Rechtsprechung aktuell

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht: Versand verboten – Klinikpacku

Rechtlicher Sprengstoff aus dem hohen Norden: In einem kürzlich veröffentlichten Urteil hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht festgestellt, dass Justizvollzugsanstalten zwar nicht im Wege des Versandes mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln beliefert werden dürfen, jedoch das geltende Arzneimittelrecht den zuständigen Landesbehörden die Möglichkeit eröffnet, zentrale Beschaffungsstellen zur Arzneimittelbelieferung von Gefängnissen einzurichten. Bereits heute, so die Richter, könnten Justizvollzugsanstalten von öffentlichen Apotheken mit Klinikpackungen versorgt werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 11. Dezember 2001, Az.: 6 U 48/01)

In seiner Entscheidung stellt das Oberlandesgericht zunächst fest, dass ein Apotheker, der – von Einzelfällen abgesehen – apothekenpflichtige Arzneimittel an Justizvollzugsanstalten versendet, gegen das Versandhandelsverbot in § 43 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) und § 17 Abs. 1 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verstößt. Damit liegt gleichzeitig ein Wettbewerbsverstoß im Sinne von § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vor. Im vorliegenden Fall hatte der beklagte Apothekenleiter nach Anforderung der jeweiligen Justizvollzugsanstalten die bestellten Arzneimittel bereitgestellt und sie einem von den Behörden beauftragten Transportunternehmen zur Weiterleitung übergeben. Darin sah das Gericht einen unzulässigen Arzneimittelversand, da Medikamente nach § 17 Abs. 1 ApBetrO nur in den Apothekenbetriebsräumen in Verkehr gebracht werden dürfen und der Begriff des Versandes, so das Gericht, "schutzzweckbezogen zu bestimmen ist". Ein unzulässiger Versand liegt demnach auch dann vor, wenn der Besteller (hier: die staatliche Behörde) den Versand selbst organisiert und die Arzneimittel durch einen von ihm beauftragten Dritten in der Apotheke abholen lässt.

Allgemeines Versandhandelsverbot ist rechtmäßig

In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs [1] und des Bundesverwaltungsgerichts [2] betont auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht, dass das Versandhandelsverbot uneingeschränkt und unabhängig davon gilt, an wen die Arzneimittel versandt werden. Es umfasst daher nicht nur den Versand an Patienten, sondern auch an Ärzte. Weder der Entstehungsgeschichte der Bestimmung noch der Systematik der Apothekenbetriebsordnung oder dem Sinn und Zweck des Verbots lasse sich entnehmen, dass nur der Arzneimittelversand an Patienten, nicht aber an Ärzte untersagt sein solle (vgl. Kasten).

Wenn Arzneimittel von Apotheken an Ärzte versandt würden, handle es sich im Übrigen stets um ein "Inverkehrbringen für den Endverbrauch" im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG – gleichgültig, ob die Arzneimittel bei Patienten unmittelbar angewendet oder an diese weitergegeben würden. Vor diesem Hintergrund darf nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts das vom Verordnungsgeber generell angeordnete Versendungsverbot nicht entgegen seinem Wortlaut ausgelegt werden. Gerichten ist es, wie es in der Entscheidung heißt, verwehrt, sich gesetzgeberische Funktionen anzumaßen. Auch der Umstand, dass der Beklagte im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag für die Versorgung der Justizvollzugsanstalten mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln erhalten hatte, vermochte an dieser Rechtslage nichts zu ändern. Zwar kann ein Verhalten, das von den zuständigen Behörden als rechtmäßig anerkannt wird, im Regelfall keinen Rechtsverstoß darstellen [3]. Die für die Beschaffung von Arzneimitteln für Justizvollzugsanstalten befassten Behörden sind aber nicht die für die Arzneimittelsicherheit zuständigen Stellen.

Ein im Rahmen eines Vergabeverfahrens erlangter fiskalischer Versorgungsvertrag ist deshalb nicht geeignet, das Versandverbot für Arzneimittel einzuschränken und entbindet den Apothekenleiter nicht davon, seinerseits die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten. Dies gilt um so mehr, als, wie das Oberlandesgericht ausführlich darlegt, die bestehenden Versandhandelsverbote weder gegen geltendes Verfassungsrecht (Art. 12 GG) noch gegen europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßen (vgl. Kasten).

"Zentrale Beschaffungsstellen": Nur eine Frage der Zeit?

Die Frage nach einer praktikablen und rechtmäßigen Versorgung von Justizvollzugsanstalten beantwortet das Gericht mit einem Verweis auf § 47 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 AMG – und darin liegt die eigentliche Brisanz des Urteils. Nach dieser Bestimmung dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel von pharmazeutischen Unternehmern und Großhändlern unmittelbar u. a. auch an "zentrale Beschaffungsstellen für Arzneimittel" abgegeben werden, die "auf gesetzlicher Grundlage eingerichtet oder im Benehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit von der zuständigen Behörde anerkannt wurden". Ist es, wie der Justiziar der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, Dr. Karl Stefan Zerres, befürchtet, nach diesem Fingerzeig des Gerichts nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Bundesländer auf die Einrichtung von Beschaffungsämtern verständigen, um Justizvollzugsanstalten zentral mit Arzneimitteln beliefern zu lassen? Von der Hand zu weisen ist dieses Szenario nicht. Die Arzneimittelbelieferung über ortsnahe öffentliche Apotheken würde dann keine Rolle mehr spielen.

Klinikpackungen ins Gefängnis?

Und noch unter einem weiteren Gesichtspunkt enthält die vorliegende Entscheidung Sprengstoff: Nach Auffassung der Schleswiger Richter dürfen auch Justizvollzugsanstalten mit so genannten Klinikpackungen versorgt werden, wenn dies nicht im Wege des Versandhandels erfolgt.

Rechtlicher Ausgangspunkt der Entscheidung ist dabei § 14 Abs. 5 Apothekengesetz (ApoG), der dem Inhaber einer Apotheke unter bestimmten Voraussetzungen und auf der Grundlage eines schriftlichen Vertrages erlaubt, Krankenhäuser mit Arzneimitteln zu versorgen. Die Abgabe der für die Krankenhäuser bestimmten Arzneimittel darf nur zur Versorgung von Krankenhauspatienten erfolgen oder für Personen, die im Krankenhaus beschäftigt sind. Außerhalb von Krankenhäusern dürfen Klinikpackungen zum Zwecke des Einzelverkaufs nicht veräußert werden, da der Vertriebsweg mit unterschiedlichen Preisen für den Klinikbedarf einerseits und die Versorgung außerhalb von Krankenhäusern andererseits Krankenhäuser preislich deutlich privilegiert (vgl. § 1 Abs. 3 Nr. 1 der Arzneimittelpreisverordnung).

Dieses Preisgefüge würde empfindlich gestört, wenn Krankenhaus- oder krankenhausversorgende Apotheken berechtigt wären, die für den Krankenhausbedarf verbilligt bezogenen Arzneimittel zum Zwecke des Wieder- und Weiterverkaufs zu veräußern. Ein solches Verhalten würde nicht nur das von der Rechtsordnung anerkannte Krankenhausprivileg gefährden, sondern auch in den Wettbewerb der öffentlichen Apotheken untereinander eingreifen [4]. Allerdings, so das Gericht weiter, privilegiere die Arzneimittelpreisverordnung in § 1 Abs. 3 Nr. 2 auch Justizvollzugsanstalten und Jugendarrestanstalten, die deshalb insoweit die gleiche Sonderstellung einnehmen würden wie Krankenhäuser. Aus dieser Gleichstellung folgt das Gericht, dass es öffentlichen Apotheken durchaus gestattet sei, für Krankenhäuser bestimmte Arzneimittelpackungen (Klinikware) auch an Justizvollzugsanstalten abzugeben, sofern dies nicht auf dem Versandwege geschehe.

Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts ist noch nicht rechtkräftig. Es kann mit dem Rechtsmittel der Revision vor dem Bundesgerichtshof angegriffen werden. Über den Fortgang des Verfahrens werden wir berichten.

Kastentext: Aus den Urteilsgründen

"Das an Apotheker gerichtete Verbot des Versands von Arzneimitteln auch an Ärzte verstößt nicht gegen das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit. Das Versandverbot berührt zwar die durch Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der Berufsausübung. Ein solcher Eingriff ist jedoch zulässig, wenn er gemäß Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, die den Anforderungen der Verfassung an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt. Das Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln hat seine gesetzliche Grundlage in den §§ 43 Abs. 1 Satz 1 AMG, 17 Abs. 1 Abs. 1 ApBetrO, 21 Abs. 1 und 2 Nr. 8 Apothekengesetz. Die Grundrechtseinschränkung ist durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Zweck des Versandverbots, die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, wird erreicht, denn das Versandverbot stellt sicher, dass Arzneimittel grundsätzlich nur in den Apothekenbetriebsräumen abgegeben werden und eröffnet damit im Interesse der Arzneimittelsicherheit die Möglichkeit zur Information und Beratung der Kunden. Die Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe führt ebenfalls dazu, dass die Grenzen der Zumutbarkeit nicht überschritten sind, denn der Gesetzgeber lässt Ausnahmen im Einzelfall zu und stellt die Fälle des § 47 AMG vom Versandverbot frei.

Auch ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht liegt nicht vor. Der Beklagte ist nicht daran gehindert, Arzneimittel an Vollzugsanstalten im europäischen Ausland zu liefern. Das an Apotheker und damit auch an den Beklagten gerichtete Verbot des Arzneimittelversandhandels stellt keine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 28 EG (Amsterdam) dar. Auch ist es keine mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung oder eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Artikels 29 EGV, denn insoweit werden nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nur nationale Maßnahmen verboten, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken bzw. bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel eines Mitgliedstaates und seinem Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates einen besonderen Vorteil erlangt. Auch das Verbot der Inländerdiskriminierung gemäß Art. 12 EGV ist nicht berührt, denn das Versandverbot für Arzneimittel gilt für alle im Inland tätigen Apotheker unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und bewirkt daher keine Diskriminierung."

Kastentext: Aus den Urteilsgründen

"Seinem Wortlaut nach gilt das Versandverbot uneingeschränkt und unabhängig davon, an wen die Arzneimittel versandt werden. Es umfasst daher nicht nur den Versand von Arzneimitteln an Patienten, sondern auch denjenigen an Ärzte. Weder der Entstehungsgeschichte der Bestimmung noch der Systematik der Apothekenbetriebsordnung und auch nicht dem Sinn und Zweck des Versandverbots lässt sich entnehmen, dass nur der Arzneimittelversand an Patienten, nicht aber derjenige an Ärzte verboten sein soll. Der Verordnungsgeber hat festgelegt, wie die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen ist. Dass er dabei zwischen verschiedenen Empfängern der Arzneimittel differenzieren wollte, ist nicht ersichtlich. Sinn und Zweck des Versendungsverbotes ist die Aufrechterhaltung der Arzneimittelsicherheit und die Information und Beratung des Kunden bei der Abgabe von Arzneimitteln. Der Information und Beratung durch den Apotheker bedürfen aber nicht nur die Patienten, vielmehr kann ein solches Bedürfnis auch bei Ärzten bestehen. Die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung erfordert eine sachgerechte Information und Beratung durch den Apotheker als den Arzneimittelfachmann. Nur er ist in der Lage, den Überblick über die Arzneimittel zu behalten; er kann auch dem Arzt beratend zur Seite stehen. Auch wenn die Beratung oder Information des Arztes durch den Apotheker nicht in jedem Einzelfall und nicht in gleicher Weise wie bei Patienten notwendig ist, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Versandverbot auch Arzneimittel erfasst, bei denen eine Beratung und Information des Arztes nicht unbedingt erforderlich wäre oder bei denen möglicherweise eine schriftliche oder telefonische Beratung oder Information des Arztes ausreichen würde. Denn dem Verordnungsgeber muss aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit grundsätzlich gestattet sein, generalisierende Regelungen zu treffen. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob der Beklagte, wie er behauptet, rund um die Uhr telefonisch für eine Beratung zur Verfügung steht, ob er im Einzelfall – sei es telefonisch, sei es bei seinen Besuchen an Ort und Stelle – konkrete Beratung vornimmt oder ob er auf regelmäßig stattfindenden Informationsveranstaltungen das mit der Abgabe an die Gefangenen betraute Personal in den Justizvollzugsanstalten allgemein informiert und aufklärt und damit der geforderten Arzneimittelsicherheit zu genügen meint."

Kastentext: § 47 Arzneimittelgesetz

(1) Pharmazeutische Unternehmer und Großhändler dürfen Arzneimittel, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist, außer an Apotheken nur abgeben an 1. – 4. (...) 5. auf gesetzlicher Grundlage eingerichtete oder im Benehmen mit den Bundesministerium von der zuständigen Behörde anerkannte zentrale Beschaffungstellen für Arzneimittel, 6. – 9. (...) (2) Die in Absatz 1 Nr. 5 bis 9 bezeichneten Empfänger dürfen die Arzneimittel nur für den eigenen Bedarf im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben beziehen. Die in Absatz 1 Nr. 5 bezeichneten zentralen Beschaffungsstellen dürfen nur anerkannt werden, wenn nachgewiesen wird, dass sie unter fachlicher Leitung eines Apothekers oder, soweit es sich um zur Anwendung bei Tieren bestimmte Arzneimittel handelt, eines Tierarztes stehen und geeignete Räume und Einrichtungen zur Prüfung, Kontrolle und Lagerung der Arzneimittel vorhanden sind. (3) – (4) (...)

Literatur: [1] Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. April 2000, AZ Nr. 42/2000, S. 1; DAZ 2000, S. 4865, NJW 2001, S. 896 [2] Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. Oktober 2000, DAZ 2000, S. 5936 mit Anmerkung von Rotta, NJW 2001, 1808 [3] Vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Auflage, § 1 UWG Rdnr. 616 [4] Vgl. ausführlich Cyran/Rotta, Kommentar zur Apothekehbetriebsordnung, Stand: Juli 2000, § 17 Rdnr. 39 ff. mit weiteren Nachweisen; Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Oktober 1989, DAZ 1990, S. 322

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.