Berichte

Universität Würzburg: Akademische Abschlussfeier

Schon fast Tradition in Würzburg ist die akademische Abschlussfeier der Pharmazeuten an der nunmehr 600 Jahren alten Julius-Maximilians-Universität (liebevoll auch Jumax genannt). Zum dritten Mal fand im Januar in der Neubaukirche die feierliche Verabschiedung der Studenten statt, die im Wintersemester 2001/2002 den zweiten Teil des pharmazeutischen Staatsexamens erfolgreich absolviert hatten.

Da Pharmazeuten ja fast alles können, wurde der musikalische Rahmen von einem mit Pharmazeuten besetzten kleinen Ensemble von Prof. Dr. S. Ebel gestaltet. Und auch Musik von Pharmazeuten für Pharmazeuten hat in Würzburg schon Tradition. Die Zeugnisübergabe wurde von wohlwollenden und mahnenden Worten begleitet, ist das Studium doch nur ein Anfang der lebenslangen Weiterbildung auf naturwissenschaftlichem und medizinischem Gebiet.

Biologie zwischen Fortschritt und Angst

Dies zeigte in besonderem Maße die Festrede des Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, Prof. Dr. Theo Dingermann, die das spannende Thema behandelte, wie sich die moderne Genomforschung auf unser Gesundheitswesen auswirken könnte. "Biologie im Spannungsfeld zwischen Fortschritt und Angst: Eine Herausforderung auch für uns Apotheker", so hatte Dingermann seine Rede überschrieben, und er stellte gleich zu Anfang klar, dass auch die Apotheker überlegen müssen, wie sie sich an der Schwelle einer völlig neuen Ära einbringen wollen, um an der Umsetzung des unaufhaltsamen Fortschritts teilzunehmen.

Vor zehn Jahren fassten Biologen, Genetiker und Biochemiker den kühnen Entschluss, das geheime Geisteswerk zu erforschen, das den Mensch zum Menschen macht und doch gleichzeitig so unterschiedliche Individuen schafft. Das "Human Genome Project" wurde vor einem Jahr zumindest in seiner ersten Phase abgeschlossen. Zwar sind die drei Milliarden Buchstaben, die in der richtigen Reihenfolge angeordnet, einen Menschen kodieren, nun entschlüsselt. Allerdings verstanden sind die versteckten Botschaften noch nicht; so werden für Biowissenschaftler Harry-Potter-Nächte anbrechen, wie es Dingermann formulierte. "Genomforschung wird zur Herausforderung für unser Gesundheitswesen. Genomforschung wird zur für viele bisher nur in ihrem Unterbewusstsein wahrgenommenen Hoffnung vor dem Hintergrund quälender Angst vor Krankheit und Leid". Nur deshalb ist die Gesellschaft bereit, Unsummen in diese Forschung zu investieren und Wissenschaftler mit immer neuen Programmen zu noch effizienterem Forschen zu animieren.

Das Genomprojekt wird einen ungeahnten Schub bei der Entwicklung neuer, noch gezielter einsetzbarer – weil unter Hellsicht entwickelter – Medikamente bewirken, die das heutige Arsenal an Therapien spektakulär erweitern, verändern und umwälzen werden. Während die Forschung ohne Atem zu holen dem Geheimnis des Lebens immer schneller und immer tiefer auf die Schliche kommt, werden die meisten in unserer Gesellschaft zur Reaktion verdammt sein, die ganz unterschiedlich ausfallen wird.

  • Ärztinnen und Ärzten werden immer neue Werkzeuge bereit gestellt werden, mit denen Krankheiten noch genauer charakterisiert und noch effizienter behandelt werden können.
  • Apothekerinnen und Apotheker werden immer stärker das Gespräch mit den Patienten zu suchen haben, um die stetig komplexer werdenden Therapiestrategien zu erklären und die überforderten Patienten bei der therapeutischen Stange zu halten.
  • Die Krankenkassen werden damit zu kämpfen haben, nicht dem immer stärker drohenden Konflikt zwischen Solidarität und dem meist unverschuldeten Risiko des Einzelpatienten zu erliegen.
  • Und der Patient wird vor der schwierigen Frage stehen, einer Therapieoption, die er meist nicht einmal mehr ansatzweise versteht, seine Zustimmung zu geben oder die Zustimmung zu versagen – auf eigenes Risiko, mit unabsehbaren Konsequenzen.

Mehr Rationalität bei Arzneimitteln

An drei Beispielen erläuterte Dingermann die Konsequenzen der Genomforschung für unser Gesundheitswesen. So werden Wirkstoffe künftig auf ganz andere Weise entwickelt werden, als viele das noch erlernt oder vielleicht sogar praktiziert haben. Rationalität, auf der Basis der Detailinformation, wird den Fortschritt bei den Arzneimitteln bringen. Und immer gilt es dabei, nicht nur wirksame, sondern vor allem auch verträgliche Arzneimittel zu suchen und zu entwickeln. So werden Genomvergleiche bei der Antibiotika-Entwicklung eine große Rolle spielen, einmal, um über gemeinsame Zielstrukturen in verschiedenen Organismen breit-wirkende Hemmstoffe zu erhalten, zum anderen aber auch, um über den durch Genomvergleich garantierten Ausschluss der gewählten Zielstrukturen beim Menschen eine gute Verträglichkeit zu garantieren.

Genbasierte Diagnostik

In seinem zweiten Beispiel beschäftigte sich Dingermann mit den neuen Möglichkeiten der Diagnostik, die selbstverständlich auch genbasierte Diagnostik mit einschließen. Informationen werden detaillierter aber auch komplexer, und diese werden notwendig, weil viele künftige Wirkstoffe sehr differenziert eingesetzt werden müssen, falls man sie vernünftig einsetzen will.

Darüber hinaus wird bei den diagnostischen Fragen der Zukunft auch die Frage gestellt werden, ob ein bestimmtes Medikament bei einem bestimmten Patienten generell wirken kann bzw. ob es von dem Patienten vertragen wird. Pharmacogenomics, eine neue Disziplin, die jetzt noch in den Kinderschuhen steckt, wird künftig immer wichtiger.

Chancen und Risiken

Schließlich wies Dingermann darauf hin, dass künftig nicht ausschließlich Krankheiten sondern auch Krankheitsveranlagungen diagnostiziert werden können – wahrscheinlich mit großen Konsequenzen, die Chance und Risiko zugleich sein können:

  • Chance für die Patienten, die durch eine genaue Kenntnis von Krankheitsrisiken und Krankheitsursachen deutlich mehr Aussicht auf eine angemessene Behandlung und damit auch auf Heilung haben als ohne Diagnostik.
  • Risiko für die Patienten, die durch falsche Rückschlüsse aus der Risikodiagnose oder durch falsche Ratschläge zu Konsequenzen getrieben werden, die völlig unangemessen sind.
  • Aber auch Risiko für die Patienten, das leider darin besteht, dass diese Informationen missbraucht werden könnten. Schlimm wäre z. B. der missbräuchliche Umgang mit Informationen zu Krankheitsveranlagungen, zu Krankheitsrisiken; denn diese müssen ja nicht zwangsläufig in das fatale Ereignis münden. Sie machen nur ein solches Ereignis wahrscheinlicher als im Falle des risikofreien Mitmenschen.
  • Chance für Versicherungsträger, die auf der Basis einer möglichst genauen Diagnostik größte therapeutische Effizienz und umfangreichste Vorsorge erwarten können.
  • Risiko für die Versicherungsträger, der vermeintlichen Verlockung zu erliegen, so genannte Risikopatienten aus der Solidargemeinschaft auszuschließen oder sie überproportional zu belasten.

Zum Schluss seiner Rede machte Dingermann klar, dass Arzneimittel und nichts anderes die Erfolgsstory der Medizin schreiben werden, auch in der Postgenom-Ära. "Vor diesem Hintergrund muss man sich schon wundern", so Dingermann, "dass gerade das Arzneimittel als Preistreiber unseres Gesundheitswesens ausgedeutet wurde und dessen Gebrauch einzuschränken in einigen Köpfen als wichtigstes Planziel im Rahmen dieses immer komplexer und teurer werdendes Gesundheitssystems definiert wurde. Und wenn man schon einmal beim Einsparen ist, dann kann man doch gleich auch noch die Apothekerschaft wegrationalisieren. Die Kette oder gar das Internet sollen die Retter unseres Gesundheitssystems sein? Welch verhängnisvoller Irrtum. Denn eben weil das Gesundheitswesen immer komplizierter, für den Laien immer abstrakter und für viele daher emotional immer weniger akzeptabel wird, braucht die Gesellschaft den Arzneimittelfachmann, naturwissenschaftlich ausgebildete Apothekerinnen und Apotheker, dringender denn je auch als Mittler zwischen Fortschritt und Angst.

Apotheker werden sich ganz entscheidend daran beteiligen können ja müssen, den Kunden und Patientinnen zu erklären, welche Konsequenzen die vielen neuen Entwicklungen für sie haben. Warum sie letztlich doch wohl von diesen Entwicklungen profitieren werden, obwohl sie sich innerlich unglaublich fürchten." Schlussendlich wurde mit einem Glas Sekt auf die guten Berufschancen und die spannende Zukunft angestoßen.

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