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Werbung für Generika: Bundesverfassungsgericht zeigt sich großzügig

BERLIN (ks). Das Bundesverfassungsgericht hat eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aufgehoben, mit welcher ein Generika-Hersteller vom Hersteller des Originalpräparats wegen wettbewerbswidriger Werbung auf Unterlassung verurteilt worden war. (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. August 2001, Az.: 1 BvR 1188/92)

Das im Ausgangverfahren verklagte Unternehmen warb in der "Ärzte-Zeitung" mit dem Schlagwort "Therapeutische Äquivalenz bewiesen" für ein Generikum zur Bekämpfung von Altersdiabetes. Darunter fand sich folgende Aussage: "Verlangen Sie diesen Beweis - fordern Sie die multizentrische Doppelblindstudie an Typ II-Diabetikern an". Von diesem Text wies ein Pfeil auf einen Gutschein hin, mit dem die Studie, in welcher das Nachfolgeprodukt dem Originalpräparat gegenübergestellt wurde, angefordert werden konnte.

Klägerin im Ausgangsverfahren ist die Herstellerin des Originalproduktes. Sie gehört zu den forschenden Arzneimittelherstellern und war bis 1983 Patentinhaberin für den Wirkstoff, der in dem streitgegenständlichen Mittel enthalten ist.

Vorangegangene wissenschaftliche Kontroverse

Der Werbeanzeige vorausgegangen war eine wissenschaftliche Kontroverse um die biologische und therapeutische Äquivalenz der beiden Produkte. In den Jahren 1985 und 1986 wurden Studien veröffentlicht, in welchen sich die biologische Äquivalenz als nicht gegeben erwies und die therapeutische Äquivalenz streitig blieb. Daraufhin gab der Generika-Hersteller abermals eine Studie in Auftrag, die ergab, dass die beiden Produkte therapeutisch äquivalent seien. Diese Studie war sodann Anlass für die beanstandete Werbung.

Hersteller des Originalpräparates obsiegte in Vorinstanzen

Die Klägerin hielt die Werbeaussagen des Generika-Herstellers für eine unzulässige anlehnende bezugnehmende Werbung, für die hinreichender Anlass bestanden habe. Die Werbung sei auch inhaltlich unzutreffend, weil bei fehlender Bioäquivalenz zwei Präparate nicht therapeutisch äquivalent sein könnten. Die Vorinstanzen gaben der Klägerin Recht.

Der BGH entschied im Revisionsverfahren, dass eine derart verkürzende Hervorhebung, wie in der beanstandeten Werbung geschehen, die Grenzen des Erforderlichen überschreite. Ein Verstoß gegen § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sei daher gegeben, zumal die Gleichwertigkeit der nicht völlig identischen Medikamente wissenschaftlich umstritten sei.

Verfassungsbeschwerde des Generika-Herstellers

Der werbende Generika-Hersteller erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht, da er sich in seinen Grundrechten verletzt sah. Das Bundesverfassungsgericht gab dem Pharmaunternehmer Recht: Durch das Urteil des BGH sei seine Meinungsfreiheit, Art. 5 GG, verletzt. Nun muss der BGH den Fall erneut prüfen.

Wettbewerbsrechtliche Normen können Meinungsfreiheit einschränken

Grundsätzlich kann das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden, Art. 5 Abs. 2 GG. Zu diesen allgemeinen Gesetzen gehört auch § 1 UWG, der sittenwidrige Handlungen zu Zwecken des Wettbewerbs für unzulässig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, auch eine anlehnende bezugnehmende Werbung sei nur dann nicht mehr durch die Meinungsfreiheit geschützt, wenn das Verhalten sittenwidrig ist und den Leistungswettbewerb gefährdet.

BGH verkennt Tragweite der Meinungsfreiheit

Bei der Auslegung und Anwendung des § 1 UWG hätten die Ausgangsgerichte jedoch Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt, so die höchsten deutschen Richter. Die eigenständige Feststellung einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs sei in den angegriffenen Urteilen nicht enthalten. Stattdessen haben sich die Gerichte allein auf die Fallgruppe der anlehnenden bezugnehmenden Werbung bezogen. Deren charakteristisches Merkmal besteht darin, dass der Werbende die von dem Konkurrenten erbrachte Leistung im Wege der Gleichstellung zum eigenen Vorteil ausnutzt.

Interessen des Generika-Hersteller nicht berücksichtigt

Bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit hätte sowohl das Interesse der Klägerin berücksichtigt werden müssen, vor der Ausbeutung des durch Leistung begründeten guten Rufes ihres Originalpräparats geschützt zu werden, als auch das Informationsanliegen des Generika-Herstellers, auf eine therapeutisch richtige und wirtschaftlich angemessene Behandlungsweise durch ein Generikum hinzuweisen. Zudem habe der BGH nicht geprüft, welche Bedeutung die Bereitstellung von Generika und die Werbung für diese Produkte für die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Arzneimittelmarktes haben.

Ärzte können Werbeaussagen kritisch würdigen

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Werbung in der "Ärzte-Zeitung" erschien, sich mithin an ein Fachpublikum wende. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, Ärzte seien damit vertraut, derartige Aussagen kritisch zu würdigen. Es sei daher höchst zweifelhaft, dass die Aussage den falschen Eindruck absoluter Gewissheit gegenüber dem angesprochenen Adressatenkreis hervorrufen könnte.

Forschende Arzneimittelhersteller bedauern Urteil

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) bedauert die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts. Hierdurch würden die Grenzen der Zulässigkeit von anlehnender bezugnehmender Werbung mit dem erkennbaren Ziel der Förderung des Generikawettbewerbs deutlich gelockert.

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