Pharmazeutisches Recht

Hessen: Arzneimittelzwischenfälle

Informationswege und Maßnahmen bei Arzneimittelzwischenfällen (StAnz. Hessen S. 3392 vom 17. September 2001)

1. Allgemeines

Durch Arzneimittelzwischenfälle können Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und die öffentliche Sicherheit und Ordnung entstehen. Bei unvorhergesehenen Vorkommnissen mit Arzneimitteln müssen die notwendigen Maßnahmen eingeleitet und erforderlichenfalls auch landesübergreifend koordiniert werden.

Die nachstehenden Regelungen für das Verhalten bei Bekanntwerden von Arzneimittelzwischenfällen wenden sich an Behörden, pharmazeutische Unternehmer (Stufenplanbeauftragte), Krankenhäuser, Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Heilpraktiker sowie andere Personen und Institutionen, die mit Arzneimitteln umgehen. Andere Vorschriften, insbesondere die Mitteilung von Arzneimittelrisiken gemäß den Berufsordnungen der Heilberufe sowie die Mitteilungspflicht gemäß Arzneimittelgesetz bleiben unberührt.

2. Arzneimittelrisiken

2.1 Als Arzneimittelrisiken kommen insbesondere in Betracht: Nebenwirkungen, Wechselwirkung mit anderen Mitteln, Gegenanzeigen, Resistenzbildung, Missbrauch, Fehlgebrauch, Gewöhnung, Abhängigkeit, Mängel der Qualität, Mängel der Behältnisse und äußeren Umhüllungen, Mängel der Kennzeichnung und Packungsbeilage, Arzneimittelfälschungen

2.2 Bei der Erfassung und Weiterleitung von Arzneimittelrisiken ist insbesondere die Bekanntmachung der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Beobachtung, Sammlung und Auswertung von Arzneimittelrisiken (Stufenplan) nach § 63 des Arzneimittelgesetzes (AMG) vom 10. Mai 1990 (BAnz. Nr. 91 vom 16. Mai 1990) zu beachten. Zuständige Behörde im Sinne der Ziffer 4.3 des Stufenplans ist das Hessische Sozialministerium (HSM).

3. Informationswege

3.1 Arzneimittelzwischenfälle, deren Folgen eine akute gesundheitliche Gefährdung der Allgemeinheit oder bestimmter Personen sein kann (zum Beispiel durch Verwechslung oder erhebliche Qualitätsminderung) oder bei denen besonderes öffentliches Interesse besteht, sind bei Bekanntwerden mit dem Stichwort "Dringend – Arzneimittelzwischenfall" unverzüglich telefonisch oder durch Telefax mitzuteilen: 3.1.1 der zuständigen Überwachungsbehörde Regierungspräsidium Darmstadt, Luisenplatz 2, 64278 Darmstadt, Telefon: (0 61 51) 12-0, Durchwahl: (0 61 51) 12-59 34, 12-57 97 Telefax: (0 61 51) 12-57 89 oder 3.1.2 während der Dienstzeit dem Hessischen Sozialministerium, Dostojewskistraße 4, 65187 Wiesbaden, Telefon: (06 11) 8 17-1, Durchwahl: (06 11) 8 17-38 51, 8 17-33 46 Telefax: (06 11) 8 17-38 50 E-Mail: m.binger@hsm.hessen.de außerhalb der Dienstzeit dem Lagezentrum im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (HMdIuS), Friedrich-Ebert-Allee 12, 65185 Wiesbaden, Telefon: (06 11) 3 53-21 50, Telefax: (06 11) 3 53-17 66, E-Mail: lz-hel@hmdi.hessen.de. Das Lagezentrum schaltet die dort benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hessischen Sozialministeriums zur weiteren Klärung und Veranlassung ein. Telefonische Mitteilungen sollten von der meldenden Person/Stelle umgehend schriftlich bestätigt werden.

3.2 Bei den Arzneimittelzwischenfällen, die durch Mängel der Qualität, der Behältnisse, der äußeren Umhüllung, der Kennzeichnung, der Packungsbeilage oder durch Verwechslungen verursacht sind und die keine unmittelbare Gefährdung im Sinne der Nummer 3.1 darstellen, sind entsprechende Mitteilungen während der Dienstzeit an das Regierungspräsidium Darmstadt (siehe Nummer 3.1.1) zu richten. Hierzu ist auch die Verpflichtung des Apothekenleiters zu rechnen, das Regierungspräsidium Darmstadt (siehe Nummer 3.1.1) bei Beanstandungen der Qualität von Arzneimitteln gemäß § 21 Nr. 3 der Apothekenbetriebsordnung unverzüglich zu benachrichtigen. Entsprechende Empfehlungen gelten auch für Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte.

3.3 Sofern Arzneimittelzwischenfälle nach den Nummern 3.1 oder 3.2 anderen Behörden bekannt werden, unterrichten diese unverzüglich eine der unter den Nummern 3.1.1 und 3.1.2 genannten Behörden. Auf den Runderlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz zur Berichtspflicht der Dienststellen vom 20. November 1996 (StAnz. S. 3922) weise ich in diesem Zusammenhang hin.

3.4 Die Mitteilungen nach den Nummern 3.1 und 3.2 sollen nach Möglichkeit folgende Mindestangaben enthalten: Bezeichnung des Arzneimittels, Darreichungsform und Stärke, Name oder Firma und Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers, Packungsgröße, Chargenbezeichnung, Verfalldatum, Zulassungs- bzw. Registriernummer, beobachtetes Arzneimittelrisiko, gegebenenfalls Maßnahmen, die ergriffen wurden bzw. beabsichtigt sind, meldende Stelle.

4. Maßnahmen

4.1 Die einzuleitenden Maßnahmen werden unter Beachtung der Nummer 6 von dem Regierungspräsidium Darmstadt im Falle der Nummer 3.1 im Einvernehmen mit dem Hessischen Sozialministerium veranlasst. Die Maßnahmen können entsprechend den jeweiligen Erfordernissen insbesondere eine abgestufte gezielte Information des anzusprechenden Personenkreises (zum Beispiel Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser, pharmazeutischer Großhandel) oder eine allgemeine Warnung an die Bevölkerung über Presse, Rundfunk und Fernsehen umfassen. Gegebenenfalls kann der Rückruf oder die Sicherstellung bestimmter Arzneimittel bzw. einzelner Chargen erforderlich werden. Im Bedarfsfall kann über das Lagezentrum (siehe Nummer 3.1.2) auch die Vollzugshilfe der Polizei sowie der Leitstellen für den Rettungsdienst, den Brandschutz und den Katastrophenschutz in Anspruch genommen werden.

4.2 Für die länderübergreifende Koordinierung von Maßnahmen bei Arzneimittelzwischenfällen ist das für den pharmazeutischen Unternehmer zuständige Land federführend. Sind mehrere Länder federführend betroffen, sollen die erforderlichen Maßnahmen einvernehmlich über die Zentrale Koordinierungsstelle der Länder festgelegt werden.

Erforderlichenfalls kann auch eine gutachterliche Stellungnahme bei der zuständigen Bundesoberbehörde angefordert werden. Über die beabsichtigten oder bereits veranlassten Maßnahmen werden die übrigen Obersten Landesgesundheitsbehörden und die zuständige Bundesbehörde unverzüglich informiert. Im Interesse eines einheitlichen Vollzuges orientieren sich die anderen Länder an diesen Maßnahmen.

4.3 Die Benachrichtigungen des Bundesministeriums für Gesundheit, des Bundesministeriums der Verteidigung und der zuständigen Bundesoberbehörde erfolgt grundsätzlich durch das Hessische Sozialministerium. Soweit in unaufschiebbaren Fällen diese Benachrichtigung unmittelbar erfolgen muss, ist das Ministerium hiervon zu unterrichten.

4.4 Besteht bei Arzneimittelzwischenfällen nach Nummer 3.1 der Verdacht, dass der Zulassungsstatus betroffen ist oder liegt eine staatliche Chargenfreigabe vor, ist zur weiteren Veranlassung unverzüglich die zuständige Bundesoberbehörde zu unterrichten. Gegebenenfalls unverzüglich erforderliche Maßnahmen nach § 69 AMG bleiben hiervon unberührt.

4.5 Untersuchungen und Begutachtungen, die im Zusammenhang mit in Hessen festgestellten Arzneimittelzwischenfällen erforderlich werden, sind durch die AMI Arzneimitteluntersuchungsinstitut-Nord GmbH, Emil-Sommer-Straße 7, 28329 Bremen, Telefon: (04 21) 43 61-0, Telefax: (04 21) 43 61-1 89 oder in Absprache mit dieser Einrichtung durchzuführen.

4.6 Das Regierungspräsidium Darmstadt hat bei pharmazeutischen Unternehmen darauf hinzuwirken, dass eigenverantwortlich veranlasste und durchgeführte Maßnahmen, insbesondere Rückrufe, rechtzeitig mit ihm abzustimmen sind. Es hat sich den Vollzug von Maßnahmen unverzüglich mitteilen zu lassen. Die angeordneten bzw. eigenverantwortlich erfolgten Maßnahmen sind von dem Regierungspräsidium Darmstadt auf unverzügliche und vollständige Umsetzung hin zu überprüfen. Dies gilt auch in Fällen, bei denen Maßnahmen federführend von einem anderen Bundesland veranlasst werden, wenn insoweit ein besonderes Interesse an der termingemäßen und vollständigen Umsetzung in Hessen gegeben ist.

5. Rapid Alert System (RAS)

5.1 Auf Qualitätsmängel, über die die zuständige Bundesoberbehörde die Obersten Landesgesundheitsbehörden im Rahmen des RAS der Europäischen Union bzw. der Pharmazeutischen Inspektions-Convention (PIC) informiert, finden die vorstehenden Regelungen entsprechende Anwendung.

5.2 Über Maßnahmen nach Nummer 9.4 des Stufenplanes informiert das Regierungspräsidium Darmstadt mit dem RAS-Formblatt (siehe Anlage) das Hessische Sozialministerium. Dieses unterrichtet die zuständige Bundesoberbehörde zur weiteren Veranlassung. In unaufschiebbaren Fällen kann das RAS-Formblatt auch unmittelbar der Bundesoberbehörde zugeleitet werden.

6. Zentral zugelassene Arzneimittel

6.1 Auf Arzneimittelzwischenfälle im Sinne der Nummern 3.1 und 3.2, die im Zusammenhang mit Arzneimitteln stehen, die von der Kommission zentral zugelassen wurden, findet Abschnitt 3 (Informationswege) Anwendung mit der Maßgabe einer unverzüglichen Unterrichtung der zuständigen Bundesoberbehörde. Diese unterrichtet die Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA).

6.2 Die Koordination von Maßnahmen erfolgt durch die EMEA. Deren Vorschläge für Maßnahmen werden über die zuständigen Bundesoberbehörden den Obersten Landesgesundheitsbehörden zugeleitet. In unaufschiebbaren Fällen können die Vorschläge auch unmittelbar dem Regierungspräsidium zugehen unter nachrichtlicher Information des Hessischen Sozialministeriums.

6.3 Ist eine Maßnahme zum Schutz der Gesundheit dringend erforderlich, kann das Inverkehrbringen von der Überwachungsbehörde im Einvernehmen mit dem Hessischen Sozialministerium und im Benehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde untersagt werden. Nummer 4.2 findet entsprechende Anwendung. Die zuständige Bundesoberbehörde unterrichtet die EMEA über die Maßnahme. In besonders dringenden Fällen kann die Einschaltung der Obersten Landesgesundheitsbehörden und der zuständigen Bundesoberbehörde auch nachträglich erfolgen. Dieser Erlass ergeht im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Er ersetzt den Erlass vom 19. Januar 1999 (StAnz. S. 793).

Wiesbaden, 27. August 2001 Hessisches Sozialministerium VIII/VIII 7 - 18 1 06 01- Gült.-Verz. 3543 -StAnz. 38/2001 S. 3392

Klasse 1: Der vorliegende Mangel ist potenziell lebensbedrohend oder könnte schwere Gesundheitsschäden verursachen.

Dazu zählen beispielsweise: –Falsches Produkt (Deklaration und Inhalt stimmen nicht überein) –Falsche Wirkstoffstärke mit schweren medizinischen Folgen –Mikrobielle Kontamination von injizierbaren oder ophathalmologischen Produkten –Chemische Kontamination mit schweren medizinischen Folgen –Untermischung anderer Produkte in erheblichem Ausmaß (> 1 Blister) –Falscher Wirkstoff in Kombinationsarzneimitteln mit schweren medizinischen Folgen

Klasse 2: Der vorliegende Mangel kann Krankheiten oder Fehlbehandlungen verursachen und fällt nicht unter Klasse 1. Dazu zählen beispielsweise: –Falsche Angaben Falscher oder fehlender Text oder Zahlenangaben Falsches oder fehlendes Verfalldatum –Falsche oder fehlende Information in der Produktinformation –Untermischung anderer Produkte innerhalb eines Blisterstreifens –Abweichung von den Spezifikationen (zum Beispiel analytische Abweichung/Haltbarkeit/Füllgewicht) –Unzureichender Verschluss mit schweren medizinischen Folgen (zum Beispiel bei Cytostatica, fehlende Kindersicherung)

Klasse 3: Der vorliegende Mangel stellt kein signifikantes Risiko für die Gesundheit dar (Rückruf nicht von der zuständigen Behörde gefordert). Der Rückruf erfolgte aus anderen Gründen als Klasse 1 und 2. Dazu zählen beispielsweise: –Fehlerhafte Verpackung –Falsche oder fehlende Chargenbezeichnung –Fehlerhafter Verschluss –Kontamination –Mikrobielle Verunreinigung jeder Art –Verschmutzung –Ausflockung –Einzelne vertauschte Tabletten

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