Feuilleton

Alzheimer-Demenz: Mit Auguste D. hat vor 100 Jahren alles angefangen

Weil sie eine Holzschüssel aufs Feuer stellte, weil sie das Plätteisen auf dem Hemd stehen ließ, weil sie die Schmutzwäsche fein säuberlich in den Schrank einsortierte und weil sie darüber hinaus unter Gedächtnisschwäche, Verfolgungswahn und Unruhe litt, wurde Auguste D. von ihrem Hausarzt Ende 1901 zur Abklärung in die "Anstalt für Irre und Epileptische" in Frankfurt am Main eingewiesen. Die 51-jährige Eisenbahnkanzlistenfrau ist in die Medizingeschichte eingegangen, nachdem der Psychiater Alois Alzheimer bei ihr eine bis dahin nicht beschriebene Erkrankung des Hirns diagnostiziert hatte. Nach dem frühen Tod der Patientin konnte er die für die Alzheimer-Demenz typischen Veränderungen histopathologisch objektivieren.

Es war eine Ironie des Schicksals: Ausgerechnet die mit so viel Gewissenhaftigkeit und Akribie geführte Krankenakte der Auguste D. ging verloren. Trotz intensiver und systematischer Nachforschungen im Stadtarchiv blieb dieses Dokument jahrzehntelang verschwunden. Erst 1995 wollte es der Zufall, dass Prof. Dr. Konrad Maurer, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie I an der Universitätsklinik Frankfurt am Main, im Keller der Klinik diese Akte wiederfand; sie war unter einem völlig falschen Jahrgang archiviert worden.

Diese Entdeckung sollte nicht ohne Folgen bleiben: 1998 veröffentlichte Professor Konrad Maurer zusammen mit seiner Frau Ulrike Maurer eine Monographie über Alois Alzheimer, und bereits im November 2001 kam das gemeinsam verfasste Theaterstück "Die Akte Auguste D." (Bühnenfassung: Ulrike Hofmann, Berlin) im Theater Neumarkt in Zürich zur Uraufführung. Dieses Schauspiel gehörte neben einer Kunstausstellung und einem Alzheimer-Symposium* zum Veranstaltungszyklus "Alzheimer: Eine Krankheit im Spiegel von Kunst, Literatur und im Fokus der Wissenschaft", der am 16. November 2001 in Zürich stattfand.

Der erste Fall ...

"Wie heißen Sie?" "Auguste." - "Familienname?" "Auguste." - "Wie heißt ihr Mann?" "Ich glaube Auguste." - "Ihr Mann?" "Ach so, mein Mann ..." So beginnt das Aufnahmegespräch zwischen dem Oberarzt Alois Alzheimer und Auguste D. Er befragt die Patientin intensiv, bezieht deren Ehemann mit ein, macht sich Notizen. Der Hausarzt hat der 51-jährigen Auguste attestiert, dass sie zu jeder körperlichen und geistigen Arbeit unfähig sei, weshalb ihr Zustand einer Behandlung in der hiesigen Irrenanstalt bedarf. Der Ehemann ist nicht so recht überzeugt, dass eine Anstalt der richtige Ort für sie ist: "Meine Frau ist schließlich nicht verrückt." Wohl oder übel stimmt er Alzheimers Vorschlag zu, Auguste eine Weile zu beobachten. Doch Auguste sollte aufgrund ihres immer desolater werdenden Zustands die Klinik nicht mehr verlassen.

An sich hatte Auguste Glück im Unglück, denn die Frankfurter Anstalt gehörte zu den modernsten der damaligen Zeit, war personell einigermaßen gut ausgestattet, und Alzheimer spürte intuitiv, dass dies ein besonderer Fall war, da das Krankheitsbild von allen damals bekannten Demenzformen abwich. Dementsprechend dokumentierte er den Verlauf besonders sorgfältig. Auch als Alzheimer im Jahr 1903 an die berühmte Klinik des Psychiaters Emil Kraepelin in München wechselte, ließ er Auguste nicht aus den Augen.

Als die Patientin 1906 an den Folgen einer Blutvergiftung starb, sorgte Alzheimer dafür, dass die Krankenakte ebenso wie das Hirn nach München geschickt wurden. Dort fanden umfangreiche mikroskopische Untersuchungen und Färbeversuche statt, die den Verdacht einer organischen Hirnerkrankung bei Auguste D. bestätigten. Alzheimer trug seine Erkenntnisse bei einer wissenschaftlichen Tagung in Tübingen vor, doch die Resonanz ließ zu wünschen übrig, und die Tübinger Chronik hatte lächerliche sechs Zeilen für die bahnbrechenden Resultate übrig: "Über einen eigenartigen schweren Krankheitsprozess, der einen bedeutenden Schwund der Nervenzellen innerhalb von viereinhalb Jahren verursachte, berichtete Privatdozent Dr. Alzheimer aus München."

Das spiegelt die Wissenschaftsdiskussion der damaligen Zeit wider - damals war es nicht zeitgemäß, organische Hirnerkrankungen zu erforschen. Doch Kraepelin stärkte Alzheimer den Rücken: "Die Plaques und Fibrillenbündel zerstören Nervenzellen und Synapsen; das Gehirn zerfällt vor unseren Augen."

Später sollte das Krankheitsbild der Auguste D. als präsenile Demenz in die Annalen der Medizin eingehen - und heute warten allein in Deutschland etwa 800 000 Demenzkranke auf einen Durchbruch in der Therapie-Forschung.

... und ein abendfüllendes Theaterstück

Das sehr bemerkenswerte - und empfehlenswerte - Theaterstück nimmt seinen Ausgang bei den authentischen Gesprächsaufzeichnungen Alzheimers und vermittelt die bedrückende Realität und Hilflosigkeit in einer Irrenanstalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eingebunden ist der Fall Auguste D. in die wissenschaftsgeschichtlichen Zusammenhänge und Expertendiskussionen dieser Zeit. Immer wieder wird in diesem Schauspiel die Beunruhigung, die von dieser unheimlichen Krankheit ausgeht, deutlich spürbar. Für den gewöhnlichen "Altersblödsinn" war diese Frau im Alter von Anfang fünfzig schlichtweg zu jung - hier musste etwas bis dahin Unbekanntes vorgefallen sein.

Ein anderer Blickwinkel: Kunst und Alzheimer-Demenz

Parallel zum Theaterstück gab es in Zürich eine Kunstausstellung der besonderen Art. Auch hier war wieder deutlich die "Handschrift" der Experten Professor Konrad und Ulrike Maurer zu spüren. Die Ausstellung der Werke von Carolus Horn, der an einer Alzheimer-Demenz litt, bot dem Betrachter die Möglichkeit, die degenerativen Prozesse anhand von gestalterischen und inhaltlichen Veränderungen nachzuvollziehen. Besonders eindrucksvoll zeigten sich die krankheitsbedingten Veränderungen bei einem Lieblingsmotiv des Künstlers, der Rialto-Brücke in Venedig.

Carolus Horn - der erfolgreiche Werbegrafiker

Wir alle kennen Carolus Horn, den 1921 in Wiesbaden geborenen Künstler - hat er sich doch wie wohl kein anderer im Wirtschaftswunder-Deutschland einen Namen gemacht. Er zeichnete für Imagekampagnen verantwortlich, die jedem von uns ein Begriff sind:

  • Deutsche Bundesbahn: "Alle reden vom Wetter. Wir nicht."
  • Esso: "Es gibt viel zu tun, packen wir's an."

Genauso erfolgreich waren seine Werbegrafiken, wobei insbesondere die unnachahmliche Opel-Werbe-Serie sein enormes gestalterisches Können belegt. Er beherrschte sämtliche Techniken, typisch war die perspektivische Raffinesse und die räumliche Tiefenwirkung seiner Grafiken. Doch damit nicht genug, auch in seiner Freizeit malte Horn beeindruckende Landschaftsbilder, Porträts und Städteansichten.

Mit sechzig Jahren machten sich bei Horn erste Anzeichen der Alzheimer-Krankheit bemerkbar, er hatte Probleme mit dem Gedächtnis, das Reden fiel ihm schwerer. Außergewöhnliche Begabung und jahrzehntelange Routine sorgten jedoch dafür, dass er viele Alzheimer-bedingte Defizite durch die künstlerische Betätigung kompensieren konnte.

Seine Bilder lassen den beginnenden degenerativen Prozess anfänglich kaum erkennen - erst später treten deutlichere Veränderungen gegenüber den Werken aus gesunden Tagen auf. Die räumlichen Bezüge verändern sich, die Dreidimensionalität geht verloren. Bildelemente werden immer mehr reduziert und schematisiert.

Einerseits hinterließ die Demenz in den zwölf Jahren seiner Erkrankung - er malte bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1992 - deutliche Spuren, andererseits gewannen die Bilder eine faszinierende Ausdruckskraft und Farbintensität. Wenn man auf den Vorher-nachher-Vergleich verzichtet, bestechen die Spätwerke durch reiche Phantasie und eine teilweise naiv-fröhliche, teilweise stark ornamentale Darstellung.

Fußnote

*"100 Jahre nach Auguste D. - eine Veranstaltung rund um das Thema Alzheimer" in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, unterstützt durch Novartis Pharma Schweiz AG.

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