Die Seite 3

Irgendwie hatten wir es doch geahnt! Ende Mai (DAZ 22, S.3) hatten wir in einem Editorial erstaunt registriert, wie sehr sich allem Anschein nach die Bundesregierung von DocMorris verschaukeln und an der Nase herumführen lässt.

Ausgangspunkt war damals eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion. Die Liberalen hatten u. a. gefragt, ob es möglich sei, dass die niederländische Versandapotheke ihre Preisnachlässe auf den deutschen Apothekenverkaufspreis aus der Mehrwertsteuerdifferenz zwischen Deutschland (16 %) und den Niederlanden (6 %) bezahlt. Darauf hatte die Bundesregierung über das zuständige Gesundheitsministerium zum Besten gegeben, DocMorris habe die Bundesregierung autorisiert, zweierlei mitzuteilen: der niederländische Arzneiversender sei beim zuständigen deutschen Finanzamt erfasst und er unterwerfe "Versendungslieferungen nach Deutschland" der deutschen Umsatzsteuer.

So weit, so gut. Allerdings gehören "Versendungslieferungen nach Deutschland" aus der Sicht von DocMorris ja allenfalls der Vergangenheit an. Der Versender hatte nach seiner Verurteilung vor dem OLG Frankfurt mit dem darin für Deutschland bekräftigten Versendeverbot keck verkündigt, dann spiele man eben die "Doof-Karte": Versand finde nicht mehr statt, weil zukünftig ein Logistikunternehmen – formal vom Patienten beauftragt, bezahlt aber von DocMorris – die Arzneimittel in den Niederlanden abhole. Das mit der zugesicherten "deutschen Umsatzsteuer" für "Versendungslieferungen nach Deutschland" wäre demnach praktisch eine Nullnummer, eine Luftbuchung.

Es ist schon erstaunlich, wie viele Politiker, Kassenfunktionäre und Journalisten den Niederländern trotz ihrer perfiden Tricksereien nach wie vor auf den Leim gehen. Woher nehmen die Fans der Arzneiversender eigentlich den Optimismus, dass der lockere Umgang mit bestehendem Recht, mit Wahrheit und Wahrhaftigkeit sich bei den "Versandapotheken" nicht fortsetzt, wenn es um die Interessen der Kunden und ihrer Krankenkassen geht?

Vor diesem Hintergrund verdient große Aufmerksamkeit, was Dr. Barbara Hendricks, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, unlängst verlauten ließ. Sie antwortete auf eine schriftliche Frage des CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Wolf Bauer. Bauer ist Apotheker und einer der führenden Gesundheitspolitiker seiner Fraktion. Er hatte mit Blick auf die Versandapotheke DocMorris gefragt: "In welcher Höhe und an welchen Staat wird Umsatzsteuer abgeführt, wenn Arzneimittel zu Lasten gesetzlicher Krankenkassen und privater Krankenkassen von einer niederländischen Arzneimittelversandapotheke durch einen formell vom Versicherten bzw. Patienten beauftragten Abholdienst in den Niederlanden abgeholt und den Versicherten zugestellt werden?"

Darauf Frau Hendricks: "Werden durch einen von einem privaten Abnehmer beauftragten Abholdienst Arzneimittel in einer niederländischen Apotheke abgeholt und dem Abnehmer zugestellt, so sind diese Lieferungen in den Niederlanden der Umsatzsteuer in der dort gesetzlich vorgeschriebenen Höhe (in der Regel 6 Prozent) zu unterwerfen. Dies gilt auch, wenn dem Abnehmer die Lieferung in Deutschland zugestellt wird."

Das ist eine klare, unmissverständliche Aussage. Barbara Hendricks wird wissen, wovon sie redet – nicht nur Kraft Amtes. Sie hat in Kleve für den Bundestag kandidiert. Dort sitzt das Finanzamt, an das die Mehrwertsteuer von DocMorris fließen müsste – falls da welche fließt, falls da welche fließen müsste.

Folgt man der Auffassung, dass DocMorris nicht (mehr) nach Deutschland versendet, weil die Arzneimittel, jedenfalls formal, in Holland abgeholt werden – dann hätte der niederländische Finanzminister Anspruch auf seine 6 % Mehrwertsteuer; es ist kaum anzunehmen, dass er darauf verzichten möchte oder könnte. Der deutsche Fiskus ginge leer aus. Gratulation, Herr Eichel! Gratulation, Frau Schmidt!

Folgt man andererseits der Auffassung, dass DocMorris sehr wohl selbst nach Deutschland versendet – dann hätte der deutsche Finanzminister Anspruch auf 16 % Mehrwertsteuer; und zugleich wäre dies ein Fall für den Staatsanwalt: "Nach geltendem Recht ist der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, auch wenn er grenzüberschreitend erfolgt, gemäß § 43 Abs.1 des Arzneimittelgesetzes verboten" – so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Liberalen. Fehlt nur der Wille oder fehlen auch die Möglichkeiten, das deutsche Versandverbot in den Niederlanden durchzusetzen? Beides wäre gleichermaßen schlimm.

Noch schlimmer ist: die faktische Nicht-Durchsetzbarkeit unserer Rechtvorschriften bezieht sich ja nicht nur auf das Versenden. Sie gilt auch für viele andere Bestimmungen (z. B. jene über die Inhalte der Packungsbeilagen), die sonst im Inland zum Schutz der Verbraucher beachtet werden müssen – und beachtet werden. All diese Bestimmungen könnten wir in Zukunft getrost in der Pfeife rauchen, wenn clevere Geschäftemacher sie durch Versenden aus dem Ausland beliebig unterlaufen können, ohne faktisch Sanktionen befürchten zu müssen.

Mir selbst hat DocMorris z. B. eine niederländische Packung mit Ibuprofen-Tabletten und mit einem Beipackzettel in niederländischer Sprache zugesandt; ein beigelegter, knapp gefasster Zettel in deutscher Sprache war mit dem Hinweis versehen, er ersetze nicht den Beipackzettel. Dass sich an solchen und ähnlichen rechtswidrigen Praktiken etwas zum Positiven ändern wird, wenn die Ost-Erweiterung der Gemeinschaft einmal umgesetzt ist, werden nur Witzbolde behaupten. Eher müssen wir mit dem Gegenteil rechnen.

Auch dies sollte die neue Bundesregierung in ihre Überlegungen einbeziehen, wenn das Thema "Versandhandel mit Arzneimitteln" in der nächsten Legislaturperiode erneut auf die Agenda kommt. Und sie sollte auch bedenken, dass wir mit der Akzeptanz des Arzneimittel-Versandhandels inner- und zwischenstaatliche Sicherungsbarrieren und Kontrollmöglichkeiten einreißen, deren Nichtexistenz bei Futter- und Nahrungsmitteln uns allen derzeit große Sorgen bereiten.

Klaus G. Brauer

Tricksereien pro Versand

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.