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Emnid-Umfrage: Versicherte wollen grund legende Gesundheitsreform

BERLIN (ks). An der richtigen Gesundheitspolitik scheiden sich die Geister. So unterschiedlich die Interessen sämtlicher Beteiligter des Gesundheitswesens auch sein mögen: eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten fordern letztlich alle. Doch was erwarten die Patienten? Und wie steht es um ihr Vertrauen in die deutsche Gesundheitspolitik? Um ein repräsentatives Meinungsbild zu erhalten, führte das Bielefelder Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA) mit 1876 erwachsenen Personen Telefoninterviews durch. Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des VFA, stellte die Ergebnisse vergangene Woche in Berlin vor.

Immerhin: 62 Prozent der gesetzlich Versicherten stimmen der Auffassung zu, dass das deutsche Gesundheitssystem alles in allem zukunftsfähig ist. 59 Prozent meinen, der Zugang zum medizinisch-technischen Fortschritt ist gesichert. Dennoch sind gut zwei Drittel davon überzeugt, dass es in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin gibt. Unter denjenigen, denen in diesem Jahr bereits die Verordnung von Arzneimitteln verweigert worden ist, sind gar 80 Prozent dieser Ansicht.

Gründe und Folgen der Arzneimittelablehnung

Jeder Fünfte ist in diesem Jahr entweder persönlich von Arzneimittelablehnungen durch den behandelnden Arzt betroffen gewesen oder kennt jemanden, dem dies widerfahren ist. Emnid hat berechnet, dass somit bei rund 3,3 Millionen gesetzlich Versicherten ab 18 Jahren Arzneimittelverordnungen abgelehnt worden sind. Rund 78 Prozent der Betroffenen gaben an, Kostengründe haben die Ablehnung bedingt. So war das Arzneimittel zu teuer, die Kasse erstattete es nicht mehr oder das Budget war bereits überlastet. 40 Prozent der Betroffenen erhielten im Falle der Ablehnung ein anderes Arzneimittel. Bei gut der Hälfte wurde das Medikament ohne Alternative abgelehnt. Die Frage, ob sie durch die Ablehnung gesundheitliche Nachteile erlitten hätten, bejahten 44 Prozent der Versicherten. Im Vergleich zum Vorjahr hatten 80 Prozent der Personen, die dieses Jahr beim Arzt waren, den Eindruck, im Hinblick auf die gewährten Verordnungen habe sich nichts verändert. 14 Prozent der gesetzlich Versicherten empfanden es als schwieriger, die erforderlichen Medikamente zu bekommen. Nur drei Prozent sagten, sie hätten die Mittel leichter als im vergangenen Jahr erhalten. Von denjenigen, die in diesem Jahr von einer Ablehnung betroffen waren, äußerten 40 Prozent, dass die Situation schwieriger geworden sei.

Wenig Vertrauen in die politisch Verantwortlichen

Interessant ist auch die Einstellung der Versicherten zu den politisch Verantwortlichen: Die gesetzlich Versicherten denken zu 54 Prozent, dass sich die Regierung der Probleme im Gesundheitswesen bewusst ist. Eine Lösung aus dem Hause Schmidt versprechen sich allerdings nur 40 Prozent. Noch geringer ist das Vertrauen, dass die Opposition ein besseres Engagement an den Tag legen würde, wäre sie in der Regierungsposition: dieser Meinung sind lediglich 31 Prozent. Das Bild verschiebt sich, wenn man die von Arzneimittelablehnungen betroffenen Personen genauer betrachtet: Hier denkt nur rund ein Drittel, dass die derzeitige Regierung die Probleme erkennt. Wirksame Rezepte gegen die Missstände verspricht man sich weder von der Regierung noch von der Opposition, lediglich ein Drittel vertraut jeweils der einen oder anderen Seite. Einigkeit besteht insoweit, dass 90 Prozent aller Befragten eine grundlegende Gesundheitsreform noch vor den nächsten Bundestagswahlen erwarten.

Versicherte wollen Leistungspaket selbst gestalten

Was soll nun zur Verbesserung des Systems unternommen werden? Wie sind die Finanznöte der Krankenkassen in den Griff zu bekommen? 74 Prozent der gesetzlich Versicherten stimmen der Auffassung zu, dass sich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf die wesentlichen und absolut notwendigen Leistungen konzentrieren soll. 77 Prozent wären auch bereit, sich ihr Leistungspaket selbst zusammenzustellen. Versicherungsfremde Leistungen, die mit Krankheiten nichts zu tun haben, wollen 79 Prozent aus der GKV herausgenommen sehen, damit das Geld für die Behandlung von Krankheiten zur Verfügung steht. 69 Prozent sprechen sich für mehr Wettbewerb zwischen den Kassen aus. Höhere Zuzahlungen halten nur 25 Prozent für ein geeignetes Mittel zur Kostensenkung - im Vergleich zum vergangenen Jahr ist dies eine Steigerung: damals konnten sich nur zehn Prozent für diese Idee erwärmen. Bei den privat Versicherten wären hingegen 36 Prozent bereit, für Arzneimittel tiefer in die eigene Tasche zu greifen. Die Erhöhung der Kassenbeiträge zur Linderung der Finanznot findet erwartungsgemäß am wenigsten Zuspruch bei den Versicherten: 14 Prozent der gesetzlich und 21 Prozent der privat Versicherten hätten hierfür Verständnis.

Einsparungen bei Innovationen unerwünscht

Ein klares Bild zeigt sich auch bei der Frage, ob der Kostendruck der GKV durch Einsparungen bei innovativen Arzneimitteln gedämpft werden könnte. 82 Prozent wollen die Versorgung mit modernen und innovativen Medikamenten nicht aus Kostengründen gefährdet wissen. Insgesamt halten 87 Prozent der Befragten Innovationen für die Behandlung chronischer und schwerer Krankheiten für unverzichtbar - und dies unabhängig von Versichertenstatus, Gesundheitszustand und Parteienpräferenz. Im Gegenzug besteht auch eine hohe Bereitschaft, die Kosten für Arzneimittel gegen geringfügige Krankheiten selbst zu tragen. 85 Prozent der Befragten hätten kein Problem damit, rezeptfreie Medikamente, Naturheilmittel und Präparate für Erkrankungen, die hinsichtlich Dauer und Beschwerden geringfügig sind, selbst zu zahlen.

Budgetabschaffung wird begrüßt

Die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums die Arzneimittelbudgets abzuschaffen halten fast zwei Drittel der Versicherten für richtig - auch ein Großteil der Anhänger der Oppositionsparteien begrüßen diese Maßnahme im Nachhinein (CDU/CSU: 68 Prozent, FDP: 70 Prozent). Auch die hiermit eingeführten regionalen Zielvereinbarungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen stufen die Befragten positiv ein (nach Erläuterung dieser Regelung). Rund drei Viertel der Versicherten sehen in den Vereinbarungen eine bessere Möglichkeit der Ärzte, für die jeweilige Krankheit die bestmögliche Therapie verschreiben zu können. 59 Prozent erwarten sogar eine Verbesserung der Versorgung. Allerdings fürchten auch 32 Prozent, dass auf diese Weise die Verordnung innovativer Arzneimittel beschränkt werden könnte. Der geplanten Bonusregelung für Ärzte, die eintreten soll, wenn sie die Ziele erfüllen, stehen die Befragten skeptisch gegenüber. Hierdurch sehen rund zwei Drittel eine angemessene Arzneimittelversorgung gefährdet. Von denjenigen, die in diesem Jahr schon von einer Arzneimittelablehnung betroffen waren, sind sogar 77 Prozent dieser Auffassung. Fazit: Die Bevölkerung erwartet von den politisch Verantwortlichen schnelle Reformen. Ein Großteil ist bereit, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Einschränkungen in der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln wollen die gesetzlich Versicherten jedoch nicht hinnehmen.

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