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Schmidt will obligatorischen Arzneimittelpass für alle

BERLIN (ks). Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt will schnellstmöglich den elektronischen Arzneimittelpass für alle Bürger einführen. Darüber sprach sie unter dem Eindruck des Lipobay-Skandals am 23. August mit Vertretern der Apotheker- und Ärzteschaft.

Auf einer elektronisch lesbaren Chipkarte sollen nach Möglichkeit alle Arzneimittel gespeichert werden, die ein Patient einnimmt. Hierdurch soll Ärzten und Apothekern ein lückenloser Überblick über die Arzneitherapie eines Patienten geboten und so das Nebenwirkungsrisiko gemindert werden. Das Gesundheitsministerium plant, die Chipkarte als Pflichtdokument einzuführen. will aber einzelnen Patienten zugestehen, sich von der Passpflicht befreien zu lassen. Sie trügen dann jedoch selbst die Verantwortung für mögliche Risiken bei der Arzneimitteleinnahme. Datenschutzrechtliche Bedenken weist Schmidt bislang zurück: Man könne die Daten so speichern, dass unbefugte Dritte keinen Zugang auf sie hätten. Die Verfügungsgewalt über den Pass müsse beim Patienten liegen. Zudem müsse sichergestellt werden, dass die Informationen nur auf der Karte selbst ablesbar sind und nicht in den Computern von Apothekern, Ärzten oder Krankenhäusern gespeichert werden.

Schmidt will zügige Einführung

Die konkrete rechtliche und technische Umsetzung des Passes soll nun von einer neu eingerichteten Arbeitsgruppe überprüft werden. Die Arbeitsgruppe soll auch weitere Schritte zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit ausarbeiten. Schmidt will die gesetzlichen Grundlagen für den Arzneimittelpass möglichst noch in der laufenden Legislaturperiode schaffen. Die ABDA hat eine solche Chipkarte als Arzneimittelpass bereits weitgehend entwickelt – nun hat dieses Projekt gute Chancen, realisiert zu werden.

Datenschützer gegen Pflichtdokument

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, sprach sich ausdrücklich gegen den Arzneimittelpass als Pflichtdokument aus. Er bezweifelt, dass die Daten vor dem Zugriff Dritter sicher sein werden. Die gespeicherten medizinischen Daten seien hochsensibel, da sich aus ihnen Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand eines Menschen schließen lassen. "Niemand kann ausschließen, dass die Informationen missbraucht werden" sagte Jacob der "Berliner Zeitung". Nicht ohne Grund habe bei der Einführung der Krankenkassen-Chipkarte der politische Konsens bestanden, dass dort Informationen über Diagnosen, Behandlungen oder verschriebene Medikamente nichts zu suchen haben. Der Datenschützer bot Schmidt jedoch seine Unterstützung an, soweit der Pass auf freiwilliger Basis eingeführt werden soll. Der Patient müsse in jedem Fall frei entscheiden können, welche Informationen auf der Karte gespeichert werden und wo sie zum Einsatz kommen.

Grüne fürchten Missbrauch der Daten

Die Grünen teilen die Bedenken Jacobs. Sie sehen durch den Pflichtpass existenzielle bürgerrechtliche Fragen berührt. Der innenpolitische Sprecher Cem Özdemir und die gesundheitspolitische Sprecherin Katrin Göring-Eckardt sind der Ansicht, dass insbesondere Arbeitgeber und Versicherungen an den gespeicherten Informationen aus wirtschaftlichen Interessen brennend interessiert sein werden. So könne der Pass dem Patienten im Ergebnis eher schaden als nutzen. Selbst bei der freiwilligen Speicherung der Daten haben die Grünen Bedenken: es müsse zuvor zweifelsfrei festgelegt werden, wer Zugriff auf die Daten hat. Eine öffentliche Diskussion über einen freiwilligen Pass solle jedoch geführt werden.

Bedenken auch in der SPD

Auch in den eigenen Reihen trifft Schmidts Vorstoß nicht nur auf Zustimmung. Die SPD-Gesundheitsexpertin Regina Schmidt-Zadel fordert, dass der Pass freiwillig bleiben müsse. Dem "Kölner Stadt-Anzeiger" sagte sie, dass Arbeitgeber auf keinen Fall Einblick in die Daten erhalten dürfen.

AOK und Ärzte für elektronisches Rezept

Die AOK lehnt den elektronischen Medikamentenpass in der Form eines Pflichtdokuments als "teuren Irrweg" entschieden ab. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Rolf Hoberg erklärte: "Ein Arzneimittelpass ist eine Sackgasse. Er führt weder zu mehr Arzneimittelsicherheit noch zu einer qualitativ besseren Arzneimitteltherapie, sondern verursacht nur milliardenschwere, nutzlose Mehrkosten." Statt dessen sprach sich Hoberg für das elektronische Rezept aus. Bei diesem könne die Verordnung des Arztes direkt auf einem entsprechend datengeschützten Gesundheitsserver hinterlegt werden. Per Pin-Nummer soll der Patient dann den Apotheker seiner Wahl zur Einsichtnahme in die Datenbank autorisieren. Auch die Bundesärztekammer favorisiert das elektronische Rezept. Dieser Weg sei sicherer und weitergehender als ein Arzneimittelpass, sagte die Vizepräsidentin der Ärztekammer Ursula Auerswald.

Sozialverband will weitergehende Speicherung von Daten

Dem Präsidenten des Sozialverbandes VdK, Walter Hirrlinger, geht der Arzneimittelpass hingegen nicht weit genug. Er fordert eine Patienten-Chipkarte oder einen Patientenpass auf dem nicht nur die verordneten Medikamente, sondern auch deren Wirkstoffe sowie weitere für die Diagnoseerstellung wichtige Informationen gespeichert werden: "Je umfangreicher die Daten über die Gesundheit und Behandlung des Patienten sind, desto leichter und schneller kann im Ernstfall geholfen werden".

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt will schnellstmöglich den elektronischen Arzneimittelpass für alle Bürger einführen. Darüber sprach sie unter dem Eindruck des Lipobay-Skandals am 23. August mit Vertretern der Apotheker- und Ärzteschaft. Auf einer elektronisch lesbaren Chipkarte sollen nach Möglichkeit alle Arzneimittel gespeichert werden, die ein Patient einnimmt. Hierdurch soll Ärzten und Apothekern ein lückenloser Überblick über die Arzneitherapie eines Patienten geboten und so das Nebenwirkungsrisiko gemindert werden.

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