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Selten hat es uns so erwischt. Zum Apothekertag schwebte unsere Standesführung noch auf Wolke 7. ABDA-Wunschkinder wie der Patientenpass (mit elektronischem Rezept), und in der Arzneimitteltherapie via "aut idem" mehr Verantwortung für die Apotheker - beides schien in greifbarer Nähe. Kurz danach kam der Absturz auf den harten Boden der Tatsachen: Erhöhung des Zwangsabschlages an die Krankenkassen von 5 auf 6%, eine Aut-idem-Regelung wie sie schlechter kaum hätte kommen können, der Patientenpass verwässert und verschoben, dafür "viel Feind, viel Ehr" bei unseren (ehemaligen?) Marktpartnern. Und dann auch noch diverse Gutachten mit Forderungen nach Versandhandel, nach Aufhebung der Preisbindung und des Fremd- und Mehrbesitzverbotes - schlecht begründet zwar und nicht zu Ende gedacht, zum Teil auch total unseriös. Aber wer merkt das schon in unserer Mediendemokratie?

Besonders ärgerlich ist das Desaster bei der Aut-idem-Regelung. Es hat sich gerächt, dass überall der Eindruck entstanden ist, die Apotheker wollten aut idem ohne Wenn und Aber - und, schlimmer noch, nur aus egoistisch-ökonomischen Gründen. Die ABDA hat diesem Verdacht ungewollt Nahrung gegeben, als sie darauf hinwies, ohne eine erweiterte Aut-idem-Regelung sei die Erhöhung des Kassenrabattes nicht hinnehmbar. Dabei ist bei genauerem Hinsehen sehr fraglich, ob eine erweiterte Aut-idem-Regelung ökonomisch (!) für die Apotheker überhaupt Sinn macht (das gilt nicht nur für die Farce, die im nächsten Jahr kommen soll). Effekte wie Lagerreduzierung oder Einkaufsbündelung werden gemeinhin - auch unter Kollegen - viel zu positiv eingeschätzt. Negative Folgen - z. B. dass Versandhändlern die Belieferung von chronisch Kranken zum Schaden der Patienten erleichtert wird - werden eher unterschätzt. Neben einigen Einspareffekten für die GKV liegt der Sinn einer erweiterten Aut-idem-Regelung hauptsächlich darin, dass die Patienten in ihrer Apotheke immer cito et iucunde versorgt werden könnten, wenn fachliche Gründe dem nicht zwingend entgegenstehen: also sofort, ohne unnötige Verzögerung, bequem und ohne vermeidbaren zusätzlichen Aufwand für den Patienten. Das ist nicht wenig.

Wir hätten freilich frühzeitig unmissverständlich deutlich machen müssen, dass es sehr wohl fachliche Gründe geben kann, bei denen wir eine Substitution ablehnen müssten, selbst wenn sie uns erlaubt wird. Dazu hätten wir uns vorab auf "Regeln für eine gute Substitutionspraxis" ("GSP"-Regeln) festlegen sollen: keine Substitution bei bestimmten Wirkstoffen (z. B. mit geringer therapeutischer Breite); keine Substitution bei problematischen Arzneiformen (z. B. Retardformen) ohne explizit belegte Bioäquivalenz; keine Substitution bei problematischen Indikationen (z. B. Epilepsie); keine Substitution, wenn wegen marginaler Preisvorteile die Compliance gefährdet werden könnte. Die Einhaltung solcher Grundsätze wäre leicht möglich, wenn wir nicht im Einzelfall, sehr wohl aber in der Gesamtheit unserer Substitutionsentscheidungen wirtschaftlichen Vorgaben folgen müssten (vgl. dazu das in DAZ 2001, Nr. 38, S. 56 vorgestellte Modell). Die Bindung an solche Grundsätze wäre zudem eine deutliche Verbesserung gegenüber der "wilden" Substitution, wie sie in Arztpraxen durch Helferinnen und Praxiscomputer - aus der Not heraus - heute z. T. praktiziert wird. Übrigens: Diese Grundsätze der guten Substitutionspraxis sollten wir auch anwenden auf die "wilde" Substitution zwischen Originalen und Parallelimporten, zu der wir - ohne explizite Zustimmung und Kenntnis des Arztes - verstärkt verpflichtet werden, an der sich aber offensichtlich niemand stört.

Mit einer frühzeitigen Selbstverpflichtung auf klare "GSP"-Regeln hätten wir wahrscheinlich vielen irrationalen Attacken und Argumenten den Wind aus den Segeln genommen. Aut idem schaffe die Therapiefreiheit ab, hieß es da zum Beispiel. Dabei entscheidet doch der Arzt weiter uneingeschränkt über Art und Menge der Wirkstoffe und auch über die Art der Darreichungsform. Delegiert er mit der Freigabe von aut idem mehr Verantwortung auf den Apotheker als - seit eh und je - bei Rezepturen und Defekturen? Natürlich nicht - im Gegenteil! Der Arzt vertraut zu Recht, dass der Apotheker galenisch ausgebildet ist - und weiß: er selbst ist es nicht. Die Galenik ist ein pharmazeutisches Kernfach, in der Medizinerausbildung kommt sie nicht vor. Die Beurteilung der Vergleichbarkeit von Arzneiformen mit gleichen Wirkstoffen ist also arztfern und apothekernah.

Ob es wohl noch gelingt, von den Scheinproblemen zu den Sachfragen zurück zu finden? Die DAZ-Redaktion wünscht Ihnen einige besinnliche Weihnachtstage, einen reibungslosen Euro-Start - und ein trotz allem noch erträgliches Jahr 2002.

Klaus G. Brauer

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