Arzneimittel und Therapie

Wechselwirkungen: Viele Interaktionen beginnen in der Darmwand

Praktisch alle oral eingenommenen Arzneistoffe erreichen die Dünndarmschleimhaut. Dort werden sie keinesfalls nur passiv resorbiert. Es gibt auch aktive Transportmechanismen, die bestimmte Substanzen ein-, ja sogar ausschleusen können. Die Arzneistoff-Metabolisierung in der Darmwand ist für die Bioverfügbarkeit der Arzneistoffe mindestens ebenso wichtig wie die Metabolisierung in der Leber. Da die Transportproteine und das Metabolisierungs-Enzym nur eine geringe Stoffspezifität haben und sowohl induzierbar als auch hemmbar sind, kommt es zu zahlreichen klinisch bedeutsamen Interaktionen im Magen-Darm-Trakt.

Grapefruitsaft erhöht die Bioverfügbarkeit verschiedener oral eingenommener Arzneistoffe. Anfang der 90er-Jahre beobachtete ein kanadischer Doktorand erstmals an Felodipin, dass es eine drei- bis fünffache Bioverfügbarkeit hat, wenn es zusammen mit Grapefruitsaft statt mit Wasser eingenommen wird. Diese Beobachtung brachte die Grundlagenforschung zu Resorptionsmechanismen von Arznei- und Nahrungsmitteln im Magen-Darm-Trakt weltweit ins Rollen.

Fremdstoffe werden ausgeschleust

In der Dünndarmschleimhaut spielt sich offensichtlich viel mehr ab, als bislang geahnt wurde. So fand man verschiedene Transportproteine, die Substanzen aktiv aus dem Darmlumen in die Darmwand transportieren können. Andere, darunter P-Glykoprotein (= P-gp), schleusen Fremdstoffe aus den Darmzellen zurück ins Darmlumen. P-Glykoprotein kommt auch in anderen Organen – Leber, Nieren und ZNS – vor. Erstmals wurde es im Zusammenhang mit der Multi Drug Resistance (MDR), dem Unempfindlichwerden von Krebszellen gegen Zytostatika, entdeckt.

Neben Arzneistoffen, die vom P-Glykoprotein ausgeschleust werden (Substraten), gibt es auch Arzneistoffe, die dessen Konzentration erhöhen (induzieren) oder verringern (inhibieren) können (Tab. 1). Ein solcher Induktor ist Rifampicin. Werden das P-Glykoprotein-Substrat Digoxin und der P-Glykoprotein-Induktor Rifampicin oral eingenommen, sinkt die im Vergleich zur intravenösen Gabe ohnehin geringe Bioverfügbarkeit des Herzglykosids deutlich. Das liegt am verstärkten Rücktransport von Digoxin in den Darm.

Schuld daran ist der P-Glykoprotein-Induktor Rifampicin: In einer Untersuchung konnte gezeigt werden, dass nach zehntägiger Rifampicin-Gabe die Konzentration des P-Glykoproteins in der Darmschleimhaut auf das 3,5-fache steigt. Sobald die Wirkkonzentration des Herzglykosids in den subtherapeutischen Bereich sinkt, wird die Interaktion klinisch relevant.

Arzneistoffe auch in der Darmwand metabolisiert

Im Darmepithel befindet sich das von der Leber bekannte wichtigste Arzneistoff-metabolisierende Enzym: CYP3A4. 50 bis 70% aller Arzneistoffe werden durch dieses Isoenzym des Cytochrom-P450-Systems metabolisiert. CYP3A4 liegt zwar in der Darmwand in niedrigerer Konzentration vor als in der Leber, ist aber durch enge Kooperation mit dem Transportprotein P-Glykoprotein besonders effizient.

Ein Beispiel für die Interaktion am metabolisierenden Enzym in der Darmschleimhaut ist die orale Gabe von Midazolam, einem CYP3A4-Substrat, und Saquinavir, einem CYP3A4-Inhibitor (Tab. 2). Indem Saquinavir die Metabolisierung von Midazolam im Darm und in der Leber stark hemmt, erhöht es dessen Bioverfügbarkeit auf mehr als das Doppelte. Diese Interaktion ist viel ausgeprägter als die alleinige Interaktion in der Leber bei intravenöser Gabe.

Schwerste Wechselwirkungen

Besonders zahlreiche und schwerwiegende Interaktionen drohen, wenn Substanzen sowohl in das Transportprotein P-Glykoprotein als auch in das metabolisierende Enzym CYP3A4 eingreifen. Das ist gar nicht so selten (Tab. 3). Der Calciumantagonist Mibefradil, der vor einigen Jahren wegen gefährlicher Wechselwirkungen (z. B. mit anderen Dihydropyridin-Calciumantagonisten, Betablockern, Digoxin, Simvastatin, Ciclosporin, Tacrolimus) vom Markt genommen wurde, hemmt sowohl P-Glykoprotein als auch CYP3A4.

Grapefruitsaft konnte schließlich als potenter Inhibitor von CYP3A4 entlarvt werden. Der Saft kann das metabolisierende Enzym irreversibel zerstören und so die Bioverfügbarkeit verschiedener Arzneistoffe erhöhen. Der Effekt hält 24 Stunden an, bis zur Proteinneusynthese.

Quelle

Prof. Dr. H. Blume, SocraTec R&D, Oberursel, 17. Gastroenterologisches Fortbildungswochenende der Falk Foundation e. V. für Klinik-Apotheker, "Aktuelle Fragen zu Erkrankungen der Leber und des Darms", Weimar, 26. und 27. April 2002.

Die Arzneistoff-Metabolisierung in der Darmwand ist für die Bioverfügbarkeit der Arzneistoffe mindestens ebenso wichtig wie die Metabolisierung in der Leber, denn in der Dünndarmschleimhaut spielt sich eine Vielzahl von Resorptions- und Transportprozessen ab. Da die Transportproteine und die Enzyme nur eine geringe Stoffspezifität haben und sowohl induzierbar als auch hemmbar sind, kommt es zu zahlreichen klinisch bedeutsamen Interaktionen im Magen-Darm-Trakt.  

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