Arzneimittel und Therapie

Schilddrüsenkarzinom: Rekombinantes Thyrotropin ermöglicht bessere Lebensquali

In Deutschland erkranken jedes Jahr etwa 2400 Patienten neu an Schilddrüsenkrebs. In rund 90 Prozent der Fälle handelt es sich dabei um differenzierte Formen des Schilddrüsenkarzinoms, die eine gute Prognose haben, wenn entsprechende Therapie- und Nachsorgekonzepte konsequent angewendet werden. Jetzt kommt mit dem rekombinanten Thyrotropin alfa (Thyrogen) eine neue Möglichkeit auf den Markt, mit der die Nachsorge bei dieser Krebsart wesentlich verbessert werden kann.

Jeder zehnte Bundesbürger leidet an einer Erkrankung der Schilddrüse, in Jodmangelgebieten liegt der Anteil sogar bei 15 bis 20 Prozent. Wesentlich seltener sind bösartige Tumore der Schilddrüse: An dieser Krebsart erkranken jedes Jahr in Deutschland ein bis zwei von 100 000 Einwohnern. Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. Da Schilddrüsenkrebs relativ selten vorkommt und den Betroffenen lange Zeit keine Schmerzen bereitet, wird die Diagnose meist erst sehr spät gestellt. Trotzdem kann dieser Krebs gut behandelt werden, und die Heilungschancen sind sehr gut. Jährlich sterben dennoch europaweit etwa 3400 Patienten an den Folgen eines Schilddrüsenkarzinoms.

Die Entstehung von Schilddrüsenkarzinomen wird durch verschiedene Faktoren begünstigt. So besteht ein hohes Risiko bei Bestrahlung von Kopf oder Hals, bei Menschen, die in ihrer Kindheit Strahlung ausgesetzt waren, und bei Kindern oder älteren Personen mit Knoten in der Schilddrüse. Außerdem wird eine genetische Disposition angenommen.

Differenzierter Schilddrüsenkrebs hat günstige Prognose

Im Allgemeinen wird zwischen vier Arten von Schilddrüsenkrebs unterschieden:

  • Papilläre Tumore
  • Follikuläre Tumore
  • Medulläre oder C-Zell-Tumore
  • Undifferenzierte anaplastische Tumore

Die meisten bösartigen Schilddrüsentumore sind differenzierte Tumore. Ihre Zellen leiten sich vom eigentlichen, hormonell aktiven Schilddrüsengewebe ab, ähneln normalen Schilddrüsenzellen und weisen ein relativ gutartiges und langsames Wachstumsverhalten auf. Gut differenziert sind papilläre und follikuläre Karzinome. Mit einem Anteil von 70 bis 80 Prozent der papillären und 15 bis 25 Prozent der follikulären Form machen sie rund 80 Prozent aller Tumore aus. Papilläre Karzinome zeigen im histologischen Bild multiple Vorwölbungen, die typischerweise die Halslymphknoten befallen. Bei follikulären Karzinomen sind "normale" follikuläre Strukturen vorhanden, die über die Blutgefäße auch Metastasen in anderen Organen wie Lunge und Knochen ausbilden. Auch Mischformen (papillär/follikulär) treten auf.

Der papilläre Schilddrüsenkrebs trifft am häufigsten jüngere Menschen zwischen 20 bis 39 Jahren, und die follikuläre Form tritt vorwiegend in der Altersgruppe von 30 bis 39 Jahren auf. Die Prognose dieser differenzierten Tumore ist günstig, da sie gut auf eine Behandlung ansprechen. Ihre Heilungsrate ist hoch: 82 Prozent der Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkarzinom weisen in der Prognose eine Überlebensrate von zehn Jahren auf.

Im Gegensatz hierzu stehen die undifferenzierten Tumore, die vom Schilddrüsengewebe ausgehen, sehr schnell wachsen und daher eine ungünstige Prognose haben. Eine besondere Stellung nehmen die medullären oder C-Zell-Karzinome ein. Diese leiten sich von den Calcitonin-produzierenden C-Zellen ab und sind in der Regel erblich bedingt. Bei dieser Krebsart treten zusätzlich oft auch andere Tumore in den Nebennieren und der Nebenschilddrüse auf.

Frühzeitige Diagnose ist entscheidend

Da der Schilddrüsenkrebs für den Patienten lange symptomlos und schmerzfrei verläuft, wird die Diagnose häufig zu spät gestellt. Spürbare Folgen, wie ein derber Tumor am Hals, eine Lähmung der Stimmbänder und damit verbundene Luftnot, treten erst als Spätsymptome eines Karzinoms auf. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto günstiger ist die Prognose - besonders, da heute effektive Therapieverfahren zur Verfügung stehen.

Um festzustellen, ob ein Knoten in der Schilddrüse vorhanden ist, werden schilddrüsenspezifische Untersuchungen durchgeführt. Dazu gehören Tastuntersuchungen, Labortests, Schilddrüsensonographie und Schilddrüsenszintigraphie mit Radiojod. Bei positivem Befund wird eine Feinnadelpunktion (Feinnadelbiopsie) mit anschließender histologischer Untersuchung des Zellmaterials durchgeführt. Durch Röntgenaufnahmen der Lunge können eventuelle Metastasen erkannt werden.

Radiojodtherapie zerstört Krebsreste

Wenn ein Schilddrüsenmalignom nachgewiesen wird, muss die Schilddrüse in der Regel operativ entfernt werden (totale Thyreoidektomie). Mit dieser Maßnahme soll sichergestellt werden, dass das gesamte veränderte Gewebe erfasst wird. Gleichzeitig werden angrenzende Lymphknoten und metastatisch befallene Lymphknoten im Halsbereich entfernt.

An die Operation schließt sich eine Radiojodtherapie an. Die erste Therapie wird routinemäßig nach drei bis sechs Wochen durchgeführt. Dabei wird radioaktives Jod-131 in Form von Radiojodkapseln oral verabreicht. Das radioaktive Jod reichert sich in noch vorhandenem Restgewebe und Metastasen an und zerstört diese durch die Strahlenwirkung lokal begrenzt. Zur Kontrolle wird fünf Tage nach der Einnahme ein J-131-Ganzkörper-Szintigramm aufgenommen. Bei C-Zell-Karzinomen und undifferenzierten Schilddrüsenkarzinomen ist diese Therapie nicht indiziert, da diese Tumore kein Radiojod speichern.

Die Radiojodtherapie wird je nach individuellem Befund in Abständen wiederholt. Ebenso werden routinemäßige klinische Untersuchungen und Sonographien durchgeführt und Hormonparameter (insbesondere bei papillären und follikulären Karzinomen der Tumormarker Thyreoglobulin) im Blut bestimmt.

Schilddrüsenhormone zur Substitution

Wenn die Schilddrüse entfernt wurde, müssen die lebensnotwendigen Schilddrüsenhormone von außen zugeführt werden, um die fehlende körpereigene Synthese zu ersetzen. Mit der oralen Substitution des Schilddrüsenhormons Levothyroxin beginnt man nach der ersten Radiojodtherapie. Als Folge dieser Substitution wird durch einen Rückkopplungsmechanismus die körpereigene TSH-Produktion der Hypophyse unterdrückt. Somit wird auch erneutem Tumorwachstum vorgebeugt, da TSH die noch existierenden Schilddrüsen- oder Karzinomreste stimulieren würde.

Nachsorgeuntersuchungen sind wichtig

Die Rezidivrate des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms (Lokalrezidive oder Fernmetastasen) beträgt innerhalb von zehn Jahren etwa 20 Prozent. Spätrezidive und Metastasen sind auch nach über zehn Jahren noch möglich. Aus diesen Gründen müssen Patienten auch nach einer Schilddrüsenoperation weiterhin regelmäßig untersucht werden.

Bei der Untersuchung sucht man nach Restgewebe oder Krebs im Körper. Dafür wird die Radiojod-Ganzkörperszintigraphie eingesetzt und der Gehalt des Thyreoglobulins im Blut bestimmt. Thyreoglobulin darf nach erfolgreicher Behandlung im Blut nicht mehr messbar sein.

Für diese Untersuchungen muss der Serumspiegel an TSH erhöht sein, damit die Aufnahme von Radiojod und die Sekretion von Thyreoglobulin aus den Schilddrüsenzellen angeregt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, werden normalerweise die Schilddrüsenhormone drei bis vier Wochen lang abgesetzt. Dadurch wird über einen Feedback-Mechanismus die TSH-Sekretion aus der Hypophyse zu stimuliert. Diese Phase wird von den meisten Patienten als sehr unangenehm und belastend erlebt, da sie schwere Nebenwirkungen zur Folge hat. Dazu gehören Hypothyreosesymptome, wie rasche Erschöpfbarkeit, Kälteempfindlichkeit, Gewichtszunahme, spröde Haut, Myopathien, hochgradige Verstopfung, Anämie und Stoffwechselträgheit, verbunden mit Untertemperatur. Antriebsschwäche von Lethargie bis hin zu Depressionen sind die Regel.

Gerade zum Ende der Absetzperiode sind die Patienten in ihrem täglichen Leben oft so erheblich beeinträchtigt, dass sie häufig nicht mehr in der Lage sind, ihre Berufstätigkeit fortzuführen. Zwischen dem erstmaligen Entzug und der Normalisierung des Schilddrüsenhormonspiegels können bis zu zehn Wochen vergehen.

Außerdem war bei dieser Form der Nachsorge der TSH-Spiegel durch das Absetzen der Schilddrüsenhormon-Suppressionstherapie über einen Zeitraum von acht bis zehn Wochen erhöht. TSH kann jedoch das Wachstum von Schilddrüsentumoren fördern und damit Rezidive und Metastasenbildung begünstigen.

Schilddrüsenhormon-Mangel ist nicht mehr notwendig

Jetzt gibt es eine Alternative zum wochenlangen Schilddrüsenhormon-Mangel. Mit der Gabe von rekombinantem humanem TSH (rhTSH, Thyrotropin alfa, Thyrogen) wird dasselbe Ziel erreicht, nämlich die stimulierende Wirkung von TSH zu erreichen, ohne dass die Patienten ihre Schilddrüsenhormone absetzen müssen. Dadurch wird die Lebensqualität dieser Patienten wesentlich verbessert.

Das rekombinante Thyrotropin alfa ist dem natürlichen humanen schilddrüsenstimulierenden Hormon (TSH) vergleichbar. Durch die Bindung des rekombinanten Hormons an TSH-Rezeptoren auf den Schilddrüsenepithelzellen wird die Aufnahme und die Bindung von Jod sowie die Synthese und die Freisetzung von Thyreoglobulin, Trijodthyronin (T3) und Thyroxin (T4) angeregt. Thyrogen wird vor der geplanten Untersuchung in einer Dosis von jeweils 0,9 mg zweimal im Abstand von 24 Stunden intramuskulär injiziert. Durch den Einsatz von Thyrogen wird die Zeitspanne, in welcher der TSH-Level erhöht ist, auf wenige Tage verkürzt, wodurch die Gefahr einer durch TSH verursachten Tumorstimulation minimiert wird.

Studienergebnisse zeigen erhöhte Testsensitivität

Die Ergebnisse von Phase-III-Studien zeigen, dass eine Szintigraphie unter Thyrogen bei 92 bis 93 Prozent der Patienten gleichwertig oder besser ausfällt als der Scan unter Schilddrüsenhormonentzug. Durch die Kombination aus Thyrogen-Ganzkörperszintigraphie und Thyrogen-Thyreoglobulin-Test (mit einem Grenzwert von > 2,5 ng/ml) konnten in einer kontrollierten klinischen Prüfung 100 Prozent der Patienten mit bestätigten Metastasen nachgewiesen werden. Im Vergleich dazu konnten bisher nur 79 Prozent dieser Patienten ohne Thyrogen erfasst werden. 95 Prozent der Patienten zeigten nach Thyrogen-Gabe keine Anzeichen einer Schilddrüsenunterfunktion und fühlten sich dadurch deutlich wohler. Zehn Prozent der Patienten berichteten über leichte Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Übelkeit und lokale Schmerzen. Bei weniger als zwei Prozent der Patienten kam es zu leichten Zeichen einer Überempfindlichkeit.

Kastentext: Die häufigsten Schilddrüsenerkrankungen im Überblick

Etwa jeder zehnte Bundesbürger leidet an einer Erkrankung der Schilddrüse. Zu den häufigsten Schilddrüsenerkrankungen gehören:

  • Endemische Struma
  • Hyperthyreosen
  • Morbus Basedow
  • Endokrine Ophthalmopathie
  • Thyreoidititen
  • Hypothyreosen
  • Tumore der Schilddrüse

Die endemische Struma stellt eine Anpassungshyperplasie der Schilddrüse an alimentären Jodmangel dar.

Jodmangelstrumen entstehen besonders in Phasen hormoneller Umstellung und kommen bei Frauen häufiger vor als bei Männern. Die häufigsten Ursachen für Hyperthyreosen sind autonome Adenome, eine funktionelle Autonomie oder die Basedow-Krankheit. Die Hyperthyreose im Rahmen eines Morbus Basedow ist eine Autoimmunkrankheit, bei der die Schilddrüse durch Autoantikörper unkontrolliert stimuliert wird. Die TSH-Antikörper werden von den Lymphozyten der Schilddrüse gebildet und stimulieren diese TSH-ähnlich. Mit dem Morbus Basedow ist häufig die endokrine Ophthalmopathie als Autoimmunerkrankung des retrobulbären Gewebes vergesellschaftet. Thyreoiditiden umfassen eine Gruppe von Krankheiten, die eine Entzündung gemein haben. Hypothyreosen treten als primäre Formen angeboren oder als Folge von Zerstörung oder Verlust von Schilddrüsengewebe auf, so zum Beispiel nach einer operativen Entfernung.

Kastentext: Anatomie und Physiologie der Schilddrüse

Die Schilddrüse ist eine der größten endokrinen Drüsen im menschlichen Körper. Mit einem durchschnittlichen Gewicht von 15 bis 25 Gramm hat das schmetterlingsförmige Organ, das vor und neben der Trachea dicht unterhalb des Kehlkopfes lokalisiert ist, eine zentrale Bedeutung für den Jodstoffwechsel. Die Zellen der Schilddrüse (Thyreozyten) bilden Follikel. Dort werden die Schilddrüsenhormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) synthetisiert und bei Bedarf sezerniert. Zwischen den Follikeln liegen die C-Zellen, die Calcitonin zur Senkung des Blut-CalciumSpiegels produzieren. In den Nebenschilddrüsen wird der Gegenspieler des Calcitonins, das Parathormon, gebildet.

Die Steuerung der Synthese und Abgabe von Schilddrüsenhormonen unterliegt einem komplexen Regelkreis. Der Hypophysenvorderlappen setzt das Thyreoidea stimulierende Hormon (TSH) frei, das die Schilddrüse zu vermehrter Hormonproduktion anregt. TSH bindet dabei an einen spezifischen Rezeptor, führt dort über eine Enzymaktivierung zur Aufnahme von Jodid, zur Thyreoglobulin-Synthese und zur Synthese und Freisetzung von T3 und T4. Thyreoglobulin dient als Speicherform für die Schilddrüsenhormone, die hieraus enzymatisch freigesetzt werden.

Die Schilddrüsenhormone steuern Zellstoffwechsel und Zellaktivität, das heißt, sie aktivieren zahlreiche Stoffwechselprozesse. So bewirken sie unter anderem eine Steigerung des Grundumsatzes und wirken auf den Metabolismus von Kohlenhydraten, Fetten, Proteinen und Vitaminen ein. Bei überhöhtem Hormonspiegel kommt es zu einer gesteigerten Demineralisierung der Knochen. Schilddrüsenhormone sind darüber hinaus essenziell für das körperliche Wachstum und die geistige Entwicklung.

Quelle Prof. Dr. med. Christoph Reiners, Universitätsklinikum Würzburg; Univ. Doz. Dr. med. Peter Lind, Klagenfurt; Prof. Dr. med. Wolfram H. Knapp, Hannover; Einführungsfachpressekonferenz "Schilddrüsenkarzinom: Durchbruch mit Thyrogen - Nachsorge ohne Einschränkungen", München, 29. November 2001, veranstaltet von Genzyme, Alzenau.

Wenn ein Schilddrüsenmalignom nachgewiesen wird, muss die Schilddrüse in der Regel operativ entfernt werden. Die Heilungschancen nach einer totalen Thyreoidektomie sind sehr gut. Die danach notwendigen Untersuchungen haben jedoch schwere Nebenwirkungen zur Folge und werden als sehr belastend und unangenehm empfunden. Mit dem rekombinanten Thyrotropin alfa (Thyrogen) ist nun eine Möglichkeit gegeben, die Nachsorge bei dieser Krebsart und die Lebensqualität der Betroffenen wesentlich zu verbessern.

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