DAZ aktuell

Resolution gegen den Arzneimittelliefervertrag der BKK Bayern mit DocMorris: "Be

MÜNCHEN (fro). "Auf das Schärfste" protestieren die bayerischen Apotheker gegen das Vorgehen des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK) im Freistaat. In seiner Resolution vom 18. April fordert der Bayerische Apothekerverband e. V., den "gesetzwidrigen" Kontrakt des BKK "unverzüglich zu unterbinden" (siehe auch DAZ Nr. 16, S. 25). Das Tauziehen um die Rechtmäßigkeit des Versandhandels von Arzneimitteln geht damit in die nächste Runde.

Der Vertrag der BKK mit dem niederländischen Unternehmen DocMorris öffnet dem Bezug von Arzneimitteln über den Versandhandel die Türen noch weiter. Ohnehin erfreut sich die Internet-Apotheke ungeachtet laufender Rechtsstreitigkeiten steigender Umsätze. An deren Förderung beteiligen sich auch die deutschen Krankenkassen – immer mehr erstatten die Kosten für Arzneimittel vom Lieferanten DocMorris.

"Offener Rechtsbruch"

Ein "gravierender Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz" befand die Apothekerkammer Nordrhein. Einer von zahlreichen Protesten: Der LAV Baden-Württemberg wandte sich über Ostern auf dem Stuttgarter Flughafen mit einer Aufklärungsaktion gegen den Versandhandel an die Öffentlichkeit (siehe DAZ Nr. 15). Doch die Zeit der Osterhasen ist vorbei, nicht nur kalendarisch ...

Dass nun der Versandhandel mit Arzneimitteln per Vertrag legitimiert wurde, brachte das Fass zum Überlaufen – und die weiß-blaue Apothekerschaft auf die Barrikaden. Der Apothekerverband des Freistaats wertet den Vertragsschluss nicht nur als "offenen Rechtsbruch". Vielmehr gefährde dieser "wissentlich die flächendeckende, zeit- und ortsnahe Arzneimittelversorgung rund um die Uhr". Mit der Forderung nach einem "raschen und entschiedenen Vorgehen" schließt die Resolution. Diese wurde der bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Soziales Christa Stewens vergangene Woche im Münchner Landtag überreicht. Gemeinsam mit einer Kiste, deren Inhalt der Besorgnis weiteren Nachdruck verleihen soll: rund 13 000 Unterschriften gegen den Vertragsschluss wurden in den vergangenen Wochen gesammelt.

"... mit unkalkulierbaren Risiken"

Das Verbot des Versandhandels mit Medikamenten hat auch für die bayerische Staatsministerin nur allzu gute Gründe. Frau Stewens führte allen voran die Argumente Arzneimittelsicherheit und unmittelbare Beratung ins Feld und plädierte, "jede Förderung des Versandhandels zu unterlassen": dieser berge "unkalkulierbare Risiken". In der Tat, zu Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten kann der Postbote schwerlich Auskunft geben.

Stewens kritisierte das Votum der Bundesgesundheitsministerin für den Arzneimittelhandel via Internet. Nach wie vor stünden die von Ulla Schmidt angemahnten "rechtlichen Voraussetzungen für den Versandhandel und für Internet-Apotheken" aus: "Diese Frage lässt das Bundesgesundheitsministerium bis heute offen". Der Entscheid des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg wird sie beantworten.

Lieferung durch die Hintertür

Inzwischen klärt DocMorris offene Rechtsfragen auf seine Weise – durch juristische Kosmetik. Die beanstandeten Verstöße gegen Arzneimittel- wie Heilmittelwerbegesetz umgeht man durch die organisatorische Trennung von Bestellung und Versand. Deutsche Kunden haben die "Wahl", das Gewünschte selbst abzuholen oder dessen Lieferung aus den holländischen Offizinen selbst in Auftrag zu geben.

Kosten entstehen dafür nicht. Diese sind, wie der User auf der Homepage erfährt, bereits "in unseren Preisen enthalten" - ein "zeitgemäßer Service". Fürwahr, schließlich investiert man auch in einen höchst lukrativen Markt. Online-Apotheken können laut Analysen der Marktforscher auf ein enormes Potenzial bauen. Wenn auch noch rechtliche Querelen a la DocMorris aus dem Weg geräumt werden müssen: Apothekenbesuchen via Internet werden vergleichbare Dimensionen wie Online-Käufen von Videos und Büchern prophezeit. In den USA darf sich der Pillen-E-Commerce bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln auf ein Umsatzplus von 15 Milliarden US-Dollar freuen. Nicht umsonst – im doppelten Wortsinn – hofft man bei DocMorris, dass sich "zukünftig alle Leistungen für Interessenten in Deutschland nutzen lassen".

Einsparpotenzial de facto ungewiss

Ob die Kassen durch ihre Online-Händel tatsächlich Einsparungen erzielen und in welcher Höhe, ist unklar. Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes e. V. Hermann-Stefan Keller hält alle bisherigen Kalkulationen für "Milchmädchenrechnungen, welche die Realitäten verzerren". Bei gleichen Rahmenbedingungen könnten deutsche Apotheken zu ähnlichen Konditionen liefern wie die ausländische Konkurrenz.

Nach dem Gutachten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen steht und fällt das Einsparpotenzial mit der rechtlichen Einstufung einer Krankenkasse. Gilt diese als Endverbraucher, ließe sich tatsächlich sparen. Laufen die Kassen allerdings unter Gewerbetreibenden, fällt der deutsche Mehrwertsteuersatz an. Letzten Endes würde dann der Bundesfinanzminister die Einsparungen der Betriebskrankenkassen bezahlen.

Für den Vorsitzenden Gerhard Reichert ist jedenfalls klar, dass es sich bei dem BKK-Vertrag um "Rosinenpickerei im hochpreisigen Bereich" handelt. Ein von dem BAV durchgeführter Testkauf zeitigte nur bei 2 von 92 Aufträgen den gewünschten Erfolg. Die restlichen Bestellungen, alles Produkte unter fünf Euro und damit wenig umsatzträchtig, verloren sich im Netz. Wie sich das mit einer flächendeckenden Arzneimittelversorgung vereinbaren lässt, ist mehr als fraglich.

Man darf also gespannt sein. Nicht zuletzt deshalb, weil der Arzneikauf per Mausklick eine große Lobby hat. Das zeigte sich erst wieder Mitte April, als das Gütesiegel "Fachberatung" einen Kratzer in den Lack bekam. Das ARD-Wirtschaftsmagazin "plusminus" begab sich zum Testkauf von Nasentropfen in 50 Apotheken. Ergebnis der Stichprobe: In allen Fällen gingen die Präparate über die Theken, ohne dass auf Nebenwirkungen und Abhängigkeitsgefahren hingewiesen wurde. "Blamabel" fand dies der Bremer Arzneimittelversorgungsforscher Professor Gerd Glaeske und folgerte, dass "Medikamente dann auch per Post verschickt werden können".

Ohnehin würden laut Umfrage eines Hamburger Forschungsinstituts 89 Prozent der Internet-Nutzer den Vertrieb von Arzneimitteln via World Wide Web begrüßen. Sofern dieser "kontrolliert" und "vertrauenswürdig" von statten geht, schließen sich die Verbraucherverbände (AgV) diesem Begehren der User an. Natürlich müssen auch für "Versandapotheken bestimmte Qualitätskriterien" gelten und ist der "Markt derzeit noch nicht transparent genug".

Einerlei, ob er dies je wird und ob die Online-Medikation weiterhin durch die Hintertür geliefert oder alsbald rechtens wird – genügend Stoff für einen Wirtschaftskrimi liefert das Gerangel schon heute ...

Nachgefragt: Über Kosteneinsparungen kann man reden

(fro). Wir fragten den 1. Vorsitzenden des Bayerischen Apothekerverbandes, Gerhard Reichert, wie er den Versandhandel bewertet und wo das Hauptproblem liegt.

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Wie dürfte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ausfallen?

Reichert:

Ich vertraue auf Vernunft in Luxemburg und bin überzeugt, dass nur gegen den Versandhandel entschieden werden kann. Das Abkommen von Amsterdam besagt zudem ganz klar, dass die Nationen selbst bestimmen können, was in ihrem Gesundheitssystem geschehen soll.

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Worin sehen Sie das Hauptproblem beim Versandhandel?

Reichert:

Dass der teure Chroniker auf diese Weise gezielt gelenkt werden soll und so Einsparungen zu Lasten des großen Versorgungssystems der Apotheken getroffen werden. Über Kosteneinsparung kann man reden, nicht aber über eine Systemveränderung – und darum handelt es sich hier ganz klar.

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Also keine Einsparungen?

Reichert:

Bei günstigen Medikamenten nicht. Die Grenze liegt bei 17,20 Euro Abgabepreis. Bei allen Produkten darunter sind deutsche Apotheken unvergleichlich billiger: Je günstiger im Einkauf, desto teurer der Niederländer und desto billiger der Deutsche. Erst über den magischen 17,20 Euro dreht sich das um. Bei billigen Arzneimitteln sind wir in jedem Fall konkurrenzlos günstig. Ausländische Anbieter picken sich daher den hochpreisigen Bereich heraus und machen damit ihre Gewinne.

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Beim "teuren" Chroniker, wie Sie sagten, erhofft man sich aber doch Einsparungen?

Reichert:

Bei unserer jetzigen Arzneimittelpreisverordnung schon. Doch damit würde man dem Wirtschaftssystem der deutschen Apotheken die Grundlage entziehen.

"Auf das Schärfste" protestieren die bayerischen Apotheker gegen das Vorgehen des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK) im Freistaat. In seiner Resolution vom 18. April fordert der Bayerische Apothekerverband e. V., den "gesetzwidrigen" Kontrakt der BKK "unverzüglich zu unterbinden". Das Tauziehen um die Rechtmäßigkeit des Versandhandels von Arzneimitteln geht damit in die nächste Runde.

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