Arzneimittel und Therapie

Multiple Sklerose: Hippotherapie bessert Bauchbeschwerden

Das Vorgehen in der Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Die früher zurückhaltende Einstellung, zuerst begleitende Maßnahmen wie Physiotherapie und Vitamine einzusetzen und erst bei einer Verschlechterung des Zustands Arzneimittel anzuwenden, ist heute einem konsequenten und engagierten Vorgehen gewichen. Vor diesem Hintergrund erhält die Physiotherapie, insbesondere auch eine ihrer Unterformen, die Hippotherapie, einen neuen Stellenwert. Darauf wies nach Informationen von Serono Pharma Dr. Stefan Schumacher, Chefarzt der Abteilung Neurologie der Wicker-Klinik, Bad Wildungen, auf einer Fachtagung in Bad Wildungen hin.

Die MS ist zwar nach wie vor nicht heilbar, kann aber doch in ihrem Verlauf gemildert werden. Der Klassiker bei der Behandlung akuter Schübe ist Cortison. Es wird heute in einer intravenösen Kurzzeittherapie gegeben, die orale Langzeitgabe wird nicht mehr angewendet. In den letzten Jahren ist vor allem die Schubprophylaxe in den Vordergrund gerückt. Mit den neuen Beta-Interferonen haben sich hier neue Möglichkeiten eröffnet. Für schwere, progrediente Fälle gibt es mittlerweile auch einzelne immununterdrückende Medikamente, zum Beispiel Mitoxantron. In neueren Studien konnte zudem gezeigt werden, dass ein früher Behandlungsbeginn für den Patienten von Vorteil ist.

Physiotherapie ist wichtig

Die Physiotherapie ist eine extrem wichtige Begleittherapie und Zusatztherapie für die Patienten. Die durch medikamentöse Behandlung gewonnene Lebensqualität und die Selbstständigkeit im Alltag kann man noch weiter ausbauen, beispielsweise durch eine Tonussenkung oder eine zusätzliche Rumpfstabilisierung. Und genau das sind Parameter, an denen die Physiotherapie ansetze. "Mit der medikamentösen Therapie schaffen wir zunächst einmal die Voraussetzungen dafür, dass die Menschen die Fähigkeit haben, sich besser zu bewegen. Damit aber aus dieser Fähigkeit dann auch wirklich Fertigkeiten werden, brauchen wir die Physiotherapie," sagte Schumacher.

Hippotherapie ist besonders hilfreich

Als besonders hilfreiche physiotherapeutische Behandlungsform hat sich laut Schumacher die Hippotherapie erwiesen. Darunter wird nach Definition des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR) die "krankengymnastische Ergänzungsbehandlung als Einzelmaßnahme auf dem Pferd" verstanden. Cornelia Plöger, Stellvertretende Vorsitzende des DKThR, Warendorf, verdeutlichte, dass dies mit "Reiten" nichts zu tun habe: "Das Pferd wird in der Gangart 'Schritt' geführt, von hinten an einem Langzügel. Der Patient sitzt auf dem Pferd, meistens auf einer Decke mit einem Haltegriff, und der Therapeut geht nebenher und korrigiert den Patienten von unten. Der eigentliche Therapeut ist aber das Pferd. Wir versuchen möglichst wenig einzugreifen, sondern die Bewegungsimpulse des Pferdes auf den Patienten wirken zu lassen und nur über gewisse Maßnahmen wie Seitengänge oder Tempoveränderungen ein wenig Einfluss zu nehmen."

Da das Gangbild des Pferdes weitgehend dem des Menschen entspricht, wirken pro Minute etwa 90 bis 120 dreidimensionale, physiologische Bewegungsimpulse in ununterbrochener Folge auf den Patienten ein. Plöger: "Und das Schöne an dieser Therapie ist, dass der Patient im Grunde gar nicht merkt, dass er therapiert wird, sondern er muss auf diese Bewegungsreize, die das Pferd auf ihn wirken lässt, ununterbrochen reagieren und kann sich dem nicht entziehen - wie er das zum Beispiel auf der Behandlungsbank, auf der Matte tun könnte, dass er einfach mal sagen kann: Ich will nicht mehr, ich mag nicht mehr. Bei der Hippotherapie geht das nicht, da sitzt er auf dem Pferd und muss mit seinem Körper, mit seiner Muskulatur ununterbrochen und stetig antworten."

Verschiedene Bewegungsformen

Somit erfährt der Patient verschiedene Bewegungsformen auf einmal, die er in der klassischen Physiotherapie nur schrittweise nacheinander umsetzen könnte. Er erlebt eine Rotationsbewegung, eine vertikale und eine horizontale Bewegung. Der Gleichgewichtssinn, der Lagesinn, die Tiefensensibilität und die Rumpfstabilität werden mit verschiedenen Parametern gleichzeitig geprüft. Darin liegt auch der Unterschied zur Physiotherapie, bei der die Physiotherapeutin, wenn sie in Einzeltherapie mit dem Patienten arbeitet, an einer Stelle nur mit einem Parameter ansetzen kann.

Der ideale Patient für die Hippotherapie ist demzufolge der Patient, der beispielsweise einen deutlich erhöhten Tonus der unteren Extremitäten mit einer beinbetonten Spastik und einer Rumpfinstabilität aufweist. Bei einem solchen Patienten können beide neurologischen Funktionsstörungen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig therapiert werden.

Bisher nur Verlaufsbeobachtungen

Beweise für die Wirksamkeit der Hippotherapie sind laut Schumacher allerdings noch nicht erbracht. Es gebe zwar verschiedene Studien zur Hippotherapie, diese beschränkten sich aber nur auf Verlaufsbeobachtungen. Schumacher: "Wir in der Wicker-Klinik Bad Wildungen führen derzeit, unterstützt durch Serono Pharma, eine Studie durch, in der wir bestimmte Parameter bei den Patienten vor und nach der Therapie messen. Die Gruppe, welche die Hippotherapie zweimal wöchentlich erhält, wird verglichen mit einer Patientengruppe, die ähnliche Funktionsausfälle hat und keine Hippotherapie erhält, also nur klassische Physiotherapie. Die ersten Teilergebnisse, die jetzt auch auf dem Jahreskongress der Gesellschaft für Hippotherapie in Bad Wildungen am 15. September dieses Jahres vorgestellt wurden, zeigen, dass insbesondere in den Bereichen Gleichgewichtssinn, Sensibilität und vor allem Rumpfstabilität positive Ergebnisse zu verzeichnen sind."

Verschiedene Untersuchungsmöglichkeiten

Thekla Pfeiffer, Zentrum für Therapeutisches Reiten, Bad Wildungen, verdeutlichte das Studienverfahren und -instrumentarium: "Wir haben an Instrumenten einerseits die Videokontrolle, die Videoaufnahmen, dann eine krankengymnastische Anfangs- und Abschlussuntersuchung und schließlich eine ärztliche Untersuchung. Im Rahmen der krankengymnastischen Anfangs- und Abschlussuntersuchung werden - speziell auf die Hippotherapie bezogen - Veränderungen beispielsweise des Gangbildes und der Mobilität insgesamt festgehalten sowie Gleichgewichtssymptomatiken und die Fähigkeit, im alltäglichen Leben besser klarzukommen, also der Gewinn an Lebensqualität." Zur Beurteilung der Gangbildverbesserung dienen die Parameter "Schrittmaßvergrößerung" und "Rumpfflexibilität". So wird ermittelt, ob der Patient für eine bestimmte Strecke sieben, sechs oder nur noch fünf Schritte benötigt. Die geringere Schrittzahl steht dann für größere Schritte und zeigt eine gesteigerte Gangsicherheit und Mobilität an. Auch die Stützreflexe werden beobachtet, das heißt, ob und wie gut die Patienten sich nach links, rechts, vorn oder hinten mit einem Stützschritt abfangen können. Das ist zur Herabsetzung der Sturzgefahr wichtig.

Deutliche Besserungen sichtbar

In allen untersuchten Parametern fanden sich laut Pfeiffer in einer Zwischenauswertung tendenziell bereits deutliche Besserungen. Schumacher betonte indes, es sei notwendig, das therapeutische Vorgehen noch über einen längeren Behandlungszeitraum zu verfolgen. Das bedeute konkret: "Wir müssten noch über einen Zeitraum von zumindest vier bis sechs Monaten die Studie fortführen und zeigen, dass diese Parameter weiter stabil bleiben und letztlich einen Benefit für den Patienten bringen."

Quelle Jahrestagung Hippotherapie, Bad Wildungen, 15. und 16. September 2001, veranstaltet von Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V., unterstützt durch Serono Pharma.

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