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6. Tag der Epilepsie: Epilepsie geht jeden an

BERLIN (ks). Etwa fünf Prozent aller Menschen hatten bereits einmal in ihrem Leben einen epileptischen Anfall. In Deutschland sind rund 500 000 Menschen an Epilepsie erkrankt - darunter 200 000 Kinder. Damit ist die Epilepsie die häufigste neurologische Krankheit. Die Behandlungsmöglichkeiten sind jedoch gut und ermöglichen den Betroffenen in der Regel ein normales Leben. Dennoch ranken noch viele Vorurteile um die Krankheit, an der einst schon Caesar und Sokrates litten. Eine umfassende Aufklärung ist daher Ziel der Initiative "Tag der Epilepsie". Dieser Aktionstag findet in Deutschland seit 1996 an jedem 5. Oktober unter der Schirmherrschaft der früheren Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth statt.

Epilepsie hat viele Gesichter

Von Epilepsie spricht man, wenn eine Person wiederholt epileptische Anfälle erlebt. Diese Anfälle entstehen durch kurzschlussartige elektrische Funktionsstörungen im Gehirn. Normalerweise arbeitet das Gehirn wie ein komplexes, vielstimmiges Symphonieorchester, in dem Milliarden von miteinander kommunizierenden Hirnzellen ein fein gewobenes Erregungsmuster erzeugen, das die biologische Grundlage von Wahrnehmen, Fühlen, Erinnern, Denken und Handeln darstellt. Geraten hierbei Zellen aus dem Gleichtakt und reißen diese dann noch benachbarte Zellen mit in ihren abnormen Bewegungsablauf, entsteht ein epileptischer Anfall. So erklärt es Dr. Stefan Stodieck vom Epilepsiezentrum Hamburg.

Jede Krankheit, die das Gehirn betrifft, kann also Epilepsien hervorrufen. Vielfach ist die Ursache der Erkrankung jedoch unklar. Soweit kleine Kinder unter Epilepsien leiden, geht man von einer angeborenen Veranlagung aus. Auch die Anfälle selbst können sehr unterschiedlich verlaufen. Sie reichen von kurzen sensorischen oder psychischen Empfindungen bis zu schweren Krampfanfällen mit Sturz und Bewusstlosigkeit, dem "Grand Mal". Insgesamt unterscheidet man mehr als 30 Arten epileptischer Anfälle. Die Dauer eines Anfalls kann zwischen drei Sekunden und drei Minuten liegen.

Epileptiker müssen noch immer mit Vorurteilen leben

Die richtige Therapie ermöglicht mittlerweile 60 bis 80 Prozent der Betroffenen ein anfallfreies Leben - vorausgesetzt sie konsultieren rechtzeitig einen kundigen Facharzt. Dennoch wird Epilepsie oft verschwiegen. Unwissenheit und Vorurteile sind nach wie vor weit verbreitet. Noch immer denken viele Menschen, es handle sich um eine Geisteskrankheit. Die psychosozialen Folgen der Erkrankung sind daher für viele Betroffene härter als die körperliche Beeinträchtigung. So lautete das Motto des diesjährigen Tages der Epilepsie "Was kann ich tun".

Nicht nur der Patient selbst muss sich mit seiner Krankheit auseinandersetzen - auch die übrige Bevölkerung soll aufgeklärt werden, damit Vorurteile weichen und im Falle eines Falles richtig reagiert werden kann. Epilepsie-Experten wünschen sich daher, dass über Epilepsie genauso selbstverständlich gesprochen wird wie über Diabetes oder Asthma. Prof. Dr. Meenke vom Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg hofft bislang vergeblich, dass sich einer seiner prominenten Patienten als Epileptiker outet.

Vielfältige Therapiemöglichkeiten

Dank moderner Therapieformen können die meisten Betroffenen mit ihrer Krankheit gut leben. Neben verhaltensmedizinischen Methoden wie z. B. dem Bio-Feedback-Training und der Selbstkontrolltherapie stehen für Epileptiker wirksame Arzneimittel zur Verfügung. Auch chirurgische Maßnahmen wurden in den vergangenen Jahren erfolgversprechend weiterentwickelt. Welche Art der Behandlung für einen Patienten die richtige ist, hängt von vielen individuellen Bedingungen und der Ursache der Epilepsie ab. Durch genaue Beobachtung kann man den Auslöser eines Anfalls in vielen Fällen eingrenzen. Wer weiß, welche typischen Situation einen Anfall begünstigen, kann Vermeidungsstrategien erlernen. Manche Patienten spüren den Beginn eines epileptischen Anfalls (Aura) und können selbst gegensteuern.

Arzneimittel bieten guten Schutz

In der medikamentösen Therapie stehen heute zahlreiche Wirkstoffe aus unterschiedlichen Substanzklassen zur Verfügung. Entscheidend ist, dass die Substanz sorgfältig und am jeweiligen Syndrom orientiert ausgewählt und ausreichend hoch dosiert wird. Ziel der Therapie ist die Anfallsfreiheit und die Behebung psychischer und sozialer Folgen der Erkrankung. Je nach Syndrom werden zwischen 30 Prozent (multifokale Epilepsien) und 90 Prozent (generalisierte idiopathische Epilepsien) der Patienten durch Arzneimittel anfallsfrei. So ist beispielsweise Valproat (Ergenyl®) bei generalisierten Epilepsien wirksam. 20 Prozent der Patienten gelten jedoch als pharmakoresistent. Es besteht daher auch weiterhin Bedarf an der Entwicklung neuer Medikamente.

Chirurgische Eingriffe sind möglich und sinnvoll, wenn eine Epilepsie von einer umschriebenen Region des Gehirns ausgeht (Herdepilepsie) und die Anfälle sozial nicht tolerabel sind. Durch aufwändige Untersuchungsverfahren versucht man den Herd ausfindig zu machen. Gelingt dies, wird die Region vom Neurochirurgen operativ entfernt.

Aufklärung durch Schulungen für Patienten und Angehörige

Für Epilepsiekranke und ihre Angehörigen wurde von einer unabhängigen deutschsprachigen Expertengruppe das Modulare Schulungsprogramm Epilepsie (MOSES) entwickelt. Die MOSES-Schulungen haben zum Ziel, Informationsdefizite und Fehlinformationen abzubauen und das Verständnis für die Krankheit und deren Auswirkungen zu verstärken. Die Eigeninitiative der Betroffenen und ihre Fähigkeiten zur aktiven Krankheitsbewältigung sollen gestärkt werden. Die Programme werden mittlerweile in vielen auf Epilepsie spezialisierten Kliniken und Praxen eingesetzt. Finanziell unterstützt wird das ambitionierte Unternehmen von der Berliner Firma Sanofi-Synthelabo.

Epilepsie-Aufklärung für Kinder

Der Tag der Epilepsie setzt sich auch für eine verstärkte Aufklärung bei Kindern ein. Gerd Heinen, Diplom-Psychologe im Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, hat bereits 1996 in Zusammenarbeit mit der Deutschen Epilepsievereinigung das Kinderbuch "Bei Tim wird alles anders" entwickelt. Es handelt von einem an Epilepsie erkrankten Jungen, der seine ersten Anfälle bekommt und mit den Reaktionen seines Umfeldes klar kommen muss. Zu diesem Buch wurden nun auch Arbeitsblätter für Schüler entwickelt. Durch eine Bearbeitung des Themas Epilepsie im Unterricht soll bei Kindern Verständnis für die Krankheit geweckt werden. Die Firma Sanofi-Synthelabo stellt 1000 Exemplare dieser Unterrichtssätze für Schulen zur Verfügung.

Was tun, wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls wird?

Doch was können nun Außenstehende unternehmen, wenn sie Zeuge eines epileptischen Anfalls werden? Die wichtigste Regel heißt: Ruhe bewahren! Weder Arzt noch Laie können im Moment des Anfalls helfen. Der Anfall endet nach kurzer Zeit von alleine. Handelt es sich um einen "Grand Mal", also einen schweren Anfall, gilt es in erster Linie, Verletzungen zu vermeiden. Scharfkantige Gegenstände oder Brillen sind zu entfernen, gegebenenfalls sollte etwas unter den Kopf des Patienten gelegt werden, eine Hand kann reichen. Auf keinen Fall sollte man versuchen, den Kiefer zu öffnen und Gegenstände zwischen die Zähne zu schieben. Nach dem Anfall ist es angebracht, beim Anfallkranken zu verweilen, bis dieser sich wieder orientiert hat. Es kann hilfreich sein, ihn in die stabile Seitenlage zu drehen und beengende Kleidungsstücke zu lockern.

Ein Arzt muss nur dann gerufen werden, wenn der Helfende gänzlich unsicher im Umgang mit Menschen ist, schwere Verletzungen zu befürchten sind, die Verkrampfung länger als fünf Minuten dauert oder ein großer Anfall innerhalb einer Stunde ein weiteres Mal auftritt. Das gleiche gilt, wenn es sich um den ersten Anfall handelt oder unklar ist, ob es sich um einen Anfall im Rahmen der Epilepsie handelt oder ob eine akute Hirnerkrankung aufgetreten ist.

Nähere Informationen und Kontaktadressen sind im Internet unter www.tag-der-epilepsie.de oder www.epilepsiezentrum-berlin-brandenburg.de zu finden.

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