DAZ aktuell

Appell des BAH: Festbetragssystem angehen!

BONN (im). Pharmazeutische Hersteller fordern von der neuen Bundesgesundheitsministerin Korrekturen in Randbereichen des Gesundheitsbereichs noch in dieser Legislaturperiode. Ulla Schmidt (SPD) solle sich mit der umstrittenen Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel befassen, lautet ein Appell des Bundesfachverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH).

BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Mark Seidscheck sagte am 17. Januar vor Journalisten in Bonn, keinesfalls dürfe die neue Ministerin dies "aussitzen". Drängend sei das Problem der Festbetragsfestsetzung deswegen, weil nach wie vor die Krankenkassen selbst Wirtschaftlichkeitsreserven willkürlich definierten und das Verfahren völlig intransparent sei. Voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2001 werde das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage entscheiden. Das Urteil wird nach Einschätzung von Seidscheck das geplante Festbetrags-Neuordnungsgesetz beeinflussen.

Mehr als eine Milliarde Einsparung?

Der Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) von Mitte 1999 sieht unter anderem vor, die Festbetragsgruppen als auch die Erstattungshöchstgrenzen durch Rechtsverordnung des BMG und nicht durch den Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen festzulegen. Ungeachtet der juristischen Auseinandersetzungen hatten die gesetzlichen Krankenkassen jedoch mit neuen Festbetragsrunden weiter gemacht und zuletzt die Absenkung für fast zwei Drittel der Gruppen vorgeschlagen (siehe DAZ Nr. 50 vom 14. 12.). Würde dies wie geplant zum ersten April in Kraft treten, würden geschätzt weitere 1,2 Milliarden Mark bei Arzneimitteln eingespart.

Sorgen der Industrie

Der Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen steht auch wegen der von ihm formulierten Arzneimittel-Richtlinien (AMR) seit längerem in der Kritik. Zwar konnte die Neufassung der AMR von Januar 1999, die unter anderem Einschränkungen und weitere Ausschlüsse von Medikamenten aus der Erstattung vorsah, nie in Kraft treten, da sie per Gericht gestoppt wurden. Gleichwohl bestehe die Gefahr, dass das Gremium einfach neue AMR beschließe, die dann nicht mehr vor den Zivilgerichten angegriffen werden könnten, erklärte Dr. Hermann Kortland vom BAH. Hier könnte sich die in der Gesundheitsreform 2000 beschlossene "Rechtswegzuweisung" negativ auswirken, die seit Januar 2000 alle Streitigkeiten zu den AMR und zu den Festbeträgen ausschließlich den Sozialgerichten zuweise. Das sei insofern ungünstig, da die Zivilgerichte wie etwa Kartellgerichte viel fachkundiger als die Sozialgerichte seien. Letztere gewährten den Arzneimittel-Herstellern nur sehr restriktiv einstweiligen Rechtsschutz. Nach Worten von Kortland hat der Gesetzgeber die Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten ganz zielgerichtet auf Drängen der Krankenkassen eingeführt, um rechtliche Schritte der Firmen gegen AMR oder Festbeträge zurückzudrängen. Wie der BAH-Referent für Wirtschaft und Internationales weiter sagte, hat der Verband gemeinsam mit einer Mitgliedsfirma eine Kartellbeschwerde gegen die Arzneimittel-Richtlinien bei der Europäischen Kommission eingereicht.

Kein Freibrief für e-commerce

BAH-Hauptgeschäftsführer Seidscheck erwartete durch den Wechsel an der Spitze des Ministeriums keine grundlegenden Änderungen in der Gesundheitspolitik. So seien wichtige Beschlüsse wie die Positivliste nicht personenbezogen, sondern seinerzeit durch die rotgrüne Koalition beschlossen worden. Beim Thema Internetversandhandel mit Arzneimitteln riet er, zunächst sorgfältig zu prüfen, "ob" e-commerce mit Medikamenten überhaupt kommen solle und danach das "Wie".

Arzneimittelsicherheit sei nicht teilbar und Regeln, die für Europa möglicherweise kontrollierbar seien, seien weltweit obsolet. Gemeint ist hier, dass womöglich ein Versand aus den Niederlanden noch überwacht werden könnte, aber nicht mehr der aus Bangladesh oder Nepal. Wenn die Arzneisicherheit höchste Priorität habe, müsse es angesichts des weltweiten Netzes weltweite Regeln für die Bestellung von Arzneimitteln via Internet geben. Das ist nach Ansicht von Seidscheck fast unlösbar. Darüber hinaus müssten bereits im Vorfeld von Entscheidungen die Folgen für das jetzige System mit seinen Apotheken verdeutlicht werden. So müsse gefragt werden, ob dann die deutsche Arzneimittelpreisverordnung noch zu halten sei, die den Patienten zur Zeit vor Sonderpreisen bei Arzneimitteln schütze.

Seidscheck erinnerte in diesem Zusammenhang an die Ausführungen des Ärztevertreters auf dem Workshop von BMG und ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) Mitte Dezember in Bonn dazu (siehe DAZ 51/52 vom 21.12.). Dort hatte der Arzt Dr. Jürgen Bausch die Arzneiabgabe via Internet mit Supermärkten verglichen und in dem Szenario die Apotheke mit aussterbenden Tante-Emma-Läden. Das würde die Frage aufwerfen, wie zum Beispiel die Bevölkerung auf dem Land schnell und flächendeckend versorgt werden sollte, wobei Medizinern in dem Fall die Abgabe in ihren Praxen einfällt.

Unabhängig von der skeptischen Haltung zum e-commerce mit Medikamenten hob Seidscheck die große Bedeutung des Internet als Informationsmedium für Patienten hervor. Beides sei voneinander zu trennen.

Angriff auf Preisverordnung

Für den BAH-Hauptgeschäftsführer ist die Diskussion ein "Stellvertreterkrieg", mit dem vor allem die gesetzlichen Krankenkassen einen neuen Angriff auf die Arzneimittelpreisverordnung starten wollten. Sie glaubten nach wie vor an große Wirtschaftlichkeitsreserven beim etablierten Vertriebssystem.

Kastentext: Festbetragsfestsetzung

Die Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU Bundestagsfraktion in Berlin plant eine Kleine Anfrage, in der sie von der Bundesregierung wissen will, welche Kriterien beim Verfahren zur Festsetzung der Festbeträge die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung beachten müssen, damit das Verfahren für betroffene Unternehmen auch nachvollziehbar sei. Geprüft werden solle dies unter rechtsstaatlichen und Transparenz-Gesichtspunkten. Die Bundesregierung soll zum Beispiel Auskunft darüber geben, wie sie zum Vorwurf der Arzneimittelindustrie steht, dass die Krankenkassen die Kriterien zur Festsetzung nur nach fiskalischen Erwägungen beliebig interpretieren.

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