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Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Im Gesund

BERLIN (ks). Die gesundheitliche Über-, Unter- und Fehlversorgung in Deutschland ist Thema des dritten Bandes des Gutachtens "Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit", das der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen erarbeitet hat. Hierin präsentiert der Rat Konzept und Ergebnisse seiner Befragung von ca. 300 wissenschaftlichen Organisationen, Körperschaften, Verbänden und Selbsthilfeeinrichtungen des Gesundheitswesens. Das Resümee ist ernüchternd: das deutsche Gesundheitssystem leidet an massiven Mängeln.

Am 30. August hat der Sachverständigenrat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt den dritten Band seines Gutachtens vorgelegt. Anhand beispielhafter Krankheiten bzw. Krankheitsgruppen beschreibt der Rat die konkrete deutsche Versorgungssituation. Hierbei kam er zu der Feststellung, dass in vielen Bereichen eine Über-, Unter- und Fehlversorgung besteht. Ursächlich seien langfristig gewachsener Fehlsteuerungen des Systems.

Rat fordert "Nationales Herz-Kreislauf-Präventionsprogramm"

Die Versorgungsqualität bei ischämischen Herzerkrankungen wertet der Rat als unbefriedigend. Die koronare Herzerkrankung (KHK) ist mit ihren akuten und chronischen Folgen für rund 21 Prozent der Todesfälle in Deutschland verantwortlich. Sie ist die wichtigste Ursache der Herzinsuffizienz; die Behandlungskosten sind beträchtlich. Dennoch stellte der Sachverständigenrat eine erhebliche Unter- und Fehlversorgung bei der Primär- und Sekundärprävention fest. Der Rat fordert zur Verbesserung der Situation ein integratives Gesamtkonzept im Sinne eines "Nationalen Herz-Kreislauf-Präventionsprogramms". Die im internationalen Vergleich hohe Frühsterblichkeit in Deutschland an Koronarerkrankungen könnte durch verbesserte Aufklärung, eine Optimierung der ärztlichen Notdienste und der Rettungsdienste sowie durch die Einrichtung kompetenter stationärer Einheiten zur Versorgung von Patienten mit "Thoraxschmerz" erheblich gesenkt werden. Gleichzeitig konstatierte der Rat eine Überversorgung im Bereich der invasiven Diagnostik und Intervention. So werden etwa zu viele Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt.

Schlaganfälle: Aufklärung und Prävention stärken

Der Schlaganfall ist in Deutschland die dritthäufigste Todesursache (11,4 Prozent) und häufigster Grund für eine lebenslange Behinderung im Erwachsenenalter. Hier mangelt es nach den Feststellungen der Sachverständigen vor allem an fundierter Information und Unterstützung für die Bevölkerung. Gefordert werden auch gezielte Präventionsangebote für Hochdruckpatienten und eine kompetente Schlaganfallfrührehabilitation. Obgleich ein möglichst schneller Therapiebeginn nach dem Schlaganfall herausragend wichtig ist, werden nur 50 Prozent aller Patienten mit Verdachtsdiagnose innerhalb von sechs Stunden nach Symptombeginn in ein Krankenhaus aufgenommen.

Unzureichende Versorgung von Diabetikern

Auch um die Versorgung von Diabetikern ist es in Deutschland schlecht bestellt: Obwohl es in diesem Bereich seit über zehn Jahren rund 70 lokale und regionale Modellversuche gibt, die teilweise vielversprechende Ergebnisse aufweisen können, wurden diese bis heute nicht flächendeckend eingeführt. Die 1989 in der St. Vincent Deklaration international anerkannten Ziele einer zeitgemäßen Diabetikerversorgung wurden in Deutschland nicht erreicht. Nach wie vor kommt es allzu häufig zu Erblindungen, Nierenversagen oder Amputationen. Aus der Sicht des Rates spricht dies zumindest für eine "partiale Fehlsteuerung durch die zuständigen Verbände der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen".

"Graue" Mammographie-Screenings unterbinden

Ebenso sei die jahrelange Duldung der sogenannten "grauen" paravertraglichen und nicht-qualitätsgesicherten Mammographie-Früherkennungsuntersuchungen auf ein Steuerungsversagen der Selbstverwaltung zurückzuführen. Schon 1994 diagnostizierte die "Deutsche Mammographie-Studie" schwere Qualitätsmängel und schlug gangbare Lösungswege vor. Verbesserte Modellversuche in ausgewählten Kleinräumen sind jedoch mit erheblicher Verzögerung - nämlich erst in diesem Jahr - angelaufen.

Lungenerkrankungen: Rat verlangt "Nationale Anti-Tabak-Kampagne"

Für Patienten mit Asthma und anderen chronischen Lungenerkrankungen fehlen dem Sachverständigenrat zufolge flächendeckende Vereinbarungen zu notwendigen Patientenschulungen. Auch die Beratung von Eltern mit asthmakranken Kindern müsse verbessert werden. Bei der Pharmakotherapie des Asthma liegen nach Auffassung des Rates Hinweise darauf vor, dass z. B. eine Basistherapie mit inhalativen Kortikoidpräparaten zu selten durchgeführt wird. Andererseits bestehe auch eine Über- bzw. Fehlversorgung bei der Verordnung von Kortikoidpräparaten ohne Nachweis der individuellen Wirksamkeit, schleimlösenden Medikamenten oder kurzwirksamen Bronchodilatatoren. Zur Prävention der chronischen Bronchitis und ihrer Folgen sowie zur Vorbeugung von Lungenkrebs und Herzkreislauferkrankungen empfiehlt der Rat nachdrücklich eine "Nationale Anti-Tabak-Kampagne" nach dem Vorbild erfolgreicher Nachbarländer.

Rückenleiden: Primärprävention ausbauen

Auch Rückenleiden sind in Deutschland allgegenwärtig. Hier stellte der Rat eine deutliche Überversorgung mit nicht gerechtfertigten bildgebenden diagnostischen Verfahren und so genannten "Bandscheiben-Operationen" fest. Andererseits bestehe eine Unter- und Fehlversorgung was die Prävention betrifft. Für erfolgversprechend hält der Rat - neben regelmäßiger und rückengerechter sportlicher Betätigung - die in den letzten Jahren entwickelten Modelle betrieblicher Gesundheitsförderung.

Depressionen: psychiatrische Kompetenz von Hausärzten stärken

Depressionen sind inzwischen ein führender Grund für Arbeitsfehlzeiten und Krankenhausaufenthalte. Die Betroffenen leiden häufig unter der mangelnden Akzeptanz ihrer Krankheit in der Gesellschaft. Ihre Leiden bleiben daher oftmals verborgen. Der Rat wertet es als inakzeptablen Missstand, dass bei ca. einem Drittel der Patienten die Depression nicht erkannt werde und bei mehr als der Hälfte nicht konsequent und entsprechend wissenschaftlicher Empfehlungen behandelt wird. Besonders alarmierend sei die Situation in Alten- und Pflegeheimen. Der Rat fordert daher neben einer verbesserten Information über das Krankheitsbild eine Stärkung der psychiatrischen Kompetenz von Hausärzten und allen anderen Professionellen, die an der Versorgung depressiv Erkrankter beteiligt sind. Für Alten- und Pflegeheime empfehlen die Sachverständigen völlig neue Versorgungsformen durch qualifizierte Heimärzte oder Konsiliarärzte.

Zahnerkrankungen: Maßnahmen zur Zahnerhaltung verbessern

Bei den Zahnerkrankungen begrüßt der Rat die erreichten Verbesserungen in der Prävention bei Kindern und Jugendlichen. Grundsätzlich sei das Niveau der zahnärztlichen Versorgung in Deutschland hoch. Geboten seien jedoch Verbesserungen der Paradontologie und Zahnerhaltung. Hier mangelt es im Vergleich zu anderen Ländern an weiterqualifizierten Zahnärzten und entsprechendem Prophylaxe-Personal. Zudem kritisieren die Sachverständigen professionell gesteuerte Tendenzen zur Überversorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung: gerade in der Kieferorthopädie zählt das ästhetische Ideal oftmals mehr als das, was medizinisch erforderlich ist.

Die ausführliche Zusammenfassung und die Langfassung von Band III des Gutachtens 2000/ 2001 sowie die Stellungnahmen der befragten Organisationen sind im Internet unter www.svr-gesundheit.de abrufbar.

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