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Europäische Gesundheitspolitik: Vielfalt der Systeme

KÖLN (cr). Die europäische Gesundheitspolitik hat trotz aller Erklärungen immer noch einen nur geringen politischen Stellenwert. Auch in vorhersehbarer Zukunft wird es in Europa ein einheitliches Gesundheitssystem nicht geben. Pluralität und Vielfalt der nationalen Gesundheitssysteme müssen und werden erhalten bleiben. Diese Quintessenz zog Ministerialrat Dr. Hans Stein, Referatsleiter für Europäische Gesundheitspolitik im Bundesgesundheitsministerium, auf einer Kölner Konferenz des Euroforums zum Gesundheitsmarkt in Europa.

In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union fließen durchschnittlich 8,5% des Bruttoinlandprodukts in die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung. Das Gesundheitswesen ist europaweit Arbeitgeber von Millionen von Beschäftigten. In Deutschland werden rund 250 Milliarden Euro jährlich auf diesem Markt umgesetzt, davon ca. 125 Milliarden Euro im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung – Tendenz steigend. Ungefähr 12% aller Beschäftigten in Deutschland, d. h. ca. vier Millionen Menschen, sind direkt oder indirekt im Gesundheitswesen tätig. In etlichen Mitgliedstaaten kann der Bedarf an Gesundheitsberufen, insbesondere Krankenschwestern, nicht mehr national gedeckt werden.

Korrelationen

Die Ausgaben für die Gesundheit als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (zwischen Großbritannien mit 7% und Deutschland mit über 10%) weisen aus, dass die jeweiligen Ordnungsformen des Gesundheitswesens mit der Höhe der Gesundheitsausgaben korrelieren. In Gesundheitssystemen mit einem nationalen Gesundheitsdienst ist der Anteil der Gesundheitsausgaben im Bruttosozialprodukt tendenziell geringer als in Sozialversicherungssystemen. Dieser Befund, der von der Qualität der Gesundheitsleistungen abstrahiert, zeigt sich noch ausgeprägter in den Pro-Kopf-Ausgaben, da bis auf Dänemark in allen Systemen mit nationalem Gesundheitsdienst pro Kopf weniger ausgegeben wird als in Systemen mit gesetzlicher Krankenversicherung.

Autonomie sozialer Sicherungssysteme

In seinen Ausführungen wies Stein unter Hinweis auf ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom Oktober letzten Jahres darauf hin, dass die Gesundheitssysteme in Europa zwar ein hohes Wachstumspotenzial bei den Ausgaben besitzen, sich dabei aber nur eine partielle Beschleunigung der Europäisierung der Gesundheitsmärkte ergeben wird. Die Autonomie in der Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme bleibe auf absehbare Zeit erhalten. Freilich bestehe seit der Einführung des Euro verstärkt die Möglichkeit, Preise von Arzneimitteln und anderen Gesundheitsleistungen europaweit zu vergleichen. Dies führe zu stärkeren Wettbewerbsimpulsen im Gesundheitswesen, sodass die nationalen Systeme verstärkt unter Druck gerieten.

Wenn auch in keinem Mitgliedstaat der EU das Gesundheitssystem rein marktwirtschaftlich ausgestaltet sei, so gebe es doch überall auch wichtige diesbezügliche Elemente. Damit gerate die Freizügigkeit der Patienten ins Blickfeld. Folge hiervon sei, wie das DIW-Gutachten feststellt, dass es im grenznahen Bereich zu einer – allerdings äußerst bescheidenen – Inanspruchnahme ambulanter Leistungen kommen dürfte. Dagegen könne im stationären Bereich insgesamt mit einem Nettoexport spezialisierter Krankenhausbehandlungen gerechnet werden.

Prägende Rolle des Europäischen Gerichtshofs

Eine prägende, ja außergewöhnliche und zum Teil auch durchaus fragwürdige Rolle bei der gesundheitspolitischen Entwicklung in der EU spielte bislang der Europäische Gerichtshof. Durch die Definition der Grundfreiheiten des Binnenmarktes für Fragen der Gesundheit hat das Gericht die europäische Gesundheitspolitik weitergehend bestimmt als es die dafür zuständigen europäischen Gremien – Kommission, Parlament und Ministerrat – in der Vergangenheit getan haben.

Dies ist nicht unproblematisch, zumal eine flächendeckende Harmonisierung der nationalen Gesundheitssysteme in Europa weder sinnvoll noch rechtlich möglich ist. Es gibt zwar eine einheitliche europäische Währung, nicht jedoch ein einheitliches europäisches Gesundheitswesen. Die unterschiedlich ausgestalteten Strukturen in den Mitgliedstaaten der EU sind nämlich Ausprägungen jahrzehntelanger Entwicklungen und, wie der Referent ausführte, "unmittelbare Antworten auf die gesellschaftlichen Verhältnisse eines jeden Landes". Vor diesem Hintergrund bestehe keinerlei Anlass, "ein europäisches Harmonisierungsgespenst an die Wand zu malen und dagegen zu kämpfen".

Konvergenz und offene Koordinierung

Unausweichlich in der europäischen Gesundheitspolitik ist nach Auffassung Steins jedoch eine fortschreitende "Konvergenz" der unterschiedlichen Gesundheitssysteme. Wie weit diese Konvergenz geht, hängt vom politischen Konsens in den Mitgliedstaaten und von der Übereinstimmung zwischen Kommission und Mitgliedstaat ab.

Dabei gilt das Prinzip der offenen Koordinierung, das die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang bei den einzelnen Mitgliedstaaten belässt. Ziel einer national europakompatiblen Gesundheitspolitik müsse es sein, zu einer besseren gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung beizutragen, ohne die Vielfalt der national gewachsenen Gesundheitssysteme in ihren Kernelementen aktiv verändern zu wollen.

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