Rechtsprechung aktuell

Grundsätzlich keine Erstattungspflicht für Medikamente im Off-Label-Use

Grundsätzlich müssen Krankenkassen nicht für Arzneimittel zahlen, die in einem Anwendungsgebiet verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (sog. Off-Label-Use). Dies entschied in der vergangenen Woche das Bundessozialgericht in Kassel in einem Grundsatzurteil. Unter engen Voraussetzungen sind jedoch Ausnahmen möglich. Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. März 2002, Az.: B 1 KR 37/00 R

Die Kasseler Richter hatten über den Fall eines an Multipler Sklerose (MS) erkrankten Patienten zu entscheiden. Dieser wurde unter anderem mit dem Arzneimittel Sandoglobulin behandelt. Dieses Medikament ist vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Verkehr zugelassen, die Zulassung umfasst jedoch nicht die MS-Therapie.

Das Gericht hat entschieden, dass die Krankenkasse des MS-Patienten nicht für die Kosten des Präparats aufkommen muss. Zur Begründung führte es Folgendes aus: Wird ein Arzneimittel außerhalb der durch die Zulassung festgelegten Indikationsgebiete eingesetzt, fehlt es ihm an der erforderlichen Verkehrsfähigkeit. Zwar sei ein Arzt nicht daran gehindert, auf eigene Verantwortung ein Medikament zu verordnen, das für die spezielle Therapie nicht zugelassen ist. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse bestehe bei einem solchen Off-Label-Use jedoch nicht, da für das neue Anwendungsgebiet weder die Wirksamkeit noch etwaige Risiken des Arzneimittels im Zulassungsverfahren geprüft worden sind. Die Zulassungsvorschriften des deutschen und europäischen Arzneimittelrechts verlören zu einem erheblichen Teil ihre Bedeutung, wenn die Anwendungsgebiete ohne förmliche Zulassung erweitert würden.

Die Sozialrichter erkannten jedoch, dass im medizinischen Alltag offenkundig ein dringendes Bedürfnis nach einem zulassungsüberschreitenden Einsatz von Medikamenten bestehe. Dies zeige, dass das Arzneimittelrecht seiner Aufgabenstellung teilweise nicht gerecht werde. Für den Hersteller bestehe trotz Hinweisen auf den therapeutischen Nutzen seines Präparates außerhalb der bisherigen Indikation oftmals kein wirtschaftlicher Anreiz, eine Erweiterung der Zulassung zu beantragen. Wenn Ärzte eigenverantwortlich Off-Label-Use betrieben, erübrige sich leicht der Zulassungsantrag. Dieses Defizit, so die Sozialrichter, dürfe allerdings nicht dazu führen, dass den Versicherten unverzichtbare und erwiesenermaßen wirksame Therapien vorenthalten werden.

Solange gesetzliche Regelungen für diesen Fall fehlen, müsse der Off-Label-Gebrauch unter engen Voraussetzung auch zu einer Erstattungspflicht der Kassen führen. Bedingung sei, dass es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, d. h. sie muss lebensbedrohlich sein oder die Lebensqualität dauerhaft und nachhaltig beeinträchtigen. Weiterhin darf keine andere Therapie verfügbar sein und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen ist. Letzteres bedeutet, dass Forschungsergebnisse vorliegen, die eine Zulassung für die betreffende Indikation erwarten lassen. Dies sei zum einen der Fall, wenn die Zulassung bereits beantragt wurde und die Ergebnisse der klinischen Prüfung der Phase III veröffentlicht sind. Aber auch außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene und veröffentlichte Erkenntnisse, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in der neuen Indikation zuverlässige Aussagen zulassen, können einen Ausnahmefall begründen.

Im zu entscheidenden Fall waren diese Voraussetzungen nach Auffassung der Richter allerdings nicht gegeben. Auch wenn es sich bei MS um eine schwere Erkrankung handle, so fehle es doch an hinreichend gesicherten Erkenntnissen über die Wirksamkeit einer Behandlung mit Sandoglobulin, so die Richter. Zudem bestehe eine Behandlungsalternative mit dem für die MS-Therapie zugelassenen Betaferon

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