im Falle einer Regierungsbeteiligung die Einnahmen stabilisieren?

Seehofer:

Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit sind eng mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verknüpft. Nur eine starke und leistungsfähige Wirtschaft ermöglicht es dem Staat und den Sozialversicherungen, ihre Aufgaben zu Gunsten der sozial Schwachen zu erfüllen. Deswegen ist die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen einer grundlegenden Gesundheitsreform eine Politik für mehr Beschäftigung und Wachstum und die daraus resultierende finanzielle Stabilität der Sozialversicherungen.

Selbstverständlich bleibt der wirtschaftliche Umgang mit den Beitragsmitteln der GKV eine Daueraufgabe. Die Kostendämpfungspolitik der Vergangenheit darf aber nicht mehr im Mittelpunkt stehen. Deshalb werden wir die finanzielle Ausstattung der GKV am medizinischen Bedarf orientieren.

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Wie soll die von Ihnen vorgeschlagene stärkere Eigenverantwortung der Patienten konkret aussehen? Gibt es Pläne für Änderungen bei den Zuzahlungen der Patienten zu Arzneimitteln?

Seehofer:

Das zentrale gesundheitspolitische Anliegen der Union ist die Stärkung der Rolle der Patienten. Neben der Beibehaltung der freien Arzt- und Krankenhauswahl müssen die Entscheidungsfreiheiten auch bei der Vertragsgestaltung mit den Krankenkassen verbessert werden. Nur wenn verschiedene Versorgungsangebote und verschiedene medizinische Methoden miteinander konkurrieren, haben die Patienten eine Auswahl und können sich für die aus ihrer Sicht beste Versorgungsform entscheiden.

Staatliche Planung und Reglementierung kann dies nicht leisten. Ein Vertragswettbewerb innerhalb klarer sozialpolitischer Spielregeln ist eher geeignet, die Strukturdefizite des Gesundheitswesens zu beseitigen, die Qualität der medizinischen Versorgung zu verbessern und die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen.

Nach Auffassung der CDU und CSU soll künftig jeder selbst entscheiden können, ob er den bisherigen Versorgungsumfang beibehalten, zusätzliche Leistungen (z. B. Akupunktur, besondere Naturheilverfahren, aufwändiger Zahnersatz etc.) haben will oder sich bei gleichzeitiger Beitragsermäßigung zu einem Selbstbehalt oder mehr Eigenvorsorge verpflichtet. Warum sollen wir den Menschen diese Kompetenz zur freien Entscheidung über den versicherten Leistungsumfang nicht zugestehen ?

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Würde die Union eine "große" Gesundheitsreform im Falle einer Regierungsbeteiligung anstoßen oder auf punktuelle Änderungen setzen?

Seehofer:

Ich möchte ein solidarisches Gesundheitswesen, das dem Ziel verpflichtet ist, eine bedarfsgerechte Versorgung nach dem Stand des medizinischen Wissens und Könnens unabhängig vom Einkommen, Alter, Art der Krankheit oder Familienstand des Patienten zu gewährleisten. Alles was dem dient, ist unverzichtbar, alles andere nicht!

Unser Konzept zur Zukunft der Gesetzlichen Krankenversicherung baut auf vier Säulen auf: Prävention, Transparenz, Wettbewerb und Selbstbestimmung der Versicherten. Dabei geht es nicht um punktuelle Änderungen des bestehenden Systems, sondern um eine grundlegende Neuausrichtung. Im Mittelpunkt stehen dabei die Patienten mit ihren Bedürfnissen. Diese sollen künftig auf eine verlässliche und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung vertrauen dürfen. Dazu werden sie mehr Rechte und Wahlfreiheiten erhalten. Ohne eine Stärkung der Selbstbestimmung der Versicherten hat die gesetzliche Krankenversicherung keine Zukunft.

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Herr Seehofer, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!

Zitatkästen:

habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich die Übertragung der Arzneimittelversorgung in die Verantwortung freiberuflich tätiger Apotheker nach wie vor für das effizienteste System halte. Horst Seehofer, CSU

Der Internethandel würde jedoch nicht nur die wohnortnahe Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln gefährden, sondern beinhaltet auch ein Risiko bei der Arzneimittelsicherheit. Diese Befürchtung konnte bisher von den Befürwortern des Internethandels aus meiner Sicht nicht überzeugend widerlegt werden. Horst Seehofer, CSU

Wir werden (...) die von der jetzigen Bundesregierung wieder eingeführte Regelung zur Förderung von Arzneimittel-Importen erneut abschaffen. Horst Seehofer, CSU

Das zentrale gesundheitspolitische Anliegen der Union ist die Stärkung der Rolle der Patienten. Horst Seehofer, CSU

Kasten:

Horst Seehofer ist seit Oktober 1998 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin. Der Ingolstädter ist seit 1980 Mitglied des Deutschen Bundestags. 1989/1992 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesarbeitsministerium, zwischen 1992 und 1998 war er Bundesgesundheitsminister. Mit diesem Zeitraum war er (im Mai 1998) der dienstälteste Gesundheitsminister Deutschlands.

Kurz vor der Bundestagswahl haben wir die Gesundheitsexperten der Bundestagsfraktionen von SPD, CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gebeten, zu einigen Fragen Stellung zu beziehen, die ApothekerInnen, PTA und PKA auf den Nägeln brennen. In unserem ersten Gespräch lobt Horst Seehofer von der Union das jetzige System der Arzneimittelversorgung durch freiberuflich tätige Apothekerinnen und Apotheker. Er spricht sich darüber hinaus klar gegen den Versandhandel mit Arzneimitteln aus. An der geltenden Aut-idem-Regelung lässt er kein gutes Haar: Käme die Union wieder in Regierungsverantwortung, würde sie die jetzige Bevorzugung der Arzneimittel-Importe abschaffen.

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