DAZ Wissenswert

Multifunktionale Kleidung: Smart Clothes

Die intelligente Kleidung steht vor der Markteinführung. Gemeint sind Sakkos mit Internetanschluss, Unterhemden mit Kaloderma oder Blusen gegen Elektrosmog. Banale monofunktionale Socken hingegen werden wohl bald der Vergangenheit angehören.

Kampfanzug und Überlebensjacke

Das Militär hat sich der Aufrüstung der Kleidung schon lange angenommen. Vollkommen autarke, dafür ferngesteuerte Soldaten sollen künftige Schlachtfelder durchstreifen. Kampfanzüge werden zu einem zweiten Zuhause. Heiz- und kühlbar, wasserdicht und atmungsaktiv, sind sie ausgestattet mit Internetanschluss und Zugriff auf notwendige Datenbanken, mit GPS-System und eigener Energiequelle. Der Held von morgen ruft nur noch seine Befehle über die Datenbrille ab, um den Überblick zu behalten. Mit elektrischen Gehhilfen marschiert er über Wochen durch eisige Gletscherlandschaften und schwülheiße Tropen, vorausgesetzt, er verhungert nicht vorher. Gleich nach den Söldnern kommt der Abenteurer. Die finnische Firma Reima bietet bereits eine Überlebensjacke mit dazugehörigem Gürtel für das ewige Eis an. Das intelligente Textil gibt auch denen eine Chance, die sich in Lawinengebieten übernommen haben. Im Schnee versunken, registrieren die Sensoren der Jacke Herzschlag und Temperatur. Sinken die Werte dramatisch ab, wird automatisch ein Signal an die Rettungswacht gesendet. Das eingebaute GPS lotst die Helfer zum Verunglückten.

Drei Stunden für eine elektronische Jacke

ICD+ nennt sich die von Levi's und Philips entwickelte Jacke mit Telefon und MP3-Spieler. Bei Levi's spricht man von Arbeitsjacke für Produzenten, Seeleute und Waldarbeiter, "bei denen Kommunikation, Unterhaltung und Bewegungsfreiheit im Vordergrund stehen", so ein Manager. Mikrofon und Kopfhörer sind im Kragen eingearbeitet. Die Kabel verlaufen zwischen Innenfutter und Deckschicht. Teilweise wird der Strom auch über die Textilie geleitet. Für 900 Euro in elf handverlesenen Boutiquen angeboten, findet der Versuchsballon aus wärmeisoliertem, metallbeschichtetem Nylon nur mäßigen Absatz. Jacke und Elektronikbausatz werden auch getrennt verkauft. Der Zusammenbau soll drei Stunden in Anspruch nehmen. In Deutschland hat man sich des Themas "Funktionskleidung" angenommen, da das Marktpotenzial erheblich scheint. Doch sollte, wie es ein Unternehmer ausdrückte, "eine Jacke nicht komplizierter als ein Videorekorder zu bedienen sein".

Zielgruppen: vom Jungdynamiker bis zur selbstbewussten Frau

Professor Wolf Hartmann vom Klaus-Steilmann-Institut in Bochum sieht einen Megatrend heraufziehen. Einige Textilunternehmen werden, so Hartmann, in die Fußstapfen von Nokia treten, das einst Gummistiefel herstellte. Die ersten Zielgruppen sollen sein: Militär, Feldarbeiter, Ärzte, Jugendliche und Senioren. Funktionskleidung wird aber auch in die "normale" Mode für den Jungdynamiker und die selbstbewusste Frau sickern. Soeben ist ein Prototyp vorgestellt worden, der das schwierige Zusammenwachsen von Design und Mikroelektronik demonstriert. Die Staatliche Modeschule Stuttgart hat unter der Leitung von Ute Sanzenbacher einen ersten Hosenanzug entworfen, der nicht nur Mobiltelefon, MP3-Spieler und Datenbank aufnehmen kann, sondern auch sein eigenes Kraftwerk mit sich führt. Das war nicht einfach, denn während sich in Schimanski-Jacken wohl nahezu alles verstauen ließe, bereiten eng geschnittene Anzüge oder leichte Sommerkleider erhebliche Probleme für die Schneider.

Direktricen bügeln keine Batterien

Die Entwurfsdirektricen um Frau Sanzenbacher verweigerten sich dem naheliegenden futuristischen Design und setzten bewusst auf einen tragbaren klassischen Stil. Denn die Anforderungen an ein "Smart Clothes Jacket" sind hoch. Die Geräte sollen unsichtbar sein und, sozusagen subkutan, mit Strom versorgt werden. Das Textil muss dabei ansehnlich geschneidert und, bei hohem Tragekomfort, auch noch pflegeleicht sein. Diese auf den ersten Blick banalen Forderungen entpuppten sich während der Entwicklung als schier unüberwindlich. Ein Jackett trägt, außer den Endgeräten, die Solarzellen, einen Ladungsregler, aufladbare Akkumulatoren und schließlich einen Spannungswandler, der die Eingangsspannung von 3 V auf 5 V für das Telefon bringt. Fünf Bauteile zu verdrahten ist kein Problem. Doch die mehreren Meter Kabel in eine Jacke einzunähen, ohne Einbußen an Tragekomfort, Ästhetik und Praktikabilität, ist eine Herausforderung, die noch nicht gelöst ist, wie Frau Sanzenbacher meint. "Ein Kleidungsstück muss nicht nur waschbar sein", sagt sie. "Wie bügle ich eine eingenähte Batterie?", sei eine weitere k.o.-Frage des Projektes.

Vom Maschinenbau lernen

Die Bekleidungstechnikerin Anna-Louise Kaluza geht noch einen Schritt weiter. "Wir hinken dem Maschinenbau hinterher", meint sie. Wir könnten zwar einen Körper einscannen, hätten aber keine Programme, um die dreidimensionalen Daten mitsamt der Elektronik in zweidimensionale Schnitte umzusetzen. Auch ganz schlichte Eigenschaften erfüllen die Entwürfe bisher nicht: Die Steckverbindungen zu den Geräten korrodieren, die Akkumulatoren überleben nicht einmal den Vorwaschgang. Als weiteren Knackpunkt sieht sie die Schnelllebigkeit der Mode und damit die Frage nach der Sinnhaftigkeit hoher Investitionskosten. Dennoch sind alle Beteiligten guten Mutes. Die Modeschule Stuttgart arbeitet bei diesem Projekt mit der Weberei Lauffenmühle GmbH, dem Hohensteiner Textilforschungsinstitut und dem Institut für Physikalische Elektronik der Universität Stuttgart unter Leitung von Prof. Dr. Jürgen Werner zusammen. Der Physiker arbeitet an einer Photovoltaikanlage mit ausreichender Energielieferung. Eine Solararmbanduhr begnügt sich mit 0,0002 Watt Stromverbrauch, ein Mobiltelefon verlangt dagegen schon 2 Watt Leistungsaufnahme. Auf den Schultern eines Jacketts lassen sich auf etwa 500 cm2 Siliciumplättchen platzieren. Mehr geht nicht. Nur bei strahlendem Sonnenschein reicht das bisher, um ein Handy mit Strom zu versorgen. Neben der geringen Leistungsabgabe sind die Plättchen aus kristallinem Silicium auch noch extrem zerbrechlich. Werner arbeitet deshalb an flexiblen Kunststoffstreifen, auf die Cu(In,Ga)Se2, ein biegsamer Halbleiter, aufgedampft werden kann. Diese Solarzellen produzieren jedoch weniger Strom, bisher jedenfalls. Der Physiker meint lapidar: "Was wir sehen, ist das Ford-T-Modell. Bis wir einen echten 'Smart' haben, dauert es noch ein wenig. Aber er wird kommen."

Textilien mit elektronischen Funktionen

Und die Konkurrenz schläft nicht. Am Textilforschungsinstitut Thüringen/Vogtland in Greiz ist man einen Schritt weiter. Mit elektrisierten Fäden will man dort die Kabel überflüssig machen. "Die Bauteile müssen selbst textil werden, und die Textilien müssen elektronische Funktionen ausüben", fordert die dortige Mitarbeiterin Sabine Gimbel. Erst das sei "wirklich smart". Genau diese Forderung hat die britische Firma Eleksen bereits umgesetzt. Ihre textile Tastatur kann aus beliebigen Stoffen hergestellt werden. Sie ist waschbar und kann um Minicomputer gewickelt oder irgendwo hingeknuddelt werden. Damit ließe sich ein Mobiltelefon weitgehend auf Kopfhörer und Mikrofon reduzieren. Textile Bildschirme sind in der Entwicklung.

Hautcreme im Unterhemd

Die Zeit der Funktionstextilien beginnt gerade erst. Zu den interessantesten Entwicklungen zählen die Biofunktionstextilien. Bakteriostatische Gewebe und Tuche, die vor Elektrosmog schützen, gehören ebenso dazu wie medizinisch-pharmakologisch aktive Bekleidung. Kranke kontrollieren in Zukunft nicht nur permanent ihre Körperfunktionen und speisen sie beim Arztbesuch in dessen PC ein. In die textile Oberfläche integrierte Nanokapseln aus Cyclodextrinderivaten werden schon bald Duftstoffe, Hautcremes oder Pharmaka sukzessive an die Haut abgeben. Entsprechend ausgestattete Bettwäsche wird spürbar zur Erholung beitragen. Sobald man sich in die Decken kuschelt, setzt die Wärme die Cyclodextrin-Nanokapseln in Funktion. Sie können wahlweise Düfte freisetzen oder unangenehme Gerüche binden. Nach der Wäsche ist der Geruch verschwunden, das Cyclodextrin aber nicht. Als erstes Unternehmen startet Karstadt im Frühjahr 2003 eine Großoffensive, um die Kunden mit den neuen Produkten vertraut zu machen. Im KaDeWe wird es losgehen. Hoffentlich werden bis dahin die schnuckeligen Handys nicht schon unter die Haut geschoben.

Kastentext: Messeneuheiten

Themenkreise auf der Avantex, Messe Frankfurt, 13. bis 15. Mai 2002: Fitness and Wellness, Business, Security and Protection, Games and Fun sowie Xyberwear – etwa Solarjacketts, Memorywesten, Sicherheitskleidung, die im Dunkeln leuchtet, anziehbare Kommunikationstechnologie und Computer.

Kastentext: Kinderschutz

Kinder werden einen SOS-Transponder um den Hals hängen haben. Droht der Nachbarsjunge mit Prügel, können sie sofort zu Hause Alarm geben. Integriertes GPS lässt sie überall wiederfinden.

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