Kommentar

Point of Sale (POS): Der betriebswirtschaftliche Navigator

(ri). Mittlerweile gibt es eine stattliche Zahl von Apothekern - Schätzungen von Experten schwanken zwischen 6000 und 8000 - die ihre Warenwirtschaft mit POS-Systemen steuern. Dass dabei viele nicht ganz glücklich sind und unter ihren Kollegen im Hinblick auf POS Missmut verbreiten, hat nach Ansicht von Dietmar Müller, Inhaber der Adler-Apotheke in Bielefeld, eine ganz einfache Ursache: "Manche meiner Kollegen wenden das System einfach nicht konsequent genug an."

Müller selbst, scheint mit POS hochzufrieden zu sein. "Wissen Sie, irgendwann habe ich mich einmal hingesetzt und habe überlegt, welche Aufgaben ich als Apotheker eigentlich ausführen sollte und welche nicht. Damals bin ich zu der Überlegung gekommen, dass weder ich noch meine Mitarbeiter als bessere Lageristen arbeiten sollten. Und anstelle wegen jedes Präparates vom Kunden wegzulaufen und ihn alleine zu lassen sollte mein Team das tun, was es am besten kann, nämlich den Kunden pharmazeutisch beraten." Um seine Erkenntnis in die Tat umzusetzen, realisierte Müller zwei Dinge: Erstens holte er sich einen Kommissionierautomat ins Haus, den er zweitens mit einem POS-System koppelte.

"POS hat jede Menge Vorteile. Der große Unterschied zum Vorläufer Point of Return (POR) besteht einfach darin, dass man bei POR Auskunft darüber erhält, wie viele Präparate man bestellt hat, bei POS jedoch noch zusätzlich ganz genau darüber informiert ist, wie viele man noch vorrätig hat. Wenn beispielsweise ein Vertreter kommt, kann ich mit dem Computer innerhalb von Minuten eine Inventur machen und bin somit optimal auf das Verhandlungsgespräch vorbereitet." Außerdem ist der Apotheker darüber erfreut, dass das System "mitdenkt" und das Bestellvolumen auf die "historische Statistik" des jeweiligen Präparates abstimmt - das automatische Bestell-System "denkt" also nicht starr, sondern bewegt sich in Relationen und hat somit im Bestellwesen regelrecht die Funktion eines Seismographen.

Auf die Frage, um wie viel er seinen Rohgewinn seit der Einführung dieser Maßnahmen steigern konnte, huscht dem offensichtlich gut gelaunten Apotheker ein Grinsen über das Gesicht, bevor er - ganz Geschäftsmann - diplomatisch abwiegelt: "Sie werden verstehen, dass ich Ihnen auf diese Frage keine konkrete Auskunft geben kann, aber glauben Sie mir, ich habe eine wirklich satte Steigerungsrate erreicht." Und dann nennt er doch noch interessante Kennzahlen: So ist er stolz, trotz einer äußerst rationalisierten und um ca. 15 Prozent reduzierten Warenhaltung eine Lieferfähigkeit von 94 Prozent leisten zu können. Gleichzeitig ist die Zahl der Warenumsatzgeschwindigkeit (WUG) beeindruckend hoch und liegt bei 17. Konkret bedeutet dies, dass Müller sein gesamtes Warensortiment innerhalb eines Jahres 17 mal verkauft - betriebswirtschaftlich ausgefuchste Cracks jubeln schon bei einer WUG von zwölf!

Keine Verwässerung dulden!

Dass er solch erstaunliche Ergebnisse einfährt, begründet Müller in erster Linie mit der Anwendung des POS-Systems, das er allerdings sehr streng umsetzt: "Wissen Sie, als wir anfingen, da gab es beispielsweise in Absprache mit der Computer-Fachfrau von Pharmatechnik Vorgaben, wie groß bei den jeweiligen Präparaten die Mengen sein sollten, die wir innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens bestellen sollten. Das war alles sehr schlüssig ausgearbeitet, aber bei der Nachbearbeitung haben meine Mitarbeiter noch mal eingegriffen und Änderungen vorgenommen, weil sie gefühlsmäßig der Ansicht waren, es müsste sich um andere Mengen handeln. Das war bestimmt gut gemeint - aber genau dieses Verhalten hat die Sache verwässert."

Heute ist das System sehr engmaschig justiert und den Mitarbeitern ist die Nachbearbeitung untersagt. Um Fehler möglichst zu reduzieren bzw. ganz auszumerzen, werden allen Mitarbeitern täglich so genannte Negativlisten vorgelegt, die sie abzeichnen müssen. "Wenn dann irgendein Präparat nicht besorgt werden oder auch im Zuge der Aut-idem-Regelung kein vergleichbares Medikament ausgegeben werden konnte, ist der Mitarbeiter verpflichtet, diesen Vorfall zu kommentieren. Dank dieser täglichen Überprüfungen sind wir im Laufe der Zeit immer besser geworden," erläutert Müller. Generell ist er der Meinung, dass auch bei einer entstehenden Schieflage bei der Warenhaltung jeglicher Eingriff ins POS-System in engster Absprache mit dem jeweiligen Computer-Experten erfolgen muss: "Viele Kollegen denken, sie wüssten besser Bescheid als der Computer, was sich in ihrem Warenlager befinden sollte. Und sehr viele können beispielsweise auch keine leeren Schubladen sehen. Wenn ich aber dank POS feststelle, dass ein bestimmtes Präparat sich in einem Jahr nur einmal verkauft, dann muss ich das nicht vorrätig haben, sondern kann es bei Bedarf innerhalb von fünf Stunden bestellen."

Mehr Ruhe im täglichen Ablauf

Und schon ist der agile Apotheker beim nächsten Thema, das ihn begeistert: "Seitdem wir mit POS arbeiten, laufen die meisten Bestellungen in der Nacht ab. Das bedeutet, dass eine Mitarbeiterin am Morgen, wenn noch nichts los ist, die Waren innerhalb von ca. eineinhalb Stunden einräumt. Früher dauerte das aufgrund diverser Unterbrechungen bis zu neun Stunden und hat eine enorme Unruhe in die Apotheke gebracht. Heute läuft das reibungslos." Dass er POS auch nutzt, um die besten Konditionen beim Großhandel herauszuschlagen, verwundert bei einem Apotheker kaum, der sich in erster Linie als Geschäftsmann und Kaufmann versteht: "Wissen Sie, das ist auch so ein Punkt, die Rabatte. Viele Kollegen schwören beispielsweise auf Naturalrabatte. Ich halte davon gar nichts. Was habe ich für einen Vorteil, wenn ich statt 100 Packungen Aspirin 200 in meinem Warenlager stehen habe? Diese Art von Rabatten werden ja von den Kosten für die Lagerhaltung gefressen. Ich muss also genau auf das Gegenteil achten, denn: Die Reduktion des Warenlagers auf das wirtschaftlich notwendigste erhöht meine Liquidität, d. h. ich muss weniger Zinsen an die Banken zahlen", resümiert Müller trocken.

Als Konsequenz aus dieser Einsicht hat er sich auf nur einen Großhändler festgelegt, bei dem er allerdings im Gegenzug einen Festrabatt auf jede Bestellung ausgehandelt hat. Einen weiteren Vorteil sieht Müller in der genauen Erfassung der Zeiten, in denen vermehrt bzw. vermindert Personal eingesetzt werden muss: "Auch dadurch können Sie Ihre Apotheke wirtschaftlicher führen. Und in Zeiten, in denen uns politisch ein heftiger Wind ins Gesicht bläst, ist nichts wichtiger, als möglichst effizient und betriebswirtschaftlich orientiert zu arbeiten - ich glaube, viele Kollegen haben das noch nicht erkannt."

Erfreulicherweise teilen alle Mitarbeiter der Adler-Apotheke diese Einstellung: Noch in der Ausbildung befindliche Mitarbeiter berichten ihrem Chef, dass sie, wenn sie in der Berufsschule von "ihrer" Apotheke erzählen, von Mitschülern regelrecht beneidet werden. Und für Müller selbst war der Einstieg in die Welt der POS-Systeme auch gleichzeitig der Einstieg in ein "ganzheitliches" Marketing: "Durch dieses System habe ich endlich Zeit gefunden, mir über die Dinge Gedanken zu machen, die wirklich wichtig für meine Apotheke sind." So hat der Mann, der sich selbst gerne als "Visionär" bezeichnet - dabei aber keineswegs den Eindruck macht, als ob er die Bodenhaftung verloren hätte - beispielsweise eine ganz einfache Beobachtung umgesetzt. Nachdem er registrierte, dass sich Menschen wohler fühlen, wenn sie sich nicht gegenüber, sondern nebeneinander stehen oder etwa im Bistro die Arme aufstützen können, hat er seine HV-Tische seitlich abgerundet und Aufsätze montieren lassen, die eben jenes Aufstützen mit den Armen erlauben. Tatsächlich haben während der ganzen Zeit, die wir in der Adler-Apotheke verbrachten, alle Kunden diesen bequemen und Nähe herstellenden "Aufstütz-Service" genutzt - POS setzt also im besten Fall nicht nur monetäre, sondern auch gedanklich-pragmatische Ressourcen frei.

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