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Medizintechnik: Nanomotoren für visionäre Therapie

Funktionierende Nanomotoren sind ein vielversprechendes medizinisches und pharmazeutisches Hilfsmittel der weiteren Zukunft. Sie könnten als Schalter, Pumpen oder Transportfahrzeuge in den Adern und Geweben unterwegs sein, um zum Beispiel Arzneistoffe zu transportieren. Nanofabriken könnten von Motoren an ein Krebsgeschwür gebracht werden, dort parken und ihre Wirkstoffladung komponieren und freisetzen. Trotz vieler Forschung auf diesem Gebiet sind praktikable Anwendungen noch nicht in Sicht.

Mit Mini-U-Booten durch die Blutbahn

"Nano" ist ein Begriff, der technologische Superlative verheißt. 1 Nanometer (nm) ist 1 x 10–9 m oder 0,000000001 m. Die Nanotechnologie als solche lässt sich allerdings nicht so genau umreißen. Es geht eben um sehr kleine Dinge. Vieles nennt sich "nano", bewegt sich aber nur in verhältnismäßig großen Mikrodimensionen. Wirklich nano sind zum Beispiel echte Nanomotoren, also mechanisch-elektrische Vorgänge auf molekularer Ebene. Besonders beeindrucken die Forschungsarbeiten zu "U-Booten", die in Adern Streife fahren, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Auf der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover ist zum Beispiel ein solches Fahrzeug gezeigt worden. Der Fähre mit einem Durchmesser von 650 Mikrometern und einer Länge von vier Millimetern fehlen aber noch die Energieversorgung und der eigentliche Motor. Es wird versucht, solchen Vehikeln begeißelte Bakterien, zum Beispiel Escherichia coli oder Salmonella typhimurium, aufzukleben. Die Mikroorganismen sollten dann mit ihren eigenen Fortbewegungsmitteln, den in der Zellmembran rotierenden Geißeln, die Fähre antreiben.

Mit pharmakologischen Wirkstoffen beladene Nanopillen könnten dann – zumindest theoretisch – chemotaktisch ans Ziel, den Wirkort, gesteuert werden. Theoretische Berechnungen ergeben eine mögliche Winkelgeschwindigkeit des rotierenden Konstrukts von 23 Nanosekunden. Dieser Forschungsansatz ist jedoch noch sehr spekulativ. Eines der Probleme ist die Lebensdauer der Bakterien. S. typhimurium zum Beispiel lebt ohne Nahrung nur etwa eine Stunde. Ernährt würde es sich jedoch sofort teilen und sich dabei vom Vehikel lösen.

Der Zinn-Kupfer-Motor

Es gibt auch einen quantenchemischen Ansatz, das Problem des Vortriebs zu lösen. Als Material eignen sich hierfür nur die Metalle Zinn und Kupfer. Wenn die Metalle in zwei Schichten aufeinander liegen, kommt es an ihrer Grenzschicht – und nur hier – zu einem Austausch ihrer Atome und folglich zu einer zweidimensionalen Bronze-Legierung. Die Sn-Atome ionisieren sehr leicht. Als Kationen ziehen sie Cu-Atome aus der Oberfläche und setzen sich an deren Stelle. Da die Sn-Atome nicht tiefer in das Kupfer eindringen, sondern an dessen Oberfläche bleiben, müssen sie für den nächsten Austausch mit den Cu-Atomen etwas weiter wandern. Durch dieses "Platzwechselphänomen" entsteht eine gerichtete Bewegung.

Ein kupferner Propeller, auf den inselartig eine dünne Zinnschicht aufgebracht ist, könnte seine Bewegungsenergie aus der Bildung der Bronze-Legierung beziehen. Wegen des Platzwechselphänomens wandert die Zinninsel auf der Oberfläche des Propellers weiter und versetzt ihn in Bewegung.

Die Sn-Cu-Austauschrate beträgt bei Raumtemperatur 1 Atom je 4000 Sekunden (s). Bei 1 Sn-Cu-Austausch wird 1 Elektronenvolt (eV) Energie frei. Wenn die Zinninsel 100 000 Atome groß wäre, ergäbe sich die Bilanz:

100 000 eV / 4000 s = 25 eV/s = 0,5 x 10–20 PS

Diese Leistung entspräche einem Leistung-Gewicht-Verhältnis von 0,3 PS/kg und wäre besser als die eines 1000 kg schweren Autos mit 100 PS, das nur auf 0,1 PS/kg kommt.

Sollte es gelingen, einen solchen Nanomotor extern zu steuern und "aufzutanken", wäre ein nahezu ideales Antriebsaggregat gefunden. Das Prinzip des Sn/Cu-Motors müsste dazu auf den Einbau von Molekülen aus der Gasphase in die stationäre Phase erweitert werden. Dr. Gerold Doyen von der Physikalischen Chemie der Universität München, der an dieser Technik arbeitet, meint, dass irgendwann einmal ein funktionierendes Gefährt daraus werde.

Der Nucleinsäure-Motor

Einen auf ganz anderen Prinzipien beruhenden nanomolekularen Motor hat vor kurzem die US-Firma Lucent Technologies zusammen mit der Universität Oxford entwickelt. Er besteht aus DNA und ist mit einigen Milliardstel Metern Durchmesser einhunderttausend Mal kleiner als eine Nadelspitze. Der von den zu Lucent gehörenden Bell-Laboratorien entwickelte DNA-Motor funktioniert wie eine Pinzette.

Die Erbsubstanz hat als Einzelstrang die einzigartige Eigenschaft, komplementäre Stränge mit hoher Sicherheit zu erkennen und mit ihnen zu hybridisieren. Diese Eigenschaft nutzt man bei der Entwicklung von Pinzettenmotoren. Ein solches Konstrukt ist sehr einfach (Abb. 1): Drei miteinander verbundene DNA-Stränge bilden eine Art offene Pinzette. Fügt man einen vierten Strang hinzu, der teilweise mit den freien Enden dieses Komplexes hybridisiert, schließt sich die Pinzette. Nach Zugabe eines fünften Stranges, der vollständig komplementär zum vierten Strang ist, wird dieser wieder entfernt, und die Pinzette öffnet sich wieder.

In Oxford ließ man sich für diesen Versuchsansatz von den Proteinmotoren in lebenden Zellen inspirieren, die für die Muskelkontraktion zuständig sind. Ziel der Arbeiten ist es, die DNA-Pinzette mit elektrisch leitenden Molekülen zu verbinden, um elektronische Schaltkreise auf molekularer Ebene zu verwirklichen.

ATPase-Motoren

Einen anderen Ansatz verfolgen Helmut Grubmüller und Rainer Böckmann vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Sie haben die Umwandlung mechanischer in chemische Energie beim Verbrauch von ATP (Adenosintriphosphat) auf molekularer Ebene aufgeklärt. Der menschliche Körper verbraucht am Tag etwa 50 kg ATP, bei großer Anstrengung bis zu einer Tonne. Die Umsetzung dieses entscheidenden biochemischen Vorgangs durch das Enzym F-ATPase konnten die Wissenschaftler nun vollständig aufklären. Zwei Jahre Rechenzeit eines Großcomputers waren nötig, in einem Videofilm den aktiven Nanomotor zu simulieren (Abb. 2 und Abb. 3).

Die ATP-Synthese wird mechanisch angetrieben. Die erforderliche Energie stammt aus der elektrischen Spannung, die das Gefälle der Protonenkonzentration zwischen Innen und Außen bewirkt. Der Ladungsausgleich über den Fuß (roter Pfeil in Abb. 2) setzt den zylinderförmigen, dunkelgrauen Rotor in Bewegung. Da der grüne Kopf vom gelben Stator fixiert wird, dreht sich nur die mit dem Fußteil verbundene asymmetrische, orange gekennzeichnete Achse im Inneren des Fußes. Das gesamte Enzym ist 25 nm groß und damit der kleinste bekannte Motor der Welt.

Die Wissenschaftler gingen von der Vermutung aus, dass die vom Fußteil bewirkte Drehung der Achse ein wechselseitiges Öffnen und Schließen der drei beta-Untereinheiten erzwingt, in deren Bindungstaschen reihum ein Synthesezyklus stattfindet. Sie vergleichen das mit der Kolbenbewegung eines Ottomotors. Die durch die Drehung der Achse übertragene Energie setzt die nach der Synthese noch in den Taschen gebundenen ATPs frei. Wie das genau vor sich geht, war aber nicht bekannt.

Da der Vorgang nicht beobachtbar ist, wurde er im Computer simuliert. Der F1-Teil des F-ATPs wurde dafür Atom für Atom im Rechner nachgebaut, mit Wassermolekülen (blaue Punkte in Abb. 2) und gelösten Salzionen (rote und gelbe Punkte) umgeben, damit sich das virtuelle Protein richtig zu Hause fühlen konnte. Die Bewegungen des Modells aus 200 000 Atomen wurde dann in einer so genannten Molekulardynamiksimulation genau berechnet. Die Simulation auf einem Hochleistungsparallelrechner mit 120 Prozessoren der Gesellschaft für Wissenschaftliche Datenverarbeitung (GWDG) benötigte dann zwei Jahre Rechenzeit.

Die Simulation ergab neben vielen anderen Erkenntnissen, dass die leeren beta-Untereinheiten sehr schnell wieder zurückschnappen. Die Analogie zum Ottomotor wurde dadurch noch genauer. Auch dort werden die Kolben nicht erst durch das Einströmen des Benzin-Luft-Gemisches nach oben bewegt, sondern bereits vorher durch die Kurbelwelle. Wissenschaftler der Cornell-Universität in den USA haben die Geschwindigkeit dieses molekularen Rotors berechnet. Sie kamen auf vier Umdrehungen pro Sekunde.

"Für den Apotheker hat das noch keine Bedeutung", sagt Grubmüller. Ein Arzneimittel könne man damit nicht machen. Der Leiter der Arbeitsgruppe weigert sich auch standhaft, über mögliche zukünftige Anwendungen dieses Nanomotors zu spekulieren. Es sei wunderschöne Grundlagenforschung, mehr nicht, zumindest bisher.

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