Arzneimittel und Therapie

Erster Vertreter der Ketolide: Telithromycin bei ambulant erworbenen

Mit dem Antibiotikum Telithromycin (Ketek®) steht ab Mitte Oktober der erste Vertreter aus der neuen Klasse der Ketolide nach der Zulassung im zentralen europäischen Verfahren zur Verfügung. Telithromycin wirkt gegen die häufigsten typischen und atypischen Erreger von Atemwegsinfektionen, einschließlich der gegen gängige Antibiotika resistenten Bakterien. Mit einer Dosierung von 800 mg einmal täglich über 5 Tage können die akute Sinusitis, Tonsillitis/Pharyngitis und die akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis zuverlässig geheilt werden, ohne dass zusätzliche Therapien nötig sind. Für die Tonsillitis/Pharyngitis kann Telithromycin bereits ab dem Lebensalter von 12 Jahren als Alternative zu Beta-Lactamantibiotika eingesetzt werden. Ambulant erworbene Pneumonien werden mit einer einmal täglichen Gabe von 800 mg über 7 bis 10 Tage behandelt. Eine Applikationsform für Kinder bei Otitis media befindet sich derzeit in Phase III der klinischen Entwicklung.

Heute gelten Makrolide neben Beta-Lactamantibiotika als verlässlicher Standard in der Therapie ambulant erworbener Atemwegsinfektionen. Allerdings nehmen Resistenzen gegen beide Antibiotikagruppen laufend zu, sodass Reserveantibiotika bei Infektionen mit grampositiven Erregern dringend benötigt werden.

Neue Antibiotikaklasse

Telithromycin ist der erste Vertreter einer neuen Antibiotikaklasse, der Ketolide. Im Vergleich zu den Makroliden weist Telithromycin zwei wesentliche strukturelle Unterschiede auf:

  • So steht in Position 3 des 14-gliedrigen Ringsystems der Makrolide eine Ketogruppe an Stelle der L-Cladinose, daher der Name Ketolide. Dadurch wirkt Telithromycin stärker gegen Erreger mit MLSB-Resistenz gegen Makrolide und Penicilline, und gleichzeitig wird die Induktion neuer Resistenzen verhindert. Auch hat die Verbindung durch diese Modifikation eine verbesserte Säurestabilität.
  • Eine Carbamat-Seitenkette in Position 11 und 12 sorgt dafür, dass die Affinität von Telithromycin zu seinen Bindungsstellen an den Erregerribosomen um den Faktor 10 verstärkt wird.

Weil Telithromycin im Unterschied zu den Makroliden und verwandten Substanzen an zwei Punkten angreift, nämlich der Domäne II und der Domäne V der 23S-ribosomalen RNA, verliert die Substanz auch bei einer eventuellen Resistenzentwicklung an einer der Bindungsstellen ihre antimikrobielle Wirksamkeit nicht.

Günstige Pharmakokinetik

Mit einer täglichen Dosis von 800 mg können maximale Plasmakonzentrationen von 2 mg/l nach 1 bis 3 Stunden erzielt werden. Die terminale Halbwertszeit ist mit 10 Stunden relativ lang, sodass eine einmal tägliche Gabe möglich ist.

Telithromycin reichert sich in den Geweben der Atemwege, z. B. in der Bronchialmukosa, im Gewebe der Gaumenmandeln und der Nasennebenhöhlen, also an den Orten der Infektion, wesentlich höher an als im Serum. In den Alveolar-Makrophagen, dem Lebensraum der intrazellulären Keime, wurden sogar bis zu 180-fach höhere Konzentrationen als im Plasma nachgewiesen. Die Substanz wird überwiegend hepatisch über das Cytochtom-P450-System durch die Isoform CYP3A4 metabolisiert und innerhalb von drei Tagen aus dem Körper eliminiert.

Erweitertes Erregerspektrum

Telithromycin hat ein breites Wirkspektrum und erfasst die häufigsten Erreger von Atemwegsinfektionen. Dazu gehören S. pneumoniae, H. influenzae und M. catarrhalis sowie die Penicillin G- und Erythromycin A-resistenten Erreger. Telithromycin erfasst wegen seiner günstigen Pharmakokinetik auch die schwer angreifbaren atypischen intrazellulären Erreger wie Legionellen, Chlamydien oder Mycoplasmen. In vitro induziert Telithromycin keine MLSB-Resistenz bei S. aureus, S. pneumoniae und S. pyogenes.

Klinisch gut wirksam

Insgesamt 10 Zulassungsstudien haben gezeigt, dass mit Telithromycin bei ambulant erworbener Pneumonie, akuter Sinusitis, Tonsillitis/Pharyngitis und akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis in einer Dosierung von 800 mg einmal täglich innerhalb von 5 bis 10 Tagen hohe bakteriologische und klinische Heilungsraten erzielt werden können.

In zahlreichen internationalen, multizentrischen randomisierten Doppelblind-Studien im Parallelgruppen-Design und einer offenen Studie wurde die klinische Effektivität von Telithromycin im Vergleich zu Standardantibiotika wie Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure, Clarithromycin, Trovafloxacin oder Cefuroxim bei ambulant erworbenen Atemwegserkrankungen Erwachsener untersucht. Verursacher der Infektionen waren typische und atypische Erreger von Atemwegserkrankungen einschließlich resistenter Keime gegen Beta-Lactamantibiotika und Makrolide. Die Patienten erhielten in allen Studien 5 oder 10 Tage lang 800 mg Telithromycin täglich (2 Tabletten zu 400 mg).

  • Bei Patienten mit ambulant erworbener, hauptsächlich durch S. pneumoniae, H. influenzae und M. catarrhalis ausgelöster Pneumonie zeigte Telithromycin einen den Referenzantibiotika vergleichbaren Heilerfolg von 94,6 Prozent. Darüber hinaus wirkte es auch gegen Penicillin- und Erythromycin-(Referenzsubstanz der Makrolide) resistente Keime.
  • Bei akuten Exazerbationen einer chronischen Bronchitis lagen die Heilungsraten unter der Therapie mit Telithromycin bei 89,2 Prozent. Damit war es gleich wirksam wie die Referenzsubstanzen Amoxicillin/Clavulansäure bzw. Cefuroxim. Als häufigste und gut eradizierte pathogene Keime wurden S. pneumoniae, H. influenzae und M. catarrhalis identifiziert.
  • Telithromycin bewies auch bei akuter Sinusitis seine Wirksamkeit. In einer Studie wurde bereits nach 5-tägiger Therapie mit 91,1 Prozent die gleiche Heilungsrate wie nach 10-tägiger Therapie erzielt. In der zweiten Studie zeigte Telithromycin über 5 Tage eine gleiche und über 10 Tage eine nahezu identische Wirksamkeit wie das Referenzantibiotikum. Dabei traten nach 5-tägiger Telithromycin-Behandlung nicht häufiger Rückfälle oder Reinfektionen auf als nach 10-tägiger. Die klinische Wirksamkeit war insgesamt auch bei schweren Infektionen gut.
  • Für die durch Streptococcus pyogenes verursachte Tonsillitis/Pharyngitis konnte gezeigt werden, dass 800 mg Telithromycin täglich über 5 Tage die gleiche klinische Wirksamkeit entfaltet wie 10 Tage lang 500 mg Penicillin dreimal täglich. Die Eradikationsrate für Streptococcus pyogenes war mit mehr als 94 Prozent in beiden Behandlungsgruppen nahezu identisch.

Gut verträglich

In allen klinischen Studien erwies sich Telithromycin als ebenso gut verträglich wie das jeweilige Vergleichsantibiotikum. Als hauptsächliche Nebenwirkungen traten leichte gastrointestinale Beschwerden wie Diarrhö, Übelkeit und Bauchschmerzen auf.

Die bei anderen modernen Antibiotika teilweise beobachteten zentralnervösen Störungen kamen unter der Behandlung mit Telithromycin nicht vor. Allergien sind im Einzelfall nicht auszuschließen, waren jedoch in den klinischen Phase-III-Studien nur sehr selten zu beobachten.

Interaktionen sind möglich

Bei gleichzeitiger Gabe mit Theophyllin, Warfarin, Kontrazeptiva, Ranitidin und aluminium-/magnesiumhaltigen Antazida kam es nicht zu Arzneimittelinteraktionen bzw. Serumspiegelveränderungen.

Wegen eines gemeinsamen Metabolisationsweges über das CYP450-Enzymsystem können sich die Serumspiegel bei anderen Arzneimitteln, die über das Isoenzym CYP3A4 metabolisiert werden, erhöhen. Dazu gehören Mutterkornalkaloide, Pimozid, Terfenadin, Statine und Midazolam.

Kastentext: Ambulant erworbene Pneumonien

Die ambulant erworbene Pneumonie ist die häufigste Krankheit weltweit. In den USA gilt sie als die sechsthäufigste Todesursache landesweit. Das Mortalitätsrisiko ist dabei für Patienten, die im ambulanten Bereich therapiert werden können, gering (< 1%), unter den stationär aufgenommenen Patienten mit > 10% jedoch hoch. Besonders gefährdet sind immunkompromittierte und ältere Menschen. Für Deutschland muss mit etwa 300 000 stationär behandelten Pneumonien-Patienten gerechnet werden.

Das Hauptproblem der Behandlung dieser Pneumonieform sind Antibiotikaresistenzen gegen die wichtigsten Erreger. Vor allem die steigende Zahl an Penicillin G-resistenten Pneumokokken beunruhigt, zumal bei Vorliegen einer Penicillinresistenz meist auch eine Erythromycinresistenz besteht und Cephalosporine auch häufig nicht mehr einsetzbar sind. Obwohl diese Erreger bisher überwiegend in Südeuropa (Spanien, Ungarn), Südafrika und Teilen der USA beobachtet wurden, steigen auch die Resistenzzahlen in Deutschland langsam an. Noch problematischer ist die Situation bei klassischen Pneumonieerregern, wie Hämophilus influenza und Moraxella catarrhalis. Hier zeigen sich – mit regionalen Unterschieden – Resistenzen von mehr als 10% gegen Ampicillin und Chinolone.

Kastentext: Ketolide

Die Grundstruktur der Ketolide ähnelt der der Makrolide. Allerdings wurde im gruppentypischen Lactonring an Position 3 eine Ketogruppe substituiert – dies führte auch zum Namen Ketolid. Die veränderte Molekülstruktur der Ketolide führt dazu, dass eine zweifache Bindung des Antibiotikums an ribosomale Strukturen von Bakterien möglich wird. Als Folge wird die Proteinbiosynthese gehemmt, und die Bakterien können sich nicht vermehren. Zusätzlich ist die Affinität von Ketoliden zum bakteriellen Ribosom zehnfach höher als bei Makroliden, die antibiotische Wirkung somit verstärkt.

Die meisten Resistenzen bei Makroliden sind dadurch bedingt, dass die Bakterien eine Bindungsstelle verändern und damit das Andocken des Antibiotikums verhindern. Durch die zweifache Bindung der Ketolide wird dieser Resistenzmechanismus umgangen. Auch die Induktion von Resistenzen bei wichtigen Erregern wie Pneumokokken und Staphylokokken ist dadurch unwahrscheinlich. Die Ketofunktion bedingt zudem eine hohe Säurestabilität der Substanz, sodass die Ketolide auch unabhängig von der Nahrungsaufnahme konstant gut resorbiert werden.

Das Wirkungsprinzip von Ketoliden ist primär bakteriostatisch. Bei einigen Erregern zeigt sich jedoch eine konzentrationsabhängige bakterizide Aktivität, beispielsweise gegen Pneumokokken, die häufigsten Erregern ambulant erworbener Atemwegsinfektionen. Ferner ist ein postantibiotischer Effekt nachweisbar. Dieser ist abhängig von der Art des Erregers und beträgt 2 bis 6 Stunden.

Die Tagesdosis von Telithromycin beträgt 800 mg. Mit dieser Dosis werden Plasmakonzentrationen erreicht, die zur Erfassung aller atemwegsbedeutenden Erreger notwendig sind. Dazu gehören neben Pneumokokken und atypischen Erregern (Legionellen, Mykoplasmen, Chlamydien) vor allem auch Keime wie Hämophilus, Moraxella und Staphylokokken.

Quelle: Prof. Dr. med. Wolfgang Petermann, Paderborn; Dr. Gerhard Klages, Bad Soden/T.; Prof. Dr. med. Fritz H. Kayser, Zürich; Priv.-Doz. Dr. med. Tobias Welte, Magdeburg; Einführungs-Fachpressekonferenz "Ketek – eine Klasse für sich", Berlin, 28. September 2001, veranstaltet von Aventis Pharma Deutschland.

Mit dem Antibiotikum Telithromycin (Ketek) steht ab Mitte Oktober der erste Vertreter aus der neuen Klasse der Ketolide nach der Zulassung im zentralen europäischen Verfahren zur Verfügung. Telithromycin wirkt gegen die häufigsten typischen und atypischen Erreger von Atemwegsinfektionen, einschließlich der gegen gängige Antibiotika resistenten Bakterien. Mit einer Dosierung von 800 mg einmal täglich über 5 Tage können die akute Sinusitis, Tonsillitis/Pharyngitis und die akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis geheilt werden, ohne dass zusätzliche Therapien nötig sind. Für die Tonsillitis/Pharyngitis kann Telithromycin bereits ab dem Lebensalter von 12 Jahren als Alternative zu Beta-Lactamantibiotika eingesetzt werden.

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