Rechtsprechung aktuell

Arzneimittelsicherheit versus Versand (Kommentar)

Seitdem im Jahr 1998 das Versandhandelsverbot im Rahmen der 8. AMG-Novelle in § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz verankert wurde, waren die Apothekerkammern, die Berufsgerichte und die Zivilgerichte immer wieder mit neuen Varianten der "Übermittlung" von apothekenpflichtigen Arzneimitteln an die Verbraucher befasst. Schon zuvor war die Aushändigung der apothekenpflichtigen Arzneimittel in der Apotheke als Regelfall in § 17 Abs. 1 Apothekenbetriebsordnung verankert. Nur unter den in § 17 Abs. 2 ApBetrO genannten Bedingungen, also bei Vorliegen eines begründeten Einzelfalls, darf davon abgewichen werden.

Einen begründeten Einzelfall für den Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln aus der Apotheke an Endverbraucher gibt es nach dem heute klaren Wortlaut des § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz, wonach jeglicher Versand schlechthin unzulässig ist, nicht mehr. Der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht haben im Jahr 2000 übereinstimmend auch die Belieferung von Arztpraxen mit Praxisbedarf als unvereinbar mit § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz angesehen; eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage steht noch aus. Nach diesen Entscheidungen sollen auch die Voraussetzungen für einen begründeten Einzelfall bei Botenüberlieferung restriktiver zu handhaben sein, um einer Umgehung des Versandverbotes vorzubeugen.

Immerhin hält es die höchstrichterliche Rechtsprechung für möglich, dass es Ausnahmekonstellationen gibt, die zu einem Versand zwingen könnten. Hiervon dürften allerdings nur Extremfälle erfasst sein, die sich unter die juristischen Kategorien "rechtfertigender Notstand" oder "übergesetzlicher Notstand" subsumieren lassen. So wird beispielsweise ein Apotheker nicht nur berechtigt, sondern gar zum Versand (z.B. durch Beauftragung eines Taxiunternehmens) verpflichtet sein, wenn von dieser Maßnahme das Leben des Arzneimittelempfängers abhängt und anderweitige Hilfe nicht zu erwarten ist.

Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln vom 7. September 2001 befassen sich mit einem weiteren "Umgehungsrisiko", nämlich mit der (oftmals von Apothekern initiierten) Einschaltung professioneller Zustelldienste. Wenn der Zustellauftrag vom Patienten stammt, verbietet das Arzneimittelgesetz die Überbringung nicht. Ist der Versand dagegen dem Apotheker zuzurechnen, liegt ein Verstoß gegen § 43 Abs. 1 AMG vor. Erweckt die Werbung bei einem Dienstleistungsunternehmen, das Patienten betreut, den Eindruck, die Arzneimittel würden von "ihren" Apotheken geliefert, wird dadurch die freie Apothekenwahl eingeschränkt und die Apothekenleistung als Teil der Gesamtdienstleistung angesehen. Beauftragt aber der Patient den Lieferanten, soll der Schutzzweck, die ordnungsgemäße Abgabe des Medikaments unter gleichzeitigem Angebot fachkundiger Beratung sicherzustellen, erreicht sein.

Dies offenbart indes die eigentliche Problematik bei der Übermittlung von Arzneimitteln an Endverbraucher, welche das Versandhandelsverbot auch nicht im Kern lösen konnte: Da es um die Frage der Arzneimittelsicherheit durch Sicherstellung der ordnungsgemäßen Abgabe und Beratung des Anwenders geht, wären zumindest bei der Einschaltung professioneller Kräfte Qualitätssicherungsstandards zu definieren, die sowohl eine Garantie für die Unversehrtheit des Arzneimittels zum Zeitpunkt der Ankunft des Arzneimittels beim Verbraucher als auch eine ausreichende Unterrichtung des Patienten zu den aus Sicht des abgebenden Apothekers maßgeblichen Informationen liefern könnten. Allein durch Aufklärung eines Dritten, welcher das Arzneimittel nicht benötigt und als Unternehmen nicht aufgrund persönlicher Beziehungen zum Patienten, sondern aus handfesten wirtschaftlichen Erwägungen handelt, ist kaum gewährleistet, dass der betroffene Patient alle ihn persönlich interessierenden Informationen erhält.

Wäre der Arzneimittelsicherheit nicht eher geholfen, wenn der Apotheker die Beauftragung des Zustellunternehmens übernehmen könnte, um als Arzneimittelfachmann sodann in der Lage zu sein, das Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Standards (z.B. Art und Weise der Übermittlung von Informationen; Rückmeldungen bei Kommunikationsschwierigkeiten etc.) vertraglich zu verpflichten? Die gesetzliche Regelung, die dem Apotheker den Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel schlechthin verbietet, hat ihre Berechtigung, soweit es um die Unterbindung des risikoreichen, professionellen Arzneimittelversandhandels durch eine bloß auf der Homepage sichtbare, virtuelle Apotheke geht. Zumindest in begründeten Einzelfällen erscheint die Neuregelung jedoch keinen maßgeblichen Beitrag zur Arzneimittelsicherheit leisten zu können.

Valentin Saalfrank

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