Kommentar

BPI: Arzneimittel taugen nicht als Sündenbock für Kassen-Defizit

Berlin (ks). Um die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) steht es bekanntlich schlecht. Angesichts des Halbjahresdefizits von rund 2,4 Mrd. Euro wird allseits nach Auswegen aus der Misere gesucht. Während Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt glaubt, Arzneimittel seien der richtige Ansatzpunkt dieser Überlegungen, ist man beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) davon überzeugt, dass die Lösung durch eine rein systemimmanente Betrachtung nicht zu finden sei.

Die GKV hätte kein Problem, all ihre Leistungen zu finanzieren, wäre ihr durch die Verschiebebahnhöfe der Politik nicht so viel Geld entzogen worden, erklärte Thomas Brauner, BPI-Geschäftsführer Politik, anlässlich eines Pressegesprächs am 5. September in Berlin. Die finanzielle Entlastung anderer Zweige der Sozialversicherung in den vergangenen Jahren ging immer wieder mit Belastungen der GKV einher. Beispielsweise wurden mit der Rentenreform 1992 eine Reihe beitragspflichtiger Einnahmen gesenkt. Weiterhin sanken die Beiträge Arbeitsloser und freiwillig versicherter Sozialhilfeempfänger und verringerten sich die Zuzahlungen für chronisch Kranke, um nur einige der beklagten Verschiebebahnhöfe zu nennen. Nach Berechnung des BPI wurden der GKV im Jahr 2001 rund 4,96 Mrd. Mark (rd. 2,54 Euro) auf diese Weise entzogen.

Mehrausgaben durch Positivliste

Doch ungeachtet dessen hält die Ministerin an ihren Steuerungsinstrumenten fest: Positivliste, Nutzenbewertung von Arzneimitteln, Zielvereinbarungen zwischen Ärzten und Krankenkassen sowie aut idem und Festbeträge. Eine genauere Betrachtung dieser Maßnahmen zeige aber, dass hier das Feld für Steuerungsmöglichkeiten sehr begrenzt sei, erklärte Brauner. So werde etwa die Einführung einer Positivliste nicht nur zu einem erheblichen Einschnitt in die Arzneimittelvielfalt, sondern auch zu Mehrausgaben führen. Grund: die in der Positivliste enthaltenen Medikamente werden einen weitaus höheren Durchschnittspreis haben als die dann nicht mehr verordnungsfähigen Arzneimittel, so Brauner.

Von der Rahmenvereinbarung der Ärzte und Krankenkassen, nach der Ärzte die Arzneimittelausgaben 2002 um fünf Prozent senken wollten, hält man beim BPI mangels erkennbarer Effekte ebenfalls nichts. Skeptisch wird auch eine Kosten-Nutzenbewertung von Arzneimitteln gesehen – gänzlich widersetzen will sich ihr der Pharma-Verband jedoch nicht. Ihm schwebt allerdings ein anderer Weg vor als der GKV, die “echte Innovationen" und “Me-Toos" voneinander unterschieden wissen will und dabei das Ziel verfolgt, für letztere einen “2. Festbetragssektor" im patentgeschützten Bereich einzuführen. Ein festgesetzter Preis dürfe jedoch nicht das Ziel einer solchen Bewertung sein, erläuterte Brauner. Vielmehr seien Arzneimittel an patientenorientierten Nutzungskriterien zu messen. Eine weitere Bewertung könne sinnvoller Weise bestenfalls drei bis fünf Jahre nach Zulassung erfolgen. Der BPI fühlt sich in seiner Position durch das Bundeswirtschaftsministerium bestärkt, das, so Brauner, mit einer Nutzenbewertung im Sinne einer vierten Hürde ebenfalls nicht einverstanden sei.

aut idem: Apotheker bekamen nicht, was sie wollen

Auch die neue Aut-idem-Regelung lasse bislang keine messbaren Ergebnisse erkennen, da die erste Preislinie erst zum 1. Juli festgesetzt worden sei, so Brauner weiter. Festzustellen sei aber, dass die Apotheker nicht erreicht haben, was sie mit ihrer Forderung nach aut idem erreichen wollten. Weder sei ihre apothekerliche Tätigkeit aufgewertet worden, noch sei es zur erwünschten Änderung der Arzneimittelpreisverordnung gekommen, erklärte der BPI-Geschäftsführer. Was letzteres betrifft, habe die Apothekerschaft mit dem Bundesministerium für Gesundheit schlicht den falschen Ansprechpartner gewählt, da das Wirtschaftsministerium für die Arzneimittelpreisverordnung zuständig ist. Brauner: “Die Apotheker haben entgegen dem, was sie wollten, mit Zitronen gehandelt". Letztlich helfen dem BPI zufolge auch weitere Festbetragssenkungen der GKV nicht weiter. Ein genauer Blick auf die Verordnungen mache deutlich, dass die Strukturkomponente die Kosten nach oben treibe. Nicht die festbetragsregulierten Medikamente verzeichneten ein Umsatzwachstum, sondern die patentgeschützten.

Reform-Bausteine des BPI

Lösungsansätze, der GKV aus ihrer desolaten Lage zu verhelfen, sieht der BPI an anderen Stellen. Debattieren müsse man etwa über die Einführung eines Krankenkassen-“Standardpakets" für alle, erklärte Brauner. Dieses müsse indikationsbezogen gestaltet sein, mit der Folge, dass alle Medikamente innerhalb dieser Indikationen verordnungsfähig wären. Anbieter dieses Standardpakets sollten dabei gleichberechtigt nebeneinander gesetzliche und private Versicherungen sein, wobei jedoch ein Kontrahierungszwang bestehen müsse. Daneben könnten auch freiwillige Zusatzversicherungen angeboten werden. Nach Vorstellung des BPI müsse auch über versicherungsspezifische Kopfbeiträge diskutiert werden, die den Wettbewerb zwischen den Versicherungen sichern – dabei sollten aber individuelle Risikoprämien und Selbstbehalte ausgeschlossen bleiben. Ein begrenzter Risikostrukturausgleich sollte bestehen bleiben, um zu verhindern, dass sich Versicherungen ausschließlich um die Anwerbung junger, gesunder Mitglieder bemühen, erläuterte Brauner weiter. Letztlich will der BPI den Sicherstellungsauftrag statt bei den kassenärztlichen Vereinigungen bei den Versicherungen angesiedelt sehen und den sozialen Ausgleich, etwa die kostenfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern, über Steuergelder realisieren.

Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des BPI, erklärte, aus der Politik erreichten ihn bereits erste Resonanzen, dass man bereit sei, über die Reform-Bausteine des BPI nachzudenken. Mit welchen Auswirkungen dies geschehen wird, wird sich nach der Bundestagswahl am 22. September herausstellen.

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