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Medizinnobelpreis 2001: Kontrolle des Zellzyklus

Der Zellzyklus, in dessen Verlauf sich die Zelle teilt und verdoppelt, ist einer der zentralen Vorgänge in der Biologie. Er ist direkt mit vielen grundlegenden biologischen Prozessen der Entwicklung, Regeneration und Differenzierung verknüpft. Die diesjährigen Medizinnobelpreisträger Leland Hartwell, Paul Nurse und Tim Hunt haben bahnbrechende Arbeiten zur Zellzykluskontrolle durchgeführt, die in die gesamte biomedizinische Forschung ausstrahlen. Vor allem die Krebsforschung profitiert von diesen Erkenntnissen.

Theodor Boveri (1862 - 1915), der Begründer der Chromosomentheorie der Vererbung, vermutete bereits 1902, dass eine fehlerhafte Chromosomentrennung zu Krebs führen könnte. Als sich der US-Amerikaner Leland Hartwell (61) vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle zu Beginn der 70er-Jahre der Zellteilung mit molekularen Methoden näherte, wählte er als Modellorganismus die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, da sich der Zellzyklus hier gut studieren lässt. Anstatt sich in zwei gleiche Teile zu teilen, knospet eine Tochterzelle von der Mutterzelle ab. Am Wachstum der Knospe lässt sich der Fortgang des Zellzyklus gut ablesen.

Punkttemperatur der Bäckerhefe

Hartwell beobachtete mutierte, am Zellzyklus (cell division cycle, cdc) beteiligte cdc-Gene, bei denen sich keine Tochterzellen bilden. Er ging von der Überlegung aus, dass ein einzelliger Eukaryont, der sich nicht teilen kann, entsprechend veränderte genetische Informationen tragen müsse.

An seinen temperatursensitiven Mutanten konnte er experimentell bestimmen, zu welchem Zeitpunkt des Zellzyklus sich eine Mutation auswirkt. Erhöhte er die Temperatur an einer Stelle, die vor dem Punkt lag, an dem die Mutation greift, blieben die Zellen an diesem Punkt stehen; erhöhte er sie dahinter, konnten die Zellen ihren normalen Zellzyklus fortsetzen.

Etwa 80 cdc-Gene konnte Hartwell identifizieren, die speziell an der Zellzykluskontrolle beteiligt sind. Mittlerweile sind mehr als 100 bekannt. Eines dieser Gene, das cdc28, initiiert bei der Hefe den ersten Schritt der G1-Phase. Hartwell nannte es deshalb "start". In tierischen Zellen heißt es heute Restriktionspunkt.

Hartwell untersuchte auch die Strahlungssensibilität von Hefezellen. Aufgrund der Ergebnisse führte er das "checkpoint"-Konzept ein, das besagt, dass der Zellzyklus stoppt, wenn die DNA beschädigt ist. Der Zweck dieses zellulären Kontrollsystems ist es, entweder Zeit für die DNA-Reparatur zu haben, bevor die nächste Zellzyklusphase beginnt, oder, bei irreparablen Schäden, den Zyklus abzubrechen. Solche Qualitätskontrollen sind mittlerweile aus allen Phasen des Zellzyklus bekannt. Die wichtigsten liegen in der G1- und der G2-Phase (s. Kasten).

Die Länge entscheidet

Der Brite Paul Nurse (52) vom Imperial Cancer Research Fund in London folgte Hartwells genetischem Ansatz zum Studium des Zellzyklus. Er verwendete allerdings die der Bäckerhefe nur entfernt verwandte Spalthefe Schizosaccharomyces pombe als Modellorganismus. Denn an der Länge der Zellen von S. pombe lässt sich das Zyklusstadium sehr gut ablesen. Sie dehnen sich von 8 auf 16 Mikrometer aus, bevor sie sich teilen.

In der Mitte der 70er-Jahre entdeckte Nurse das Gen cdc2. Es gelang ihm zu zeigen, dass dieses Gen eine Schlüsselrolle in der Zellteilungskontrolle beim Übergang von der G2-Phase zur Mitose inne hat. Später erkannte er, dass das Gen auch übergeordnete Funktionen erfüllt, und schließlich, dass es identisch ist mit dem von Hartwell identifizierten "start"-Gen. Das davon kodierte p34 ist das entscheidende Kontrollprotein des Zellzyklus der Hefe.

1987 identifizierte Nurse das dem cdc2 entsprechende Gen beim Menschen, das später nach der von ihm exprimierten Cyclin-abhängigen Kinase (cyclin dependent kinase, cdk) den Namen cdk1 erhielt. Nurse konnte zeigen, dass die Aktivierung des CDK1-Moleküls auf seiner reversiblen Phosphorylierung beruht. Inzwischen wurde ein halbes Dutzend weiterer CDK-Proteine im Menschen entdeckt.

Auf und Ab der Cycline

Der Seeigel Arbacia war der Modellorganismus von Tim Hunt (58), der ebenfalls am Imperial Cancer Research Fund in London tätig ist. An ihm entdeckte er Anfang der 80er-Jahre das erste Cyclin-Molekül. Cycline sind Proteine, die diesen Namen erhielten, weil ihre Konzentration in den Zellen im Verlauf des Zellzyklus erheblich schwankt. Während der Interphase (s. Kasten) nimmt ihre Konzentration ständig zu. Wenn sie hoch genug ist, binden die Cycline an die CDK-Moleküle und aktivieren sie, indem sie ihre selektive Phosphorylierung ermöglichen (s. o.). Damit beginnt die Zellteilung (Mitose, M-Phase). Während dieser Phase werden die Cycline wieder abgebaut.

Der periodische Abbau der Cycline erwies sich als wichtiger allgemeiner Kontrollmechanismus des Zellzyklus. Nachdem Hunt Cycline auch in anderen Organismen nachgewiesen hatte, wurde offenbar, dass sie sich in der Evolution nur sehr wenig verändert haben. Sie sind extrem konservativ, was die universelle Bedeutung dieser Regelmechanismen unterstreicht. Bis heute wurden im Menschen zehn unterschiedliche Cycline entdeckt.

Motor und Getriebe

Die Arbeiten der drei Forscher belegen, dass die Konzentration der CDK-Moleküle während des Zellzyklus konstant bleibt. CDK- und Cyclin-Moleküle überwachen die Zyklusphasen des Zellwachstums. Die CDK-Moleküle kann man als den Motor beschreiben, der das Geschehen vorantreibt. Die Cycline bestimmen als Getriebe, ob der Motor im Leerlauf läuft oder für Bewegung sorgt.

Mittlerweile sind in vielen eukaryontischen Organismen Regulatoren des Zellzyklus gefunden worden. Dennoch ist die Hefe noch immer das Modell der Wahl, um die Vorgänge weiter zu studieren.

Die Zellzykluskontrolle bei Hefe und Mensch erwies sich als sehr ähnlich. Beide besitzen eine M-Phase-CDK, die aus zwei Untereinheiten besteht - aus p34, einer katalytischen Serin/Threonin-Proteinkinase, und aus einem mitotischen Cyclin. Die Cycline werden ebenfalls phosphoryliert. Die Bedeutung dieser Modifikation liegt allerdings noch im Dunkeln. Beim Menschen wird die CDK während der Mitose abrupt durch den Abbau des Cyclins inaktiviert.

Immer schwieriger

Die Zellzyklusforschung offenbart ein komplexes Regelwerk. Zu den beteiligten Cyclinen, CDKs und Phosphatasen ist in den letzten Jahren noch die Familie der Cyclin-abhängigen Kinasehemmer (CKI oder ICDK) getreten, die die CDKs negativ kontrollieren können. Die Forschung der Zellzykluskontrolle ist deshalb noch lange nicht an ihrem Ende angekommen. Vier aktuelle Schwerpunkte sind:

  • Regulation der Cyclin-abhängigen Kinasen,
  • Regulation und Funktion von Transkriptionsfaktoren als übergeordneten Regulatoren des Zellzyklus,
  • phasenspezifische Transkriptionskontrolle innerhalb des Zellzyklus,
  • Deregulation des Zellzyklus durch virale Onkoproteine.

Zellzykluskatastrophe Krebs

Um die zelluläre Katastrophe Krebs zu verhindern, muss der Zellzyklus präzise gesteuert werden. Regulationsstörungen können zu malignen Neoplasien führen. Die übermäßige Expression von Cyclinen führt zu Lymphomen oder Lungenkarzinomen. Die Inaktivierung von Zellzyklusbremsen durch Mutationen kann ebenfalls Karzinome verursachen. So sind zum Beispiel bei menschlichen Tumoren die Inhibitoren von CDK, wie p16 oder p27, häufig inaktiviert. Auch das Tumorsuppressorprotein p53 und das Retinoblastom-Gen spielen im Zellzyklusgeschehen, z. B. bei der Apoptose, eine wichtige Rolle. Und schließlich haben Mutationen oder die gestörte Expression von Genen, die mit dem Zellzyklus assoziiert sind, bei vielen Tumoren prognostische und prädiktive Bedeutung.

Die Aufklärung des Zyklusmechanismus eröffnet die Möglichkeit, Störungen bei Krebs auch mit gentherapeutischen Konzepten anzugehen. In einigen menschlichen Tumoren - vor allem bei Brustkrebs und Gehirntumoren - werden überhöhte Konzentrationen an CDK- und Cyclin-Molekülen gefunden. Folgerichtig wird heute auch an Krebstherapien mit CDK-Inhibitoren gearbeitet. So hat zum Beispiel das Unternehmen Aventis den Cyclin-abhängigen Kinasehemmer Flavopiridol entwickelt. Er soll der erste Vertreter einer neuen Klasse von Krebsmitteln werden. In Kombination mit anderen Therapeutika soll er sich bereits in der Phase II der klinischen Prüfung befinden.

Kastentext: Der Zellzyklus

Der somatische Zellzyklus besteht aus vier Phasen:

  • G1-Phase (G = gap = Lücke): Zellwachstum; Synthese von RNA und Proteinen für die DNA-Verdoppelung
  • S-Phase (S = Synthese): Ab einer bestimmten Zellgröße Verdoppelung der DNA
  • G2-Phase: Vorbereitung der Mitose. Die Zelle besitzt zwei vollständige diploide Chromosomensätze. Sie ist tetraploid.
  • M-Phase (M = Mitose): Die Kernmembran wird aufgelöst, die Zelle teilt sich. Es entstehen zwei identische diploide Tochterzellen mit neuen Zellkernen und diploiden Chromosomensätzen.
  • Interphase: Die Phasen G1, S und G2 werden zusammenfassend als Interphase bezeichnet.
  • G0-Phase. Einige Zelltypen teilen sich nicht. Diesen Zustand außerhalb des Zellzyklus nennt man G0.

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