Arzneimittel und Therapie

Stellungnahme der DPhG zur Marktrücknahme von Cerivastatin-Präparaten

"Am 8. August 2001 wurde der Cholesterinsenker Cerivastatin (Lipobay®) durch die Firma Bayer vom Markt genommen. Dies hat in der Fachöffentlichkeit und bei Patienten aus unterschiedlichen Gründen Erstaunen, Angst, Bestürzung und Verärgerung ausgelöst.

Der Grund für die Marktrücknahme war, dass es unter der Behandlung mit Lipobay in sehr seltenen Fällen - übrigens ähnlich wie bei anderen Stoffen dieser Substanzklasse - zu schwerwiegenden, z.T. tödlichen Nebenwirkungen an der Muskulatur (Rhabdomyolyse = Zerstörung der Muskulatur mit Schmerzen und Muskelschwäche) gekommen war. Sehr wahrscheinlich wird diese Nebenwirkung durch die gleichzeitige Einnahme des ebenfalls zur Senkung der Blutfette eingesetzten Wirkstoffs Gemfibrozil (z. B. Gevilon) vermehrt ausgelöst. In Japan, wo Gemfibrocil nicht im Handel ist, bleibt Lipobay dementsprechend weiterhin erhältlich.

Als Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) möchten wir an diesem konkreten Fall einige uns wichtige Punkte zu Arzneimitteln als einer Ware besonderer Art verdeutlichen.

1. Die Problematik der Wechselwirkungen zwischen Cerivastatin und Gemfibrozil war lange bekannt und in der Produktinformation sowohl für Fachkreise als auch für Patienten dokumentiert. Es handelt sich damit bei einer gleichzeitigen Verordnung der beiden inkompatiblen Wirkstoffe Cerivastatin und Gemfibrozil um einen Anwendungsfehler, der nicht dem Präparat bzw. dem Hersteller angelastet werden kann.

2. Die Verärgerung der Fachkreise darüber, dass sie zu spät informiert wurden, ist verständlich. Doch sei darauf hingewiesen, dass aufgrund der Vorgaben durch das Aktiengesetz die Firma Bayer zunächst die Investorenöffentlichkeit informieren musste und sich erst dann an die Fachöffentlichkeit wenden konnte. Als DPhG fordern wir hier daher eine Korrektur des Aktiengesetzes und ein Zurechtrücken der Prioritäten durch den Gesetzgeber im Sinne der Gesundheitsvorsorge.

3. Ohne die tragischen Konsequenzen dieser Arzneimittelinteraktion bzw. Arzneimittelnebenwirkungen mit derart fatalen Folgen für die Betroffenen verharmlosen oder bagatellisieren zu wollen, ist dennoch eine ausgewogene Bewertung des konkreten Falls geboten. Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass die amerikanische Arzneimittelbehörde, die Food and Drug Administration (FDA), beispielsweise dem zur Behandlung von Potenzschwäche eingesetzten Präparat Sildenafil (Viagra) die Zulassung nicht entzogen hat, obwohl alleine im Zeitraum von März bis November 1998 weit mehr als 100 Todesfälle unter anderem im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Anwendung von Sildenafil und so genannten Nitraten (Wirkstoffen zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit) dokumentiert sind. In diesem Fall wurde offensichtlich nicht das Medikament für die durch eine falsche Behandlung aufgetretenen Folgen verantwortlich gemacht.

4. Der Fall Cerivastatin verdeutlicht erneut die komplexe Natur hochpotenter Arzneimittel. Aus Sicht der DPhG ist es nicht nachvollziehbar, wie man politisch vordergründig bewährte Kontrollmechanismen bei der Abgabe von Arzneimitteln lockern und statt der persönlichen Abgabe durch eine Apothekerin - einen Apotheker - den anonymen und kaum kontrollierbaren Vertrieb durch das Internet zulassen will."

Für die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft: Prof. Dr. Dr. Drs. h.c. Ernst Mutschler (Altpräsident der DPhG und EUFEPS) Prof. Dr. Theo Dingermann (Präsident der DPhG) Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz (Generalsekretär der DPhG)

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