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Arzneimittelpreisverordnung sollte reformiert werden (DAZ-Interview)

BERLIN (im). Sollte der in Deutschland verbotene Versandhandel mit Arzneimitteln kommen, müssen mindestens Arzneimittelsicherheit und Versorgungssicherheit gewährleistet sein, Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden. Dies ist die Haltung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), die VFA-Geschäftsführer Dr. Ulrich Vorderwülbecke im Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung erläuterte.

Befragt, warum dieser Verband beim Runden Tisch die Empfehlung zum Versandhandel damals nicht klar abgelehnt hatte, sagte der Jurist, da nach den Beratungen der Arbeitsgruppe zum Runden Tisch diese drei Kriterien in der Empfehlung auftauchten, habe der VFA damit leben können. Bei der Arzneimittelpreisverordnung der Zukunft hieß es, dieser Industrieverband könne mit einer "Drehung" leben.

Bauchschmerzen bereitet demnach allerdings die drohende "vierte Hürde", mit der die SPD das Preis-Nutzen-Verhältnis eines Arzneimittels nach dessen regulärer Zulassung prüfen lassen will. Der VFA hält dies für überflüssig und befürchtet zudem, dass Patienten Innovationen dann womöglich verspätet erhalten. Die Fragen stellte DAZ-Korrespondentin Susanne Imhoff-Hasse.

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Herr Dr. Vorderwülbecke, die Initiative Pro Apotheke der ABDA gegen den Versandhandel soll bis Mitte Juni laufen, sie hat zur Zeit bereits einen Rücklauf von mehr als 2,2 Millionen Unterschriften. Wie bewerten Sie diese Initiative?

Vorderwülbecke:

Die Apotheker machen flächendeckend deutlich, dass sie durch den Versandhandel eine Gefährdung der Apotheken in der herkömmlichen Form sehen.

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Und eine Verschlechterung der Situation der Patienten, können Sie dies nachvollziehen? Es wird ja thematisiert, dass die Versorgungssicherheit leiden würde durch den Versandhandel.

Vorderwülbecke:

Eine Prognose enthält immer ein gewisses spekulatives Element, das man allerdings nicht ohne weiteres von der Hand weisen kann. Ob es tatsächlich zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung kommt, kann ich persönlich im Moment nicht mit Sicherheit bejahen oder verneinen. Unplausibel ist es aber nicht.

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Der Runde Tisch hat in diesem Jahr unter anderem eine Empfehlung zum Versand herausgegeben, die mit Zustimmung der Industrie erfolgt sein soll, weil sich nur die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, die ABDA, und die Zahnärzte expressis verbis dagegen ausgesprochen hatten. Warum gab es nicht zumindest eine Enthaltung Ihres Verbands?

Vorderwülbecke:

Uns kommt es in der Diskussion um den Versandhandel vor allem auf sachliche Argumente an und darauf, eine Konfrontation möglichst zu vermeiden. Man sollte auch bedenken, dass das Thema eine gewisse Tradition hat und nicht erst am Runden Tisch erstmals besprochen wurde. Es ist bereits im Dezember 2000 auf einem Workshop des Bundesgesundheitsministeriums in Bonn behandelt worden. Damals hatte der VFA vorgetragen, dass es ihm auf drei Aspekte ankommt: die Wahrung der Arzneimittelsicherheit, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. In den Beratungen der Arbeitsgruppe zum Runden Tisch ist es uns gelungen, diese drei Kriterien in die Empfehlung mit einzubringen. Das war für uns entscheidend. Nachdem uns das gelungen war, konnten wir mit der Empfehlung leben.

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Zum Stichwort "keine Wettbewerbsverzerrung": Die Apotheker befürchten, dass es klassisch zur Rosinenpickerei käme, ein ausländischer Versandhändler sich also nur auf wenige teure, lukrative Arzneimittel beschränken würde und die Abgabe beispielsweise von preiswerten Fieberzäpfchen bei den deutschen Apotheken verbliebe, die per Gesetz dazu verpflichtet sind.

Vorderwülbecke:

Das sehen wir von der Diagnose her genauso. Dies kennzeichnet aber auch zugleich den Handlungsauftrag an den Gesetzgeber, eine solche Rosinenpickerei zu vermeiden. Wir haben immer vertreten, dass die Apotheke vielen Bindungen unterliegt – zum Beispiel Nacht- und Notdiensten, Lagerhaltung oder der Verpflichtung zur Datenlieferung. Es kann nicht angehen, dass man von der einen Abgabestelle etwas verlangt, was von der anderen nicht gefordert wird. Es muss eine Regelung gefunden werden, so dass keine Verzerrungen entstehen – darauf legen wir Wert. Das gilt im übrigen auch für Wettbewerbsverzerrungen in Europa, da der Versand wohl kein rein nationaler sein soll. Für uns ist es wichtig, dass nicht über den Versandhandel Preisregulierungen anderer Staaten nach Deutschland importiert werden.

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Haben Sie hier die Befürchtung, dass niedrige Preise, wie sie etwa in Spanien von der dortigen Regierung festgelegt werden, hier eingeführt werden?

Vorderwülbecke:

Das droht, wenn man nicht darauf achtet, dass Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden.

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Kommen wir zur Arzneimittelpreisverordnung. Die Verordnung wurde erst 1998 novelliert, um teure Medikamente zu verbilligen, unter anderem durch die Streckung des Apothekenzuschlags im hochpreisigen Bereich. War das letztlich erfolglos, um teure Präparate aus der Diskussion zu bekommen?

Vorderwülbecke:

Wenn man es scharf formuliert, war es das. Vermutlich ist man damals nicht weit genug gesprungen. Da die Reform ein wenig halbherzig war, ist das Problem nur entschärft, aber nicht gelöst worden. So hatte die Änderung nicht den Erfolg, der notwendig gewesen wäre.

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Ulla Schmidt hat bereits angekündigt, sie würde im Jahr 2003, wenn sie wieder Bundesgesundheitsministerin wäre, die Arzneimittelpreisverordnung novellieren. Sehen Sie die Notwendigkeit dazu?

Vorderwülbecke:

Ja, wir meinen, dass die Verordnung in der derzeitigen Form nicht mehr state of the art ist. Sie hat sich überlebt. Sie stammt ja letztlich aus der Zeit Ende der 70er Jahre und war auf einen anderen Markt mit anderen Preisstrukturen zugeschnitten. Handlungsbedarf besteht, um sie den neuen Gegebenheiten anzupassen, im übrigen auch, um die Diskussion um Distributionskosten zu entschärfen.

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Wie könnte sie novelliert werden?

Vorderwülbecke:

Wir meinen, dass sie im Sinne einer Drehung geändert werden kann.

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Sehen Sie Chancen für eine Drehung, wie sie die ABDA ins Gespräch gebracht hat, also Verbilligung im hochpreisigen Bereich und zugleich Verteuerung bei niedrigpreisigen Arzneimitteln?

Vorderwülbecke:

Ich sehe da gute Chancen. Von der Tendenz her sind die ABDA, der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels Phagro, und der VFA einer Meinung, also Senkung der Zuschlagssätze im höherpreisigen Bereich und moderate Anhebung in der Masse der niedrigpreisigen Arzneimittel, wobei wir allerdings noch kein konkretes Zahlenmodell vorliegen haben.

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Zugleich bliebe die Festsetzung der Preise durch die Hersteller frei?

Vorderwülbecke:

Ja, die Arzneimittelpreisverordnung regelt nur die Aufschlagssätze des Großhandels und der Apotheken. Der Herstellerabgabepreis ist davon unberührt.

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Eine Frage zur vierten Hürde. Seit kurzem ist ein neues Institut im Gespräch, das nach dem Willen der Bundesgesundheitsministerin das Preis-Nutzen-Verhältnis eines Arzneimittels bewerten soll, und zwar nach der Prüfung auf Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit im Zuge der Zulassung. Wie stehen Sie dazu?

Vorderwülbecke:

Wir stehen der vierten Hürde eindeutig ablehnend gegenüber. Die Anforderungen an die Zulassungen haben inzwischen ein Niveau erreicht, dass die Prüfung des therapeutischen Nutzens über den Wirksamkeitsnachweis hinaus nichts mehr bringt.

Außerdem haben wir im Gesetz bereits Instrumente, die sich mit dem Nutzen eines Medikaments beschäftigen, die wir ohnehin kritisch sehen. Das ist zum einen die Positivliste, die den therapeutischen Nutzen erfassen soll, und auch die künftigen Hinweise des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Bewertung des therapeutischen Nutzens und zur Wirtschaftlichkeit gehen in diese Richtung.

Unser grundsätzlicher Einwand gegen die vierte Hürde ist, dass der therapeutische Nutzen eines Arzneimittels nicht zentral am grünen Tisch festgelegt werden kann, sondern immer vom Arzt individuell in der konkreten Behandlung seines Patienten entschieden werden muss. Daher soll sich der therapeutische Nutzen eines Präparats im Wettbewerb zeigen und bewähren. Wenn ein Präparat gegenüber Analogpräparaten beispielsweise keine Wechselwirkungen mit anderen Mitteln aufweist, weil es anders verstoffwechselt wird, dann mag das für den einen Patienten ein wichtiger Vorteil sein, für den anderen spielt es womöglich keine Rolle, weil er keine weiteren Arzneimittel einnimmt. Schon daran zeigt sich, dass der therapeutische Nutzen nicht generell zu definieren ist, sondern sich am individuellen Einzelfall bemisst.

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Wer sollte den therapeutischen Nutzen eines Medikaments prüfen?

Vorderwülbecke:

Aus unserer Sicht der einzelne Arzt, kein neues Institut. Hinzu käme, dass zunächst erhebliche Datenmengen mit einem großen Zeit- und Geldaufwand zusammengetragen werden müssten, so dass Patienten Innovationen vermutlich verzögert und nicht sofort nach der Zulassung erhielten.

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Nun hängt die SPD sehr stark an dieser Idee, Ministerin Schmidt hat sich mehrfach öffentlich dazu bekannt, der Fraktionsvorsitzende Peter Struck ebenfalls. Müssen sich Ihre Mitgliedsunternehmen nicht doch darauf einstellen, da die Sozialdemokraten die vierte Hürde als erklärtes Ziel ausgegeben haben?

Vorderwülbecke:

Wir stellen uns auf die Diskussion dazu ein und müssen Überzeugungsarbeit leisten, dass der Weg mit der vierten Hürde bestimmt nicht der Königsweg ist, um einem vermeintlichen Problem zu begegnen. Der Arzneimittelbereich ist schon sehr reglementiert. Das Regulierungsdickicht muss gelichtet werden. Ein weiteres zusätzliches Regulierungsinstrument können wir uns nicht leisten.

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Herr Dr. Vorderwülbecke, vielen Dank für das Gespräch!

Sollte der in Deutschland verbotene Versandhandel mit Arzneimitteln kommen, müssen mindestens Arzneimittelsicherheit und Versorgungssicherheit gewährleistet sein, Wettbewerbsverzerrungen müssen vermieden werden. Dies ist die Haltung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), die VFA-Geschäftsführer Dr. Ulrich Vorderwülbecke im Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung erläuterte. 

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