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Elektronisches Rezept: Ministerium nicht auf Kassenlinie

BONN (im). Ärzte wollen das elektronische Rezept möglichst in den kommenden sechs Monaten, um damit akute Probleme in ihren Praxen zu lösen, die Apotheker propagieren stattdessen die weitergehende multifunktionale Chipkartenlösung mit einem viel größeren Zusatznutzen für das gesamte System, was auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) befürwortet. Die Krankenkassen beharren noch auf ihrer Forderung nach dem elektronischen Rezept mit zentralen Datenservern, haben dafür aber nicht die Unterstützung des BMG. Das wurde auf dem Kongress "eHealth 2002" des "Aktionsforums Telematik im Gesundheitswesen" (ATG) deutlich, der vom 5. bis 7. März in Bonn stattfand.

Nicht für Akutprobleme der Ärzte

Für den raschen Start eines Modellversuchs zum Arzneimittelpass hat Dr. Frank Diener von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) am 7. März plädiert. Er wies die Forderung der niedergelassenen Ärzte nach schnellen Lösungen noch in diesem Jahr als unpraktikabel zurück. Aktuelle Datenprobleme der Mediziner könnten damit nicht gelöst werden.

Die Apotheker setzten sich nachdrücklich für den elektronischen Arzneimittelpass als Vorstufe zum umfassenden Gesundheitspass ein. Die Vorteile der Telematik müssten genutzt werden, meinte der ABDA-Geschäftsführer. Allerdings seien Modellversuche im Konsens mit Ärzten, Apothekern, Krankenkassen, Patienten und Datenschützern für die notwendige Akzeptanz unabdingbar.

Kassenplan zu eng angelegt

Die Vorstellungen der gesetzlichen Krankenkassen lehnte Diener allerdings ab. Während die Kassen lediglich das elektronische Rezept mit zentraler Datenhaltung auf einem Server einführen wollten, möchten die Apotheker weitere Funktionen auf der multifunktionalen Chipkarte aktivieren. Sich nur auf das elektronische Rezept zu beschränken, mache angesichts des großen Investitions- und Erhaltungsaufwands wenig Sinn. Mit wenig Zusatzaufwand, also weiteren Funktionen wie der Dokumentation von Selbstmedikationspräparaten, Zuzahlungen oder dem Notfallausweis könne dagegen ein großer Zusatznutzen erzielt werden, meinte Diener.

Ärzte: Fehlende Schnittstellen

Auf dem Kongress hatte Dr. Rainer Hess von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung schnelle Lösungen für das nächste Halbjahr gefordert. Zur Steuerung der Arzneiausgaben müssten die Ärzte die Verordnungsdaten via elektronischem Rezept bekommen, zumal die Verantwortung der Mediziner nach Wegfall der Arzneibudgets für die Arzneiausgaben geblieben sei, aber neue Aufgaben wie Disease Management Programme hinzukämen.

Der Ärztevertreter nannte akute Probleme wie fehlende Computerausrüstung in einigen Arztpraxen, aber auch mangelnde Schnittstellen zwischen Krankenhäusern und Praxen oder Reha-Einrichtungen. Daher könnten die Mediziner keinesfalls auf einen Modellversuch und die flächendeckende Einführung einer neuen Karte in drei bis fünf Jahren warten. Letzteres war die Prognose des Bundesgesundheitsministeriums.

In diesem Zusammenhang wies ABDA-Geschäftsführer Diener darauf hin, dass der Ärztewunsch nach Dokumentation lediglich der verordneten Medikamente für eine optimale Patientenversorgung nichts bringe, da so nur rund 60 Prozent des Arzneigebrauchs abgedeckt werden. Hier müsse die Selbstmedikation der Patienten bedacht werden.

Investitionen - wer zahlt?

Ärztevertreter Hess warb um Unterstützung durch die Kassen angesichts der nötigen Investitionen in Hard- und Software in den Arztpraxen. Auf dem Kongress signalisierte Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, finanzielle Hilfe von den Kassen, die davon profitierten. Die zu erwartenden Einsparungen seien so groß, dass es nicht an den Investitionen scheitern werde.

Aus Ahrens Ausführungen wurde deutlich, warum die Kassen den ABDA-Vorschlag ablehnen. Sie plädieren unter anderem für das elektronische Rezept, um alle Datenströme zu erfassen, und befürchten bei einer teils freiwilligen Lösung via Karte Lücken. Ahrens plädierte für die schnelle Etablierung des elektronischen Rezepts als erstem konkreten Schritt. Er hielt eine klare Vorgabe der Politik für nötig, damit die Beteiligten die Umsetzung schnell angehen können. Nach seinen Worten seien alle Beteiligte mit ihren Vorstellungen nicht mehr weit voneinander entfernt. Die "riesigen", bisher abgeschotteten Datenberge müssten zusammengeführt werden.

In diesem Zusammenhang gab ABDA-Repräsentant Diener zu bedenken, es mache wenig Sinn, mit nur einem kleinen Randbereich - dem elektronischen Rezept - zu beginnen. Arzneimittelpass und Rezept gehörten zusammen, wie "Zug und Schiene". Daher sei es besser, stattdessen die Chipkarte mit verschiedenen "Fächern" auszurüsten, also etwa dem Arzneimittelpass, dem Allergiepass oder dem Notfallausweis, um eine ganzheitliche Versorgung des Kranken zu ermöglichen. Diener nannte diese Konzeption des Bundesgesundheitsministeriums einen sinnvollen Ansatz. Seiner Ansicht nach ist es falsch, nur über die reine Kartenlösung einerseits oder die reine Serverlösung zu diskutieren, da Mischvorschläge unter anderem von der ABDA bereits vorlägen.

Die ABDA denkt bekanntlich wie das BMG an eine neue Mikroprozessor-Chipkarte mit vielen freiwilligen Anforderungen mit einer verschlüsselten Weiterleitung etwa des elektronischen Rezepts über Abrechnungsserver, welche zu einem späteren Zeitpunkt zum Gesundheitspass erweiterbar wäre.

AOK und Datenschutz

Den Hinweis, dass teils freiwillige Lösungen die Datenschützer mit ins Boot nehmen, während im Gegensatz dazu zentrale Datensammlungen in Kassenhand Bedenken auslösen könnten, konterte AOK-Chef Ahrens mit den Worten, Datenschutz sei kein Wert an sich, sondern nur ein Instrument, welches dem Patienten dienen müsse. Es sei ausreichend, wenn ein informierter Kranker den Vorgängen folgen könne und seine Zustimmung signalisiere. Insgesamt erhoffen sich die Kassen durch neue Verfahren der Datenhaltung und Logistik mehr Transparenz, um Leistungen sektorübergreifend zu steuern.

BMG: Inseln verbinden

Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) nannte die Einigung auf Standards wichtig für die Industrie. Normierung ziehe entsprechende Produkt-, Preis- und Markteffekte nach sich. Überall, ob am HV-Tisch in der Apotheke, in deren Rechenzentren oder allen anderen Bereichen des Gesundheitswesens würden große Informationsverarbeitungssysteme eingesetzt, bislang aber nur als Insellösungen. Diese müssten für die Optimierung der integrierten Versorgung vernetzt werden. Die notwendige Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen gelinge unter anderem durch moderne Kommunikationstechniken.

Freiwillig oder nicht?

Zur Freiwilligkeit des möglichen künftigen Gesundheitspasses sagte der Staatssekretär, die Frage müsse anders lauten. Angesichts des tiefgreifenden Wandels im Gesundheitswesens hin zum mündigen Patienten und zu offeneren Behandlungsabläufen als bisher müsse geklärt werden, wie die Partizipation des Kranken gewährleistet wird, so seine etwas ausweichende Antwort. Insgesamt müsse bei Telematik Europa mitbedacht werden, was angesichts der Reiselust der Deutschen sowie der Globalisierung und zunehmender Tätigkeit von Landsleuten im Ausland unabdingbar sei.

Bundesministerin für Pass

Zuvor hatte sich die Bundesgesundheitsministerin erneut für den elektronischen Gesundheitspass ausgesprochen, der das elektronische Rezept beinhalten könne. Bei der multifunktionalen Chipkarte setze sie außer auf Sicherheitstechniken auf die Datenhoheit des Patienten, so Ulla Schmidt. Erfahrungen mit Pilotprojekten in Papierform hätten gezeigt, dass Kranke, denen man die eigenen Vorteile des Gesundheitspasses erklärte, großes Mitwirkungsinteresse hätten. In regionalen Modellversuchen könne der Pass seine Vorteile für die Behandlung der Patienten, für den optimalen Informationsfluss im System und als Mittel zur Kostensenkung nachweisen.

NRW: Telematik wichtig

Für das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hoben sowohl Ministerin Birgit Fischer als auch Staatssekretärin Cornelia Prüfer-Storks den hohen Stellenwert der Telematik hervor. Diese könne einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Qualität der medizinischen Versorgung leisten. Allerdings dürfe die Einführung des Gesundheitspasses nur im Kontext eines umfassenden Telematik-Konzepts geschehen. Die eingesetzte Hard- und Software sollte mit weitergehenden Ansätzen wie etwa einrichtungsübergreifenden elektronischen Patientenakten kompatibel sein. Landesgesundheitsministerin Fischer bot Nordrhein-Westfalen, wo beispielsweise seit 1999 das "Zentrum für Telematik im Gesundheitswesen" (ZTG) besteht, für Pilotprojekte an.

Zitat

Im Moment gleicht die Lage den Inseln im Pazifik. Wir müssen die Beteiligten vernetzen, damit sie nicht wie mit dem Einbaum kommunizieren.

Dr. Klaus Theo Schröder, Bundesgesundheitsministerium

Kastentext

Trotz des wohl unbestritten großen Nutzens durch Telematik im Gesundheitswesens haben sich die Beteiligten noch nicht auf technische Standards oder in der Frage elektronisches Rezept versus Gesundheitspass einigen können. Mit dem Ziel der Erarbeitung von Standards im Konsens und einer einheitlichen Telematikplattform ist vor drei Jahren das Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen (ATG) unter dem Dach der Selbstverwaltung gegründet worden, Vorsitzender ist Dr. Manfred Zipperer.

Viele Informationen finden Sie hier: http://atg.gvg-koeln.de

Ärzte wollen das elektronische Rezept möglichst in den kommenden sechs Monaten, um damit akute Probleme in ihren Praxen zu lösen, die Apotheker propagieren stattdessen die weitergehende multifunktionale Chipkartenlösung mit einem viel größeren Zusatznutzen für das gesamte System, was auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) befürwortet. Die Krankenkassen beharren noch auf ihrer Forderung nach dem elektronischen Rezept mit zentralen Datenservern, haben dafür aber nicht die Unterstützung des BMG. Das wurde auf dem Kongress "eHealth 2002" des "Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen" (ATG) deutlich, der vom 5. bis 7. März in Bonn stattfand.

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