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Psychosoziale Aspekte der Diabetesbehandlung: Diabetes – Ansichten, Wünsc

ERFURT (rs). Trotz praktikabler und effektiver Therapien erreicht die Mehrzahl der Diabetiker keine optimale Blutzuckereinstellung. Die Folgeschäden sind so niederdrückend für den Einzelnen wie die immensen Behandlungskosten für das Gesundheitswesen. Eine wesentliche Ursache der Malaise liegt im scheiternden Selbst-Management des Patienten. Den psychosozialen Aspekten ging die internationale DAWN-Studie auf den Grund. Nach deren Zwischenergebnissen sind soziale Unterstützung und emotionales Wohlbefinden Dreh- und Angelpunkt der Krankheitsbewältigung. Aber genau hier hapert es.

Woran liegt es, wenn Kranke sich nicht richtig um sich selbst kümmern, wenn das "disease-management" scheitert und als messbare Folge der Stoffwechsel aus dem Ruder läuft? Nach den Zwischenergebnissen der DAWN-Studie, die am Weltdiabetestag vorgestellt wurden, liegt die Wahrnehmung, erst recht die Beachtung psychosozialer Aspekte im Argen. Größer als vermutet scheinen z. B. Kommunikationsprobleme im Dreieck Patient, Familie und Behandler zu sein.

Jedem dritten Diabetiker geht's schlecht

  • Unterteilt in Typ-1- und Typ-2-Diabetiker, fühlen sich nur 9% (Typ 1) bzw. 12% (Typ 2) der Befragten gut nach dem WHO-Wohlfühl-Index, 58% bzw. 53% mittelmäßig. Jeder dritte befragte Patient berichtet von einem "schlechten Allgemeinzustand".
  • Nur 40% aller Patienten berichten, sie hätten schon bei der Diagnosestellung realisiert, dass der Diabetes sie ihr Leben lang begleiten wird. Typ-1-Patienten benötigten im Durchschnitt 16 Monate, um den chronischen Charakter der Erkrankung zu begreifen, Typ-2-Patienten die Hälfte dieser Zeit.
  • Angst ist die häufigste Reaktion auf die Diagnose, verbunden mit Ungewissheit über die Auswirkungen der Krankheit auf das eigene Leben.
  • Wenn sie Krankheitsprobleme verstehen und erkennen, "dass es hätte schlimmer sein können", reagieren viele Typ-2-Patienten mit großer Erleichterung.
  • Jeder zweite Patient sorgt sich sehr um sein Gewicht und trägt ständig die Angst vor der Verschlimmerung der Krankheit mit sich herum.
  • Alle Diabetiker teilen die Angst vor akuter Unterzuckerung, wenn auch der Typ 1 mehr eigene Erfahrung damit hat.
  • Fast 40% der Diabetiker fühlen sich durch die Krankheit stark gestresst, haben Angst, der Verantwortung für ihre Familie nicht mehr nachkommen zu können.

Reden Ärzte und Patienten aneinander vorbei?

Die Untersuchung zeigt gleichzeitig, dass solche Gefühle seitens der behandelnden Ärzte zu wenig wahrgenommen und berücksichtigt werden.

  • Lediglich 42% der Hausärzte und nur 31% der Diabetologen sehen sich in der Lage, die psychologischen Bedürfnisse ihrer Diabetespatienten zu identifizieren und angemessen zu bewerten.
  • Hausärzte schätzen ihre Kompetenz auch insofern optimistischer ein, als jeder Dritte angibt, seinen Diabetespatienten jegliche notwendige psychologische Unterstützung allein geben zu können. Die Spezialisten sind nur zu 22% so optimistisch.

Teufelskreis von Depression und Fehlbehandlung

Diesen Einschätzungen stehen Studien gegenüber, die zeigen, dass beispielsweise Depressionen bei Menschen mit Diabetes etwa doppelt so häufig sind wie in der Allgemeinbevölkerung. Auch Angst- und Ess-Störungen kommen häufiger vor. Schwierigkeiten bei der Selbstkontrolle scheinen oft eine Negativ-Kaskade auszulösen, da sie mit weniger aktivem Selbstmanagement, einer schlechteren Stoffwechsellage und mehr Komplikationen einhergehen. In plazebokontrollierten, randomisierten Studien verbesserte sich unter kognitiver Verhaltenstherapie oder der Gabe von Antidepressiva der HbA1c-Wert um etwa 1%.

Was sagen die befragten Ärzte in der DAWN-Studie?

  • 43% (Hausärzte) bzw. 38% (Spezialisten) sind der Ansicht, die meisten Diabetespatienten bräuchten keine professionelle psychologische Unterstützung. Nur bis zu 5% der Ärzte und bis zu 12% der Spezialisten überweisen ihre Diabetiker zu einem Psychologen.
  • Die Ursache für schlechte Diabeteskontrolle sehen dagegen 30% bis 50% der Ärzte in der Unfähigkeit der Patienten, ihre Erkrankung zu akzeptieren und in ihrer Schwere zu begreifen.

Entsprechend dieser subjektiven Sichtweise fällt auch die Einschätzung weiterer in Diabetestherapie Involvierter über das Arzt-Patient-Verhältnis aus: Mehr als 30% der Krankenschwestern und Diabetesberaterinnen haben den Eindruck, dass die Patienten Schwierigkeiten in der Kommunikation mit ihrem Arzt haben.

Diabetiker brauchen dosierte Aufmerksamkeit

Trotzdem: "Deutsche Diabetiker schneiden im internationalen Vergleich sehr gut ab", betont Prof. H. R. Henrichs, Präsident der Deutschen Diabetes-Union, "sie haben ein hohes Maß an Selbstmanagement und fühlen sich überwiegend wohl." Im Vergleich zu anderen Ländern sehen sich aber Diabetiker hier zu Lande starkem Druck seitens der Familie oder Freunde ausgesetzt, die strengen Behandlungsvorschriften einzuhalten. "Overprotection", so Prof. Henrichs, "kann sich ebenso negativ auf den Therapieerfolg auswirken fehlende Unterstützung."

Kastentext: DAWN: Die Methode

Die von NovoNordisk initiierte Untersuchung hat eher den Charakter eines Überblicks (survey) als den einer streng wissenschaftlichen Studie. Telefonisch wurden 30- bis 50-minütige Interviews durchgeführt. Befragt wurden über 5400 Erwachsene mit Diabetes (500 in Deutschland), 2200 niedergelassene Ärzte, 556 Spezialisten (Diabetologen, Endokrinologen) und über 1100 Krankenschwestern und Diabetesberaterinnen. Um auswertbare Fallzahlen zu erzielen, wurden gleich viele Typ-1- und Typ-2-Diabetiker einbezogen, entgegen der realen Verteilung, in der Typ-1-Diabetiker über 95% stellen. Die Interviews fanden Mitte 2001 in 13 Ländern aller Erdteile mit Ausnahme von Südamerika und Afrika statt. Schwerpunkt war Europa. Zwischenergebnisse im Internet: www.dawnstudy.com

Kastentext: DAWN: Die Ergebnisse

Die Bilanz der Diabetes-Endpunkte ist katastrophal: Täglich werden in Deutschland 76 Füße amputiert, erblinden 16 Menschen, passieren 122 Schlaganfälle und 74 Infarkte. Die hochgerechnete Zahl von jährlich 20 000 Infarktopfern durch Diabetes hält Dr. med. H. Löwel vom Institut für Epidemiologie, Oberschleißheim, für die Spitze des Eisbergs: Weil in die Statistik lediglich die finale Todesursache monokausal eingeht, fallen viele Diabetesopfer unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen", an denen bei uns jeder zweite stirbt. Dass Diabetes eine gewaltige Gefahr für Herz und Gefäße bedeutet, ist viel zu wenig bekannt und stellte den Weltdiabetestag 2001 am 14. 11. in Erfurt unter das Motto: Reducing the burden – Folgeschäden vermindern.

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