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Das World Trade Center – Anfang oder Ende einer Entwicklung?

Es begann mit konventionell gemauerten Hochhäusern. Das Gewicht des 16 Stockwerke hohen Monadnock-Gebäudes (1892) in Chicago mussten zwei Meter dicke Grundmauern tragen. Die statischen Möglichkeiten des Backsteins waren damit weitgehend ausgereizt. Um bei maximaler Raumnutzung höhr bauen zu können, wurde die Skelettbauweise entwickelt, die die Trennung von Tragwerk und Gebäudehülle erlaubt. Zwischen dieses Rahmengerüst zieht man Vorhangwände und Fassaden (Curtain Walls) beliebig ein. An die Stelle von Guss-, später Schmiedeeisen trat schließlich Stahl als idealer Baustoff für große Höhen. Dicke Mauern mit kleinen Fenstern wichen filigranen Tragwerken mit Füllungen aus vorgefertigten Fassadentafeln und Glasflächen.

Ein Brand als Initialzündung

Als im Oktober 1871 der größte Teil von Chicago abbrannte, gab die öde Stätte Gelegenheit zu einem architektonischen Neuanfang. 1885 entstand das erste Hochhaus in Stahlskelettbauweise. Stilprägend war die 1880 von William Le Baron Jenney begründete Bewegung der "Schule von Chicago". Zahlreiche noch recht verschnörkelte Hochhäuser wuchsen in den Himmel.

Als Louis Henri Sullivan, einer der wichtigsten Vertreter der Schule, die Parole "form follows function" ausrief, folgte vor allem New York diesem nüchternen Denken. Das Empire State Building mit seinen 102 Geschossen wurde 1931 nach nur 13 Monaten fertiggestellt. Das Stahlskelett selbst stand nach kaum einem halben Jahr. Das ließ sich nur mit industriell vorgefertigten Bauteilen erreichen. Damit der Ruhm, das höchste Gebäude der Welt zu sein, auch möglichst lange erhalten blieb, wurde dem 381 m hohen Haus noch ein Stahlmast von 68 m als Zeppelinankerplatz aufgepflanzt, der freilich nie genutzt wurde.

Trostlos international

Nach 1945 zogen Aluminium und moderne Technik in die Architektur ein. Die Himmelstürmer profitierten von optimierten Skelettsystemen und höheren Betongüten. Schmucklose Oberflächen mit viel Glas strebten in den Metropolen nach oben. Der "International Style" war geboren und eroberte die Welt. Leistungsfähige Klimaanlagen machten das Leben in einem Wolkenkratzer bei jedem Wetter angenehm. Vor allem aber die Weiterentwicklung der von Otis Brothers u. Co. 1903 erfundenen getriebelosen, elektrischen Seilaufzüge verhalfen den Hochhäusern zum endgültigen Durchbruch. Die Gebäude wucherten zu isolierten und autarken Riesenkomplexen, zu trostlosen Städten in der Stadt.

In diesem Umfeld wurden die Büros von Minoru Yamasaki und Emery Roth u. Sons mit dem Bau des World Trade Center (WTC) beauftragt. Zwei Millionen Quadratmeter Büro-, Geschäfts- und Versorgungsfläche sollten auf 6,5 Hektar geschaffen werden. Der Grundstückswert des Baugeländes am Südzipfel von Manhattan in New York lag bei 20 000 DM pro Quadratmeter. Obwohl die Vorgaben eine vollständige Überbauung der Fläche mit 30 Stockwerken erlaubten, schwebte dem Japaner Yamasaki dennoch ein Freiraum im dicht bebauten Manhattan vor. Ein Platz der Begegnung und der Bewegung sollte entstehen. Sein Welthandelszentrums musste also in ungeahnte Höhen wachsen.

Ein Panzer aus Stahl ...

Als die Türme 1976 nach zehn Jahren Bauzeit vollendet waren, galt die monotone Architektur als überholt, die Konstruktion nicht. Yamasaki hatte das Prinzip der tragenden Außenwände wieder aufgenommen, das zu Beginn der Wolkenkratzerperiode verworfen worden war. Mit der teilweisen Rückbesinnung auf den Massivbau konnten tragende Säulen im Inneren vermieden werden. Die Türme erfuhren ihre Stabilität nur zu einem kleinen Teil aus dem festen Stahlbetonkern mit Aufzügen und Versorgungsschächten. Er trug lediglich 10 Prozent der vertikalen Last.

Das Außenskelett war die Stütze der Gebäude. Die verschraubten Stahlträger mit den stählernen Querbindern, deren Überreste noch Tage nach dem Einsturz in den Himmel ragten, trugen die Hauptlast des vertikalen Drucks. Der Stahlkäfig war über Stahltrossen, auf denen die Fußböden lagen, mit dem Kern verbunden. Der Käfig konnte so auch den hohen Biegebelastungen durch Winddruck oder Erdbeben standhalten. Bei sehr starken Hurrikans schwangen die Spitzen der Türme, ohne Schaden zu nehmen, 15 m weit aus.

... der eigentlich

ausreichte ...

Yamasaki hatte die Kollision einer zweimotorigen B-25 mit dem in Sichtweite stehenden Empire State Building im Juli 1945 im Nebel von Manhattan gewissermaßen vor Augen. Der Bomber war ins 79. Stockwerk gedonnert. 14 Menschen starben. Trotz des Feuerschadens und des sechs Meter großen Lochs war das Gebäude zwei Tage später wieder eröffnet worden. Yamasaki konstruierte die Zwillingstürme deshalb so, dass sie dem Aufprall einer Boeing 707 standhalten, der zur Bauzeit schwersten Passagiermaschine.

Prinzipiell verträgt das Konstruktionsprinzip des WTC horizontale Schläge besser als die Skelettbauweise. Brechen einzelne Träger weg, übernehmen die übrigen die Last. Statik und Brandschutz des WTC waren so ausgelegt, dass auch bei einem Großfeuer genug Zeit bleiben sollte, um die Gebäude zu evakuieren. Die Flugzeuge, die am 11. September 2001 in die Türme krachten, waren zwar schwerer als in der Planung vorgesehen. Dennoch drückt die Masse einer Boeing 767 mit einem Gewicht von etwa 160 Tonnen viel schwächer auf einen solchen Turm als ein starker Sturm. Die Türme zerbrachen daher auch nicht an der Wucht des Aufpralls.

... und dann doch nicht

Die 60 Tonnen Kerosin in jedem der beiden Flugzeuge gaben den Gebäuden den Todesstoß. Die ungeheure Energie, die beim Einbruch in die Hochhäuser frei wurde, brachte den schwer entzündlichen Treibstoff sofort zur Explosion. Die Sprinklersysteme der Türme sind wahrscheinlich durch das Feuer zerstört worden. Die Hitze von 1000 Grad Celsius hat den ungenügenden Asbestbrandschutz von den Trägern und Trossen abplatzen lassen. Derart schutzlos dem Feuer ausgesetzt, wurden sie heiß und weich.

Die Zementplatten der Fußböden brachen nach unten durch. Der Dominoeffekt der immer weiter durchfallenden Platten destabilisierte die Stahlpfeiler bis über den kritischen Punkt hinaus. Sie knickten ein, und das Gewicht der obersten Gebäudeteile drückte die Türme in sich zusammen.

Total zertrümmert wurden die beiden Türme, zwei weitere der insgesamt sieben Gebäude des WTC und das Marriot-Hotel. 13 Häuser sind schwer beschädigt worden. Wären die Flugzeuge tiefer eingeschlagen, hätten die oberen Teile sehr wahrscheinlich viel mehr Häuser und Menschen unter sich begraben, da sie seitlich weggeknickt wären.

Ungenügender Brandschutz war für das schnelle Zusammenbrechen der Türme mitverantwortlich. Während man in den USA auf Wasser als Brandschutz vertraut, setzt man in Deutschland auf gebauten Brandschutz, der schon da ist, wenn das Feuer kommt. Doch das kostet Geld und lässt die Gebäude weniger filigran aussehen. Denn dicke Ummantelungen machen die Träger nicht dünner.

Dinosaurier oder Vision?

Das WTC war Vorbild für Hunderte von Hochhäusern, obwohl die Träume der Architekten sich nicht erfüllt hatten: Das teure Pflaster der Plaza blieb funktionslos, denn die 50 000 Beschäftigten glitten lieber über zehn Rolltreppen direkt in die U-Bahn, anstatt sich nach Feierabend davor zu tummeln. Während die einen die Türme als Vermählung von Zweck und Schönheit priesen, sprachen andere vom letzten Dinosaurier der Architektur. "Die Türme bleiben ein Anlass zur Trauer," sagte der Architekturkritiker Paul Goldberger nach ihrer Fertigstellung. "Sie hätten nie gebaut werden dürfen."

Ob sich diese Ansicht nach der Katastrophe mehr Gehör verschaffen wird, erscheint fraglich. Denn Investoren und Städteplaner scheinen den Platzbedarf der wuchernden Megastädte wie Sao Paulo, Hongkong oder Schanghai nicht anders als mit immer höheren Türmen beantworten zu können.

Kastentext: Daten zum World Trade Center

  • Auftraggeber: David Rockefeller
  • Planer und Architekten: Minoru Yamasaki (Japaner) und Emery Roth u. Sons
  • Beide Türme zusammen: 198 oder 208 Aufzüge (unterschiedliche Angaben) 817 520 m² Nutzfläche 43 600 Fenster mit einer Gesamtfläche von 182 880 m² 1,25 Millionen Tonnen Gewicht
  • Täglich kamen 80 000 bis 90 000 Besucher
  • 430 Unternehmen hatten Räume gemietet
  • Im April 2001 wurde das Gebäude für 7 Mrd. DM (3,2 Mrd. Dollar) von der Hafenbehörde von New York und New Jersey in private Hände verkauft. Die Immobilienfirma Westfield America und der Manager Larry A. Silverstein leasten den Komplex für 99 Jahre.
  • 1993 war auf einen Turm ein Bombenanschlag mit 540 kg Sprengstoff verübt worden. Sechs Menschen starben, 1000 wurden verletzt.

Kastentext: Auf dem Weg zum autoritären Staat

Peter Marcuse, Professor für Stadtplanung an der Columbia-Universität in New York, sieht negative Folgen des Anschlags vom 11. September voraus:

"New York steht vor einem großen Problem. Ein WTC in seiner alten Größe - niemand würde die hohe Miete zahlen oder das Risiko, das jetzt empfunden wird, eingehen wollen. Ein aktuelles Beispiel ist der Sears Tower in Chicago, das höchste Gebäude in den USA. Die Verwaltung lässt die Angestellten und Arbeiter seit den Anschlägen ihr Mittagessen nicht mit nach oben nehmen, Taxis dürfen vor dem Gebäude weder warten noch parken und so weiter."

"Ich glaube, dass die Sicherheitsmaßnahmen bei jeder öffentlichen und kritischen Versammlung zunehmen werden, was die Organisation von Massendemonstrationen erschweren wird."

"Auf der formalen Ebene von Institutionen und Gesetzen sowie der Verfassung ist die Einrichtung einer direkt autoritären Regierung in den USA nicht durchsetzbar. Was aber erreicht werden kann - und damit wäre der Begriff "Faschisierung" zutreffend -, ist die Herstellung des autoritären Staates mit formal demokratischen Mitteln. Gedankenkontrolle in den USA würde nicht mittels Massenverhaftungen oder Gewalt gegen kritisch sich äußernde Menschen ausgeübt werden, sondern zum Beispiel durch homogenisierte Medien und eine homogenisierte politische Führung. Ich denke, man kann alles erhalten, was man von einer autoritären Regierung zu befürchten hätte, ohne eine solche formal zu haben. Soziale Kontrolle wird heutzutage viel subtiler ausgeübt als unter dem Faschismus, aber oft mit denselben Auswirkungen."

Quelle: Telepolis - Magazin der Netzkultur

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