Kommentar

Das neue Bundeskabinett: Zweite Chance für Ulla Schmidt

Berlin (ks). Sie galt als Wackelkandidatin - doch nun ist sie "Super-Ministerin": Ulla Schmidt (SPD) wird in der kommenden Legislaturperiode für ein erweitertes "Bundesministerium für Gesundheit und Sozialordnung" verantwortlich sein. Nicht nur die Krankenkassen-, sondern auch die Rentenbeiträge soll sie nun stabil halten. Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte erst kurz vor der Unterzeichnung der rot-grünen Koalitionsvereinbarung am 16. Oktober offiziell, dass er an Schmidt festhalten werde.

Es zeichnete sich schon in den Tagen zuvor ab: Die SPD hatte für das undankbare Amt keine echte Alternative zu Schmidt. Eine Überraschung - wie bei den anderen "Super-Ministern" Wolfgang Clement und Manfred Stolpe (beide SPD) - war nicht zu erwarten. Und so bekommt die 53-jährige Aachenerin eine zweite Chance. In die Gesundheitspolitik hat sie sich mittlerweile eingefunden, mit der Rentenpolitik kannte sie sich schon vorher aus. Die Rente war ihr Fachgebiet, bevor sie Anfang 2001 den vakant gewordenen Posten der zurückgetretenen Andrea Fischer (Bündnis 90/Grüne) als Bundesgesundheitsministerin übernahm. Nun wird sich weisen, ob Schmidt es in den kommenden vier Jahren schafft, die Lohnnebenkosten in den Griff zu bekommen.

Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag

Sobald der parlamentarische Geschäftsbetrieb angelaufen ist, soll losgelegt werden. Die 86-Seiten starke Koalitionsvereinbarung trägt einen vollmundigen Titel "Erneuerung - Gerechtigkeit - Nachhaltigkeit. Für ein wirtschaftlich starkes, soziales und ökologisches Deutschland". Was sich im Kapitel "Solidarische Politik und Erneuerung des Sozialstaats" zu den Zielen der Gesundheitspolitik findet, bedarf jedoch noch einiger Präzisierung. Auf knapp vier Seiten sind hier die in weiten Teilen schon aus dem SPD-Wahlprogramm bekannten Maßnahmen aufgelistet, die für "mehr Qualität und mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen" sorgen sollen.

Auch das "Vorschaltgesetz", mit dem kurzfristig erste Schritte zur Beitragsstabilisierung unternommen werden sollen, findet Erwähnung. Inhaltliche Aussagen hierzu sucht man allerdings vergebens. Dass erneut an den Arzneimittelausgaben angesetzt werden wird, wurde am Rande der Koalitionsverhandlungen bereits deutlich. Genauer wird die rot-grüne Vereinbarung bei der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung: Für neue Versicherungsverhältnisse soll sie auf das Niveau der Renten- und Arbeitslosenversicherung angehoben werden. Was das bedeutet wurde schnell klar: Angestellte Berufseinsteiger müssen künftig nicht mehr 3375 Euro, sondern gleich 5100 Euro (Ostdeutschland: 4250 Euro) verdienen, wenn sie sich privat versichern wollen.

"Die Arzneimittelversorgung wird liberalisiert"

Das Wort "Arzneimittel" findet sich im Kapitel zur Gesundheitspolitik vier Mal: So soll die Arzneimittelversorgung "liberalisiert" und eine "Kosten-Nutzen-Bewertung neuer Arzneimittel" durch unabhängige Sachverständige gewährleistet werden. Zudem sollen die "Verschreibungsmöglichkeiten für Cannabisarzneimittel in wissenschaftlich anerkannten Fällen weiter entwickelt" werden. Und was unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen betrifft: diese sollen künftig durch eine Gesundheitskarte auf freiwilliger Basis vermieden werden - ebenso wie unnötige Doppeluntersuchungen.

SPD und Grüne einigten sich zudem über folgende Punkte: Der Wettbewerb soll verbessert werden, indem sich die gesetzlichen Krankenkassen einer "Organisationsreform" unterziehen und die Zusammenschlüsse der Leistungserbringer, etwa die Kassenärztlichen Vereinigungen, zu "wirksamen Dienstleistern fortentwickelt" werden. So soll auch der Kontrahierungszwang zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern modifiziert werden. D.h. neben Kollektiv-Verträgen sollen Einzelverträge mit festgelegten Qualitätsniveaus möglich werden.

Die Qualitätssteigerung ist ein weiterer wichtiger Punkt im Programm: Sie beginnt mit "überprüfbar gut aus- und fortgebildeten" Heilberuflern. Weiterhin soll die integrierte Versorgung bei chronischen Krankheiten Regelversorgung werden. Der Hausarzt bekommt eine Lotsenfunktion im Versorgungssystem. Krankenkassen sollen die Möglichkeit erhalten, Anreiz- und Bonussysteme zu etablieren. Ein "Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin" wird eingerichtet, um den "dynamischen Prozess der Fortentwicklung der medizinisch-pflegerischen Standards und der Einbeziehung neuer Erkenntnisse zu gewährleisten". Weiterhin wird die Prävention zur eigenständigen Säule im Gesundheitswesen aufgewertet. Zur Stärkung der Patientensouveränität und der Transparenz soll neben der Gesundheitskarte auch die Patientenquittung eingeführt werden. Ein Patientenschutzbeauftragter der Bundesregierung soll sich um die Patientenrechte kümmern.

Schön klingt auch der Satz: "Die Beschäftigten im Gesundheitswesen brauchen klare Perspektiven". Wie diese für die Apotheker aussehen werden, steht in den Sternen. Vorerst bleibt es spannend, ob Schmidt es schafft, ihr neues Arzneimittelsparpaket mit einem Volumen von 1,42 Mrd. Euro mittels "Vorschaltgesetz" so schnell zu verwirklichen, wie sie und die gesetzlichen Kassen es sich vorstellen. Sollten tatsächlich die Preisspannen für Apotheken und Großhandel angegangen werden, so bedarf das Gesetz der Zustimmung des Bundesrats - und der ist derzeit Unions-dominiert.

Anders könnte es möglicherweise nach der Landtagswahl in Hessen im Februar 2003 aussehen. Ein langatmiges Gesetzgebungsverfahren würde dem Sinn und Zweck des Vorschaltgesetzes jedoch widersprechen. Es soll schließlich gerade dafür sorgen, dass den klammen Kassen der größte Druck genommen wird, bevor weitergehende Strukturreformen eingeleitet werden. Man könnte spekulieren, dass die Unions-geführten Bundesländer ihre erneute Spielzeit in der Opposition nicht mit einer Blockade im Bundesrat beginnen wollen. Der Vorstandsvorsitzende der AOK, Hans Jürgen Ahrens, machte aber auch schon den Vorschlag, als Alternative zu einer Änderung der Arzneimittelpreisverordnung "Fixzuschläge auf Seiten der Apothekerschaft" einzuführen. Das Problem der Zustimmungsbedürftigkeit wäre damit vom Tisch.

Wie auch immer es weitergehen wird: Ulla Schmidt wird sich auf einen erneuten Kampf mit den starken Lobbygruppen im Gesundheitswesen einstellen müssen. Doch wie formulierte es der Vizekanzler Joschka Fischer (Bündnis 90/Grüne) bei Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung so energisch? Von "Fundamentalkritik und kurzsichtigem Lobbyismus" will die neue Regierung nichts mehr wissen.

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