Ernährung aktuell

Vollkorn: Keine gesundheitlichen Risiken

In den vergangenen Wochen wurde mehrfach über eine mögliche gesundheitsschädliche Wirkung durch den Verzehr von Vollkorn in den Medien berichtet. Als vermeintliche gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe wurden Lektine, Enzyminhibitoren sowie die Phytinsäure aufgeführt. "Sämtliche Berichte beziehen sich hauptsächlich auf die zwei Publikationen von Pusztai et al. (1993) und Cordain et al. (2000), die jedoch bei korrekter wissenschaftlicher Interpretation in keiner Weise die in diesen Berichten gemachten Aussagen zulassen", so Dr. Bernhard Watzl von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe.

Vollkornprodukte liefern neben Kohlenhydraten Ballaststoffe, Eiweiß, ungesättigte Fettsäuren, Vitamin B1, B2, Folsäure, sekundäre Pflanzenstoffe, Mineralstoffe und Spurenelemente wie Magnesium, Calcium sowie Eisen. In mehreren Studien wurde eine gegensätzliche Beziehung zwischen dem Verzehr von Vollkorn und dem Risiko für Krankheiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes mellitus Typ 2 festgestellt. Diese Datenlage lässt somit den Schluss zu, dass der regelmäßige Verzehr von Vollkornprodukten im Rahmen einer vollwertigen gemischten Kost eine gesundheitsfördernde Wirkung besitzt. Ein erhöhter Verzehr von Vollkornprodukten würde die Gesundheit der Bevölkerung folglich nicht schädigen, sondern fördern.

In Bezug auf die schützenden Wirkungen von Vollkorn wurden in einer Analyse 40 Studien hinsichtlich des Verzehrs von Vollkorn und dem Krebsrisiko untersucht. Dabei zeigte sich, dass das Krebsrisiko bei Personen mit hohem Vollkornverzehr um etwa 33 % verringert war im Vergleich zu Personen mit sehr niedrigem bzw. keinem Verzehr von Vollkorn. Ein verringertes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei moderatem Vollkornverzehr wurde in zwei Studien, der Nurses Health Study (NHS) sowie der Iowa Women Health Study (IWHS), beobachtet. In beiden Untersuchungen wurde auch ein verringertes Risiko für die Entstehung von Diabetes mellitus Typ 2 festgestellt. Zudem zeigte sich, dass ein hoher Vollkornverzehr (3 Portionen pro Tag) im Vergleich mit einem sehr niedrigen Verzehr das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall um 25-30% verringerte.

Im Folgenden werden die Inhaltsstoffe von Vollkorn, die von den Medien als "krankheitsauslösend" tituliert wurden, kurz vorgestellt. Hierbei handelt es sich um Lektine, Enzyminhibitoren und die Phytinsäure.

Lektine: Nur in extrem hohen Dosen toxisch

Lektine sind Proteine oder Glykoproteine, die in vielen Nahrungspflanzen vorkommen. Besonders hohe Gehalte weisen Hülsenfrüchte und Weizenkeime auf. Geringere Mengen sind auch in Tomaten, Himbeeren, Nüssen, Bananen, Zwiebeln und Kartoffeln zu finden. Sie binden spezifisch an Kohlenhydrate und besitzen eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber den Enzymen des Magen-Darm-Traktes.

Insgesamt unterscheiden sich die einzelnen Lektine stark hinsichtlich ihrer Wirkung. Eine Schädigung der Darmwand hängt in entscheidendem Maß von der Dosis und von der Art des Lektins ab. Charakteristisch für Lektine ist ihre Eigenschaft, eine Verklumpung der roten Blutkörperchen hervorzurufen. Lektine werden auch vom Menschen selbst synthetisiert. Bei den Lektinen kann zwischen hitzestabilen und hitzeempfindlichen Lektinen unterschieden werden. So führt das Erhitzen von Hülsenfrüchten zu einer starken Verminderung des Lektingehaltes. Verschiedene Weizenlektine sind hingegen hitzestabil.

Zur täglichen Gesamtaufnahme von Lektinen beim Menschen gibt es bisher keine analytischen Daten. Nach Schätzungen liegt die durchschnittliche Lektinaufnahme bei 0 – 300 mg/Tag bzw. 0 – 5 mg/kg Körpergewicht (KG). Hierzu tragen in erster Linie Hülsenfrüchte (1 – 10 g/kg) und Weizenkeime (0,1 – 0,5 g/kg) bei. Der Lektingehalt liegt für Vollkorn, Kartoffeln und Zwiebeln in einem Bereich von < 0,01 g/kg. Somit unterscheidet sich Vollkorn nicht wesentlich von verschiedenen anderen Lebensmitteln. Extrem hohe Konzentrationen an Weizenkeimagglutinin (WGA, 500 mg/kg KG), ein Lektin des Weizenkeims, schädigen im Tierversuch reversibel die Darmwand. Beim Menschen wurden jedoch nach einer einmaligen Aufnahme von 200 mg WGA keine schädigenden Effekte beobachtet. Darüber hinaus zeigen sich – trotz regelmäßigem Lektinverzehr – keine Schädigungen des Darmtraktes.

Faktoren hierfür liegen vermutlich an:

  • den geringen Mengen aufgenommener Lektine.
  • einer Schutzschicht aus Glykokonjugaten auf dem Darmepithel.
  • der großen Darmfläche, die den Lektinen aus der Nahrung gegenübersteht. Dadurch verringert sich die Toxizität der Lektine im Darmtrakt.

In der von Medien zitierten Studie von Pusztai et al. wurde von einem Lektingehalt in zu diesem Zweck hergestellten transgenen Pflanzen von über 10 000 mg/kg ausgegangen. Diese hohen Dosen kommen aber natürlicherweise in pflanzlichen Lebensmitteln nicht vor. Pusztai et al. schreiben ganz klar, dass der normale Verzehr von Weizenvollkorn im Rahmen einer gemischten Kost mit keinerlei Toxizität einhergeht. Lektine können unter diesen Voraussetzungen auch positive Wirkungen auf die intestinale Verdauung, auf das Immun- und hormonelle System des Darms sowie auf die Bakterienflora ausüben.

Auch die in Medien zitierte Hypothese von Cordain, dass Lektine Auslöser von rheumatischer Arthritis sein können, ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht vertretbar. Cordain geht von der Hypothese aus, dass die durch Lektine bedingten Störungen der Darmwand zu einer Aktivierung von Immunzellen und somit zu einer Autoimmunreaktion führen soll. Dies könne letztendlich die rheumatischen Erkrankungen bei genetisch veranlagten Personen auslösen. Für diese Hypothese gibt es keine experimentellen Daten aus Studien an Menschen. Im Gegenteil, es gibt erste Hinweise, dass Lektine allergische Reaktionen abschwächen. Inzwischen werden für einige Lektine auch gesundheitsfördernde Effekte diskutiert. So könnten Lektine beispielsweise die Entstehung von Dickdarmkrebs hemmen, wie aufgrund zellulärer Untersuchungen nachgewiesen werden konnte.

Auch Enzyminhibitoren stellen keine Gefahr dar

Enzyminhibitoren wie a-Amylaseinhibitoren und Proteaseinhibitoren sind keine vollkornspezifischen Inhaltsstoffe. Sie finden sich auch im Mehlkörper des Getreides sowie in vielen anderen pflanzlichen Lebensmitteln. Dabei sind nicht alle im Vollkorn enthaltenen Inhibitoren gegen Verdauungsenzyme des Menschen wirksam. Zudem kann ein erheblicher Teil der Inhibitorwirkung durch Erhitzen zerstört werden. Enzyminhibitoren werden bei Personen mit durchschnittlichen Ernährungsgewohnheiten gesundheitsfördernde Wirkungen (Einfluss auf Blutglucosekonzentration und Krebsentstehung) zugesprochen.

Phytinsäure muss nicht für Zinkmangel verantwortlich sein

Die Phytinsäure kommt in allen pflanzlichen Samen und damit vor allem in Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten und Nüssen vor. Die durchschnittliche Phytinsäureaufnahme wird beim Erwachsenen je nach Ernährungsgewohnheit auf 0,3 – 3,0 g pro Tag geschätzt. Bei der Magen-Darm-Passage kann die Phytinsäure unter bestimmten Bedingungen essenzielle Spurenelemente und Mineralstoffe binden und dadurch die Resorption z. B. von Eisen und Zink beeinträchtigen. Diese Komplexierung von Metallionen ist jedoch von vielen Faktoren abhängig wie dem Phytinsäuregehalt der Lebensmittel und die Anwesenheit weiterer Komplexbildner. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Phytinsäure als Bestandteil einer gemischten, vielseitigen und ausgewogenen Ernährung die Eisen- und Zinkversorgung beim Menschen nicht beeinträchtigt. In einigen Berichten wird der Verzehr von Broten aus Natursauerteig empfohlen, um der "Phytingefahr" zu entgehen. Diese Forderung ist nicht gerechtfertigt, da alle Brotsorten produktionsbedingt auch phytinsäurearm hergestellt werden können. In den letzten Jahren mehren sich vielmehr die Hinweise, dass Phytinsäure gesundheitsfördernde Wirkungen bezüglich der Regulation des Blutglucosespiegels sowie der Prävention von Krebs besitzt. Auch der in Medien angeführte "häufig diagnostizierte Zinkmangel bei Vollwertköstlern" kann auf verschiedenen Ursachen beruhen. Diese gehen nicht mit einem Vollkornverzehr und einer damit verbundenen Phytinsäureaufnahme einher, sondern z. B. mit einer unzureichenden Zufuhr an Zink.

Unbestritten ist, dass der Verzehr von Weizen bei genetisch veranlagten Personen zu Krankheiten wie Zöliakie oder Allergien führen kann. Dies steht jedoch in Zusammenhang mit dem Verzehr an Weizenmehlprodukten und darin vorhandenen Proteinen. Es hat aber nichts mit den in Vollkorn zusätzlich vorhandenen Lektinen, Enzyminhibitoren oder der Phytinsäure zu tun.

Eine ausführliche Stellungnahme und die entsprechende Literaturliste finden Sie im Internet unter www.dge.de, in der Rubrik "Aktuelles".

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