Nanotechnologie

U. SchulteProteinchips – Mittel zur Diagnose,

Nach einer langen Phase des Stillschweigens rücken die Proteine wieder ins Rampenlicht der Wissenschaft. Die Gene galten die letzten Jahrzehnte als das Nonplusultra des molekularen Erkenntnisstrebens. Jetzt zeigt sich, dass sie nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind. Dennoch hat die Genomforschung die Erkundung des Geschehens auf Proteinebene in Zellen und Geweben sehr gefördert. Die Idee, Proteine auf fingernagelgroßen Plättchen zu analysieren, ist direkt vom DNA-Chip abgeschaut.

10 000 in einer Zelle

In den Zellen des Menschen sollen bis zu 10 000 verschiedene Proteine aktiv sein, allerdings nicht alle gleichzeitig und in derselben Konzentration. Sie bestimmen unmittelbar das physiologische Geschehen. Der Proteinchip verspricht, von jedem beliebigen Zeitpunkt eines Stoffwechselprozesses eine Art Schnappschuss zu liefern, auf dem ein bestimmter Teil der gesamten Proteinsippe zu sehen ist. Schon nach fünf Minuten kann die Gesellschaft ganz anders aussehen. Die Kunst ist es, diejenigen abzubilden, die dem speziellen Erkenntnisstreben förderlich sind.

Das Verstehen der Proteinmuster wird die Suche nach Leitstrukturen und Wirkstoffen, das Verständnis toxischer Effekte, die Identifizierung von Krankheitsmarkern, das Nachvollziehen von Krankheitsprozessen, die Entwicklung diagnostischer und therapeutischer Konzepte und vieles mehr außerordentlich unterstützen, vereinfachen und beschleunigen.

Mit geeigneten Chips lassen sich Protein-Protein-Interaktionen erhellen, Proteinprofile vergleichen oder Bindungsstudien von Rezeptor und Ligand, von DNA/RNA und Protein und von vielem mehr betreiben. Mit Antikörpern und Antigenen lässt sich das entsprechende Gegenstück nachweisen. Die vielfältigen Variationsmöglichkeiten der Chipoberflächen und der fixierten Sonden und Fängermoleküle fächern die Anwendungen immer weiter auf (Abb. 1).

Proteine sind einfach besser

Nicht jedes angeschaltete Gen macht auch ein Protein. Peptidhormone schlummern beispielsweise in großen Proteinen vor sich hin. Erst kurz vor ihrem Einsatz werden sie herausgeschnitten. Weder auf Transkriptions- noch auf Translationsebene ist hier erkennbar, welche Peptidsequenz wirklich entscheidend ist. Der Proteinchip kann solche Vorgänge erfassen und bildet das zelluläre Geschehen deshalb unmittelbarer ab, als es die Genexpressionsanalyse jemals könnte. Proteinchips vollenden in diesem Sinne die Erkenntnisse der DNA-Analyse.

Die nächste Generation

Vor dem Chip gab (und gibt es immer noch) die zweidimensionale Gelelektrophorese. Wer jemals eines dieser verschmierten 2D-Gele gesehen hat, wird sicher große Hoffnungen in den Proteinchip setzen, da er nur die Moleküle direkt einfängt und bindet, nach denen gesucht wird. Die viel weniger komplexe Probe lässt sich leichter analysieren.

Viele Proteine in geringer Konzentration können deshalb überhaupt erst detektiert werden. Vor allem regulatorisch und inflammatorisch wichtige Peptide und Proteine sind besser darstellbar, da diese mit ihren häufig extremen isoelektrischen Punkten in einer Gelelektrophorese kaum gefunden werden.

Als Fängermoleküle oder Sonden dienen multi- und monoklonale Antikörper. Auch rekombinante Antikörper, erzeugt z. B. mit der Phagen-Display-Technik, kommen zum Einsatz. Dazu werden die Gene gewünschter Proteine in das Phagengenom integriert. Die Proteine werden dann als Fusionsproteine mit dem viralen Hüllprotein exprimiert.

Prinzipiell sind sehr viele Moleküle fixierbar, wie Metallionen, Membranen, ganze Familien von Rezeptoren und Enzymen. Als Antikörperchip funktioniert der Chip wie ein Immunoassay, als Rezeptorchip wie ein Screening, z. B. für die Ligandenbindung. Die hohe Dichte der DNA-Chips wird bei Proteinchips nicht erreicht. Die immer weitere Miniaturisierung ergibt auch keinen Sinn. "Die Spotgrößen werden zu klein", sagt Andreas Wiesner von Ciphergen Biosystems Ltd. Dann hätte man nur noch homöopathische Dosen zu detektieren.

Wenn man zum Beispiel 1 µl Urin auf den Chip gibt, wäre bei einer weiteren Reduzierung die Konzentration der gesuchten Biomarker, die ohnehin oftmals in nur winziger Konzentration vorliegen, viel zu klein. Sinnvoller sei es, mehrere Chips zusammenzufassen, um das Hochdurchsatzscreening zu beschleunigen.

Selektiv und affinitiv

Proteine hybridisieren nicht wie DNA-Moleküle. Die Selektivität und spezifische Affinität der Sonden ist entscheidend für die Qualität des Chip-Ergebnisses. Falsch positive Signale und Kreuzreaktionen sind zu vermeiden. Dazu müssen die Randbedingungen optimiert werden. Wichtig ist aber vor allem, wie die Biomoleküle immobilisiert werden. Das geht zunächst über die kovalente Kopplung über Aminogruppen oder Cysteine.

Streptavidin-Oberflächen (ein aus dem Bakterium Streptomyces avidinii isoliertes Protein) werden ebenso eingesetzt wie Nickel-Chelat-Oberflächen. cAMP-Oberflächen (zyklisches Adenosinmonophosphat) dienen der Bindung cAMP-bindender Proteine. Auch an der Fixierung von Proteoliposomen auf einem Chip wird gearbeitet. Diese Phospholipidvesikel eignen sich für die spezifische Immobilisierung von Membranrezeptoren oder für Interaktionsstudien mit Membranen. Mit so aktivierten Oberflächen lassen sich Antikörper-Antigen-, Protein-Protein- und DNA-Protein-Wechselwirkungen untersuchen.

Entweder SELDI-TOF-MS ...

Jede Methode hat ihre speziellen Anwendungen. Das von der US-Firma Ciphergen Biosystems patentierte SELDI-TOF-MS-Proteinchip-System (oberflächenverstärkte Laserdesorption/-ionisations-Flugzeit-Massenspektrometrie) beispielsweise kombiniert Affinitätschromatographie und Massenspektrometrie. Die einzelnen Spots oder Zellen der chromatographischen Chips tragen keine Fängermoleküle, sondern haben hydrophobe, hydrophile, Kationen- oder Anionen-austauschende oder Metallionen-bindende Oberflächen. In Kombination mit unterschiedlichen Waschpuffern liefern solche Chips eine Vorauswahl der gesuchten diagnostischen Marker oder therapeutischen Zielmoleküle.

"Viele Proteine, die normalerweise untergehen, können in solchen Subpopulationen dann noch detektiert werden", sagt Wiesner, der auch an der FU Berlin lehrt. "Für das vergleichende Protein-Profiling, die Typisierung der Proteine, sind diese Chips hervorragend geeignet", ist Wiesner überzeugt.

Nach dem Fang wird das Hintergrundrauschen abgewaschen und der Chip direkt in den Massenleser gegeben. Dort desorbiert und ionisiert ein Laserstrahl die Proteine. Sie fliegen durch ein Vakuum und werden am Ende massenspektrometrisch exakt vermessen. "Dieser umwegfreie Analysenvorgang kommt ohne indirekte Markierungen oder Amplifikationen aus und ist deshalb weniger störanfällig als andere Verfahren", weiß Wiesner.

... oder ganz kompliziert

Alternativ wird auch an der BIA-MS, der Biomolekül-Interaktionsanalyse mit Massenspektrometrie, gearbeitet, die eine quantitative Wechselwirkung der Moleküle misst. Die Technik erlaubt die direkte Beobachtung der Bindungsereignisse der an einer Goldfolie fixierten Moleküle. Man bekommt damit Zugang zur Thermodynamik und Kinetik einer Affinitätsreaktion.

Ein mit Gold überzogenes Glasplättchen wird mit einer carboxymethylierten Dextranschicht überzogen. Diese Hydrogelschicht hält das System feucht und schützt Proteine vor Denaturierung. An die Dextranketten lassen sich aber auch Nucleinsäuren, Lipide, Kohlenhydrate bis hin zu Monosacchariden und sogar Viren und ganze Zellen binden (Abb. 2).

Die Detektion auf dem Sensorchip erfolgt mit der Oberflächen-Plasmon-Resonanz-Methode (SPR). Dazu wird die Rückseite des Chips mit monochromatischem, polarisiertem Licht bestrahlt. Es kommt zwar zur totalen Reflektion an der Goldschicht, das elektrische Feld der Photonen dringt aber in die Goldschicht ein und beeinflusst die Oberflächenelektronen des Goldes.

Es entstehen Elektronendichtewellen, Oberflächenplasmonen genannt, die Energie an die Folie abgeben. Das Plasmonenfeld reicht in die Matrix des Chips hinein. Über dieses Feld beeinflusst die Proteinbindung auf dem Chip den Brechungsindex des Lichts. Dadurch ändert sich winkelabhängig die Intensität des reflektierten Lichtstrahls.

Dieses sehr spezielle Verfahren liefert Sensogramme in Echtzeit mit quantitativen Informationen über die Bindungsstärke, die Konzentration der Moleküle, deren Kinetik und Affinität. Und das Ganze benötigt keine Markierung mit Fluoreszenzmolekülen oder Ähnlichem.

In der Klinik

Proteinchips bieten sich vor allem dort an, wo in der klinischen Diagnostik ein hoher Probendurchsatz verlangt wird. Komplexe Rohgemische wie Blut, Serum, Urin oder Gewebeextrakte sollen analysierbar werden. Die schnelle Detektion von Antigenen, Antikörpern oder gar Krankheitsmarkern wäre sehr hilfreich. Der Nachweis mikrobieller Erreger in Entzündungsherden ist ebenfalls möglich.

Denkbar ist auch die Verbindung mit der Laser-Mikrodissektion. Es wird z. B. daran gearbeitet, Tumorzellen aus dem Krebsgewebe herauszuschneiden, um gezielt verschieden stark exprimierte Proteine zu identifizieren. Der Vorteil dieser Strategie liegt im geringen Probenvolumen, aber vor allem darin, dass histologisch genau definiertes Gewebe verwendet werden kann. Mit der Laserdissektion werden auch Analysen der genetischen Veränderungen durch oxidativen Stress oder Veränderungen der Genexpressionsmuster in arteriosklerotischen oder Alzheimer-Plaques möglich.

Diagnose von Autoimmunkrankheiten

Ein eindrucksvolles Beispiel für den Einsatz von Proteinchips ist die Diagnose von Autoimmunkrankheiten. Am Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut der Universität Tübingen in Reutlingen (NMI) betreibt die Arbeitsgruppe von Thomas Joos hierzu Spitzenforschung. Joos untersucht vor allem die Erkrankungen des chronisch-rheumatischen Formenkreises.

Patienten leiden z. B. unter einem vaskulitischen Multiorganbefall und weisen polymorphe Exantheme, Arthritis, Nephritis oder Zytopenien auf. Dazu gehören die Krankheiten Systemischer Lupus erythematodes (SLE), die Mischkollagenose oder Polymyositis und Dermatomyositis. Um solche Leiden sicher zu diagnostizieren, ist der Nachweis der Spezifität der beteiligten Antikörper sehr wichtig.

In Nordamerika und Europa leiden 40 von 10 000 Einwohnern an SLE. Im Serum solcher Patienten werden antinukleäre Antikörper (ANA) nachgewiesen. Die ANA binden an kernständige Proteine und Nukleoproteinkomplexe. Deshalb ist die Antikörperbestimmung von zentraler Bedeutung für die serodiagnostische Abklärung rheumatisch-entzündlicher Erkrankungen.

Am NMI entwickelt man gerade einen Mikroarray-ELISA (Enzyme linked immunosorbent assay). Damit lassen sich nicht nur unterschiedliche ANA-Reaktivitäten erfassen. Gleichzeitig kann eine Titerbestimmung gemacht werden. Dieser Ansatz reduziert den Verbrauch an Reagenzien wesentlich. Im Vergleich zum klassischen ELISA benötigt man für die Beladung eines Messpunktes nur 1 ng statt 1 µm, also den tausendsten Teil der Antigenmenge.

Für Joos ist die Patentsituation die höchste Hürde vor einem Einsatz in der Routinediagnostik. Ein idealer Mikroarray-ELISA würde eine Reihe von Messpunkten oder Antikörpern enthalten, für die jeweils entsprechende Patentlizenzen notwendig wären. Dennoch wird die Technik bereits eingesetzt. Klinische Studien über das Sjögren-Syndrom und Hepatitis-C-Infektionen werden seit zwei Jahren durchgeführt.

Chips aus Gewebe

Gewebechips stellen die bisher vorgestellte Technik auf den Kopf. Bei dieser Methode werden aus fixierten, eingebetteten Tumoren kleine, längliche Zylinder von etwa 0,5 mm Durchmesser ausgestanzt und in einen Block aus Paraffin eingelassen. So können viele kleine Tumorzylinder in einen Block eingebettet werden. Mikrotomschnitte daraus lassen sich mit den verschiedensten Antikörpern oder Sonden hybridisieren. Tausende von Tumoren kann man so sehr schnell auf viele Moleküle hin analysieren. Untersuchungen der Universität Basel ergaben, dass molekulare Veränderungen an Tumoren sehr gut detektierbar sind. Zumindest konnte bei den Östrogen- und Progesteronrezeptoren eine hohe Übereinstimmung mit der Prognose gezeigt werden.

Die Gewebearrays von Biocat in Heidelberg bieten die Möglichkeit der In-situ-Targetanalyse. Auf Chips mit bis zu 60 verschiedenen Proben aus Tumorgewebe können differenziell exprimierte Gene oder Proteine immunohistochemisch angefärbt werden. Dies soll die Suche nach Angriffspunkten für diagnostische, prognostische oder therapeutische Maßnahmen sehr erleichtern. Das Unternehmen bietet Arrays mit Schnitten aus Magen-, Darm-, Brust- und vielen anderen Krebsarten an. Chips mit nicht-neoplastischen Gewebeproben erlauben die vergleichende Analyse von Krebs- und Normalgewebe.

Menschlicher Biochip

Die Idee, lebende Zellen an einen Stromkreislauf anzuschließen, stellt einen wichtigen Schritt dar, das Verhalten von Zellen und Geweben direkt zu beobachten und sogar die "Konversation" der Zellen zu belauschen. Der bionische Chip soll verstehen helfen, wie sich Makromoleküle, Proteine, Wirkstoffe und vor allem Bruchstücke der DNA gezielt in eine Zelle einschleusen lassen. Die Reaktion der Zelle auf Molekülgaben kann mit der Anbindung an Elektroden direkt gemessen werden (Abb. 3).

Bisher wurden gepulste elektrische Felder benutzt, um Gene in Zellen zu transferieren. Mit dieser so genannten Elektroporation gelingt es, für kurze Zeit kleine Poren in den Zellmembranen zu öffnen, durch die die DNA statistisch eintritt. Der bionische Chip soll die genauen Vorgänge dabei erhellen. Er besteht aus zwei mit Elektrolytlösung gefüllten Kammern, die durch eine Membran voneinander getrennt sind.

Auf einem kleinen Loch in der Membran sitzt die lebende menschliche Zelle und dichtet das Loch ab. Wird eine Spannung angelegt, bilden sich Poren, die Zellmembran wird für die Elektrolytlösung durchlässig. Es fließt ein Strom innerhalb des Chips. Wie die Zelle auf unterschiedliche elektrische Spannungen reagiert und wie langkettige Moleküle in die Zelle eindringen, lässt sich unter dem Mikroskop beobachten.

Wenn der Chip irgendwann einsatzreif sein wird, soll er bei der Suche nach Medikamenten helfen, die Gendefekte korrigieren. Bis es soweit ist, muss aber noch herausgefunden werden, welcher elektrische Schlüssel der beste ist, um Moleküle einzuschleusen. Dieser erste bionische Chip stammt zwar aus den USA. Doch Spitzenforschung auf diesem Gebiet wird auch in Reutlingen gemacht.

Das Netzwerk der Zellen

Das NMI in Reutlingen nennt seine Entwicklung Mikroelektrodenarray (MEA). Die Forscher des vom Land Baden-Württemberg geförderten Instituts haben den Auftrag, die Schnittstelle zwischen Forschung und Wirtschaft zu bilden und Erkenntnisse direkt in die Anwendung zu führen. Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Ausgründungsunternehmens MultiChannelSystems untersuchen sie die Netzwerkaktivitäten der Zellen. Es geht vor allem um die Reizweiterleitung äußerer Stimuli. Verschiedene Anwendungsmöglichkeiten der MEA-Technik in der Pharmaindustrie und der Grundlagenforschung, z. B. bei der Regenerationsstimulation, bei Epilepsie oder Herzrhythmusstörungen, werden erprobt. Mit solchen elektronischen Chips lässt sich beispielsweise auch die Expression von Neurotrophin, einem Schlüsselmolekül der Gehirnentwicklung, am Maushirn sehr gut untersuchen (Abb. 4).

Die Forscher drucken die Array-Elektroden in eine Kulturschale. Auf einem Quadratmillimeter haben 60 Mikroelektroden mit 10 bis 30 µm Durchmesser Platz, die alle einzeln angesteuert werden. Darauf können 100 bis 200 µm dicke Gewebeschnitte über Wochen kultiviert und deren elektrische Aktivität während der Stimulation durch Medikamente oder andere Manipulationen beobachtet werden. Beispielsweise wird die räumlich-zeitliche Ausbreitung von Erregungsmustern in Nerven- und Herzmuskelgeweben elektrisch abgeleitet.

Die Ableitung der elektronischen Daten von 20 bis 30 Zellen gleichzeitig ist zwar eine herausragende Leistung, lässt aber die Datenmenge enorm anschwellen. Jede Menge fleißiger Doktoranden werden dafür eingesetzt, die elektrophysiologischen Erkenntnisse herauszufiltern.

Nerven mit Silicium

Einen ähnlichen Weg gehen Forscher am MPI in Martinsried. Sie kombinieren lebende Zellen mit einem Silicium-Chip. Um ihre humanen Nierenzelllinien elektrisch messen zu können, mussten sie so genannte Maxi-KCa-Ionenkanäle in die Zellmembranen einbauen. Durch die Aktivierung dieser sehr leitfähigen Ionenkanäle erzielten sie leicht messbare Spannungsunterschiede. Der Biochip-Prototyp soll vor allem als Biosensor eingesetzt werden.

Es wird dort auch an Neuron-Silicium-Schaltkreisen gearbeitet. Die Möglichkeit, die elektrische Aktivität von Neuronen mit Transistoren zu beobachten, lässt zwei Gedankengänge zu. Es steht ein Neurocomputer zur Debatte, der die besonderen Fähigkeiten von Nervenzellen nutzen könnte, und es gibt die Überlegung, Ausfälle im peripheren und zentralen Nervensystem mit so genannten Neuro-Interfaces zu kompensieren. Beides ist jedoch noch Utopie.

Immunoassay mit Nachbrenner

Welches Entwicklungspotenzial die Chiptechnologie in sich birgt, zeigen die Arbeiten Christof Niemeyers von der Universität Bremen. Der von der DECHEMA mit dem Hochschullehrer-Nachwuchspreis für Biotechnologie ausgezeichnete Forscher arbeitet an zwei innovativen Projekten. Das eine ist die Verknüpfung von Immuno-PCR (IPCR) und DNA-Chiptechnologie.

Niemeyer war dabei, als die US-amerikanische Gruppe um Charles Cantor 1992 die IPCR entwickelt hat. Das Konzept ist bestechend einfach. Wie beim konventionellen ELISA bindet das an der Chipoberfläche fixierte Protein-Antigen an einen Antikörper. Bei der IPCR ist dieser jedoch nicht mit einem Enzym, sondern mit einem DNA-Molekül verknüpft, das dann mittels PCR (Polymerase-Kettenreaktion) amplifiziert werden kann. Dieser Nachweis mit "Nachbrenner", wie Niemeyer das nennt, hat im Labor bereits zu einer fast hunderttausendfach höheren Sensitivität der IPCR im Vergleich zu einem ELISA geführt.

Um den kommerziellen Erfolg dieser bahnbrechenden Technik zu sichern, wurde in Bremen die Chimera Biotec GmbH gegründet. Erste Anwendung im Rahmen einer pharmakogenetischen Studie ist die Entwicklung eines neuen Zytostatikums für die Krebstherapie. Das rekombinante rViscumin der Viscum AG, dessen Wirkungsweise einem natürlichen Bestandteil des Mistelextraktes gleicht, wird in so geringen Dosen in der Therapie eingesetzt, dass die Wirkstoffspiegel mit herkömmlichen ELISA-Methoden nicht analysierbar sind.

DDI – einfach genial

Schlicht genial ist die Nutzung eines DNA-Chips als Proteinchip. Niemeyer hat seine Proteine mit einzelsträngiger DNA gekoppelt. Diese DNA-Protein-Konjugate "schmeißt" er einfach auf einen entsprechenden DNA-Chip. Das hat mehrere Vorteile. Die Konjugate suchen sich ihre Hybridisierungspartner selbst. Da die Proteine nicht direkt auf der Oberfläche des Chips festkleben, sondern in der dritten Dimension liegen, sind sie deutlich stabiler als auf herkömmlichen Proteinchips, und ihre Aktivität ist um das Dreifache höher (Abb. 5).

Diese DNA-vermittelte Immobilisierung (DNA Directed Immobilization, DDI) macht die physikalisch-chemisch robusten DNA-Chips zu einem wiederverwertbaren Rohstoff der Proteinanalyse. Die nach Gebrauch häufig denaturierten Proteine können ganz einfach durch neue ersetzt werden.

Die Kunst bei diesem Verfahren ist die Kopplung von DNA und Protein. Dazu wurde in Bremen ein Streptavidin-Biotin-DNA-Konjugat entwickelt, das Proteine sehr gut binden kann. Um die Patentmauer der Firma Affymetrix macht sich Niemeyer dabei keine Sorgen. "Wir haben unser eigenes Patent angemeldet", meint er. Und ob Affymetrix seine Patente alle aufrecht erhalten kann, stehe in den Sternen.

Aufgeklebte Bakterien

Um die empfindlichen Proteine besser in den Griff zu bekommen, gibt es zahlreiche Strategien. Eine davon sind Bakterien. Anstatt Antikörper auf einem Träger zu fixieren, werden Bakterien aufgeklebt (gespottet), die die gewünschten Antikörper exprimieren. Die gleichzeitige Analyse vieler verschiedener Antigene wird so möglich. Und das größte Problem des direkten Antikörper-Arrays, die Stabilisierung der Proteine über einen längeren Zeitraum, wird so elegant umgangen. Für die klinische Anwendung als Screeningmethode wäre dies sehr hilfreich.

Doch die Bakterien, die dafür herhalten müssen, bedürfen noch der genetischen Manipulation. Sie sollen ja nur die spezifisch gewünschten Antikörper produzieren. Diese müssen erst aus Phagen-Antikörper-Bibliotheken bezogen werden. Die entsprechende Sequenz wird gentechnisch in das Bakteriengenom integriert. Ein Mikroroboter pickt die transgenen Bakterien auf und klebt sie auf den Chip. Die produzierten Antikörperfragmente können dann immunologisch verifiziert werden.

Mit diesem Verfahren lassen sich bereits mehrere tausend Antikörperklone auf einem Chip unterbringen. Damit wird es möglich, Proteinexpressionsunterschiede zu erkennen und mit den Nucleinsäuredaten zu vergleichen.

Verschachtelte HLA-Typisierung

Unter den Genen der HLA-Klassen I und II gibt es mehrere hundert bekannte Polymorphismen. Ein ideales Betätigungsfeld für einen klassischen DNA-Chip, sollte man meinen. Doch die Genescan AG in Freiburg hat ein viel komplizierteres Verfahren entwickelt, um Humane Leukozyten-Antigene (HLA) einfach und elegant zu genotypisieren. Diese Bestimmung der Allele ist notwendig für Organ- und Knochenmarktransplantationen, für HLA-assoziierte Krankheiten wie die Chronische Polyarthritis oder die Zöliakie und für forensische Fragen wie die Vaterschaftsbestimmung. Die NOC-PCR (Nested-On-Chip-PCR) ist eine verschachtelte Fest-/Flüssigphasen-PCR, die auf einem gebrauchsfertigen DNA-Chip abläuft. Der Chip wird zum Labor.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Die sehr sensitive und spezifische PCR-Technologie ist in der Lage, Gensequenzen, die nur in sehr geringer Zahl vorliegen, zu amplifizieren. Die anschließend ablaufende Hybridisierungsreaktion auf dem Chip liefert schnell Ergebnisse. Entscheidend ist jedoch die Möglichkeit der präzisen Differenzierung vieler HLA-Subtypen durch die hohe Parallelität der Chiptechnologie. Das von Genescan patentierte Verfahren wird derzeit auf weitere HLA-Gene ausgebaut.

Und wie weiter?

Das letzte Beispiel weist auf die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Mikrotechnologie hin. So werden Chips entwickelt, die DNA-Hybridisierung und Protein-Kopplung auf einem Chip erlauben. Für bestimmte Fragestellungen werden sie gleichzeitig die Transkriptions- und die Translationsebene eines physiologischen Prozesses erhellen.

Darüber hinaus gibt es die Lab-on-a-Chip-Technologie. Die Labore im Miniformat werden schon seit einigen Jahren eingesetzt. In den mikrofluidischen Systemen laufen Reaktionen im Nanolitermaßstab ab (Abb. 6). Das hat viele Vorteile: Verkürzte Analysenzeiten, Einsparung von Material und vor allem die geringe Probengröße sind die wichtigsten.

Man kann mit ihnen nicht nur Reaktionsabläufe gut verfolgen. Sie eignen sich auch als Kapillarelektrophoresen zur DNA-Trennung, mit deutlich genaueren Ergebnissen bei der DNA-Größenbestimmung als das mit gelelektrophoretischen Methoden bisher der Fall ist. Der Möglichkeiten scheint kein Ende zu sein.

Kastentext: HUGO und HUPO

Nach dem Vorbild von HUGO, der Humangenomorganisation, ist am 8. Februar 2001 HUPO, die Humanproteomorganisation, gegründet worden. HUPO hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Proteine gewissermaßen als Gesamtkunstwerk zu verstehen. Damit sollen vor allem Diagnose, Prognose und Therapie von Krankheiten verbessert werden.

Kastentext: Der Markt wächst

Mehr als ein Dutzend Firmen arbeiten intensiv an der Entwicklung neuer Proteinchips. Nach einer Studie von BioInsights in Kalifornien wird sich der Markt für solche Chips von 100 Mio. DM im Jahr 2000 auf etwa 590 Mio. Euro im Jahr 2006 entwickeln. Denn Proteine sind "harte", aber vielversprechende Werkzeuge in vielen Bereichen der Wissenschaft.

In den Zellen des Menschen sind bis zu 10 000 verschiedene Proteine aktiv, aber nicht gleichzeitig und nicht gleichmäßig. Das aktuelle Proteinmuster bestimmt unmittelbar das physiologische Geschehen, also auch Gesundheit und Krankheit des Individu-ums. Proteinchips dienen der Erkenntnis dieser Zusammenhänge und bieten vielfältige Möglichkeiten, der Diagnostik von Krankheiten und der Arzneimittelentwicklung. Sie ersetzen zunehmend das Reagenzglas.  

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