Feuilleton

Apotheke – nur der Himmel ist schöner

Es ist erst 200 Jahre her: Süßigkeiten wie Zuckermandeln und Schokoladeplätzchen konnten sich normale Sterbliche nur zu Festtagen wie Weihnachten leisten. In der Apotheke gab es diese Köstlichkeiten jedoch das ganze Jahr über. Da ist es leicht vorstellbar, wie eine Apotheke auf Kinder gewirkt haben muss: wie der Himmel auf Erden.

Wisssenschaft und Christentum

Gotthilf Heinrich Schubert (1780 bis 1860) war Professor für Naturgeschichte in Erlangen und München und hing der im frühen 19. Jahrhundert vorherrschenden Naturphilosophie an, die auch subjektive Empfindungen zur Naturerkenntnis heranzog und in einer Art Gesamtschau mehr auf die Erkenntnis des metaphysischen Wesens in der Natur abzielte als auf die Vermehrung von Fakten. Bezeichnend für diese Haltung ist der Titel eines Werkes von Schubert: "Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens".

Zudem war Schubert ganz vom Pietismus geprägt und sah zwischen Religion und Naturforschung einen untrennbaren Zusammenhang. Seine religiöse Einstellung bekannte er ausführlich in seiner dreibändigen Autobiographie "Der Erwerb aus einem vergangenen und die Erwartungen von einem künftigen Leben", doch die folgende Geschichte, die für ihn ein Schlüsselerlebnis gewesen sein mag, wurde erst nach seinem Tode herausgegeben. Es ist "Schuberts Erzählung von seiner ersten Reise".

Ein prägendes Kindheitserlebnis

Schubert war in Hohenstein, etwa 10 km westlich von Chemnitz, als jüngster Sohn einer kinderreichen Pastorenfamilie geboren worden. Als er knapp vier Jahre alt war, heiratete seine Schwester Christiane ("Christel") den wohlhabenden Apothekenbesitzer Helmers in Waldenburg; der Ort gehörte damals wie Hohenstein zur Grafschaft Schönburg (heute: Sachsen). Kurz nach der Hochzeit besuchte der Knabe zusammen mit seiner Mutter seine Schwester in ihrem neuen Heim. Und mit folgenden Worten hat Schubert Jahrzehnte später seine Erinnerung an diese kurze "Reise" zusammengefasst:

Die erste Reise, deren ich mich erinnern kann, habe ich in einem Korb gemacht, den eine Tagelöhnersfrau auf ihrem Rücken trug; denn der Weg war über zwei Stunden weit, und den kann ein Kind von vier Jahren noch nicht zu Fuß machen. Die Reise ging zu einer gar lieben älteren Schwester, welche sich vor kurzem verheiratet hatte. Da, im Hause der Schwester, ging es gar reich und ansehnlich her. Das gefiel dem Söhnlein meiner Mutter wohl; es begehrte vielerlei und empfing alles, was es begehrte; und da es nun alles empfangen hatte, wurde es zum Dank dafür übellaunig, störrisch und ungehorsam und schlief zuletzt in übler Laune ein. Als ich aber wieder erwachte, siehe, da war nicht mehr die Apotheke meines reichen Schwagers, um mich mit all ihren überzuckerten Mandeln und Schokoladeplätzchen und anderen seltsamen Süßigkeiten zu erfreuen, sondern die gewöhnliche Schlafkammer der armen Wohnung meines Vaters. Denn man hatte mich schlafend in den Tragekorb gelegt und schlafend ins Bett gebracht. An dieser Wohnung, so deuchte mir damals, hatte ich mich nun hinlänglich satt gesehen; ich wollte nicht mehr da sein, sondern in der schönen, reichen Apotheke meines Schwagers. Ich fing an zu weinen, und als mir dies nicht genug schien, auch zu schreien: "Ich will zu meiner Christel." Da trat meine sanfte Mutter an mein Bett, nahm mich heraus auf ihre Arme und sagte zu mir: "Deine Christel, mein Heinrich, die wird jetzt mit ihrem Mann am Tisch sitzen und viel zum lieben Gott beten und ein schönes Lied singen; denn deine Christel ist fromm und kommt bestimmt einmal zum lieben Gott. Mein Heinrich war aber gestern in Waldenburg in der Apotheke nicht fromm. In dem Haus und in dem Garten deiner Christel, da ist es wohl recht schön; aber im Himmel beim lieben Gott, da ist es noch viel tausendmal schöner. Deine Christel will auch nicht immer in der Apotheke bleiben; sondern sie will lieber einmal zum lieben Gott in den Himmel, wo es viel schöner ist."

Soweit Schuberts Erzählung. Er ist - sicherlich nicht nur wegen dieses Erlebnisses, aber wohl doch durch den Einfluss seiner "sanften" Mutter - wirklich ein sehr frommer Mann geworden und zeitlebens geblieben. Zugleich war er ein guter Pädagoge und bei seinen Schülern äußerst beliebt. Einer seiner ehemaligen Studenten hat einmal gesagt, es sei unmöglich gewesen, in Schuberts Gegenwart einen bösen Gedanken zu hegen; wer mit ihm zusammen gewesen sei, sei für zwei Tage ein besserer Mensch gewesen.

Quelle: Bonwetsch, G. Nathanael: Gotthilf Heinrich Schubert in seinen Briefen - ein Lebensbild. Stuttgart 1918.

Der Naturforscher Gotthilf Heinrich Schubert (1780 – 1860) schrieb als alter Mann sein prägendes Kindheitserlebnis auf: den Besuch in einer Apotheke, wo er mit Zuckermandeln und Schokoladeplätzchen verwöhnt wurde.

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