Berichte

Klinische Pharmazie in Halle: Kooperation von Apotheker und Arzt

Am 21. Juni 2001, am Tag der Forschung der Universität Halle-Wittenberg, veranstaltete der Fachbereich Pharmazie ein Symposium zum Thema "Pharmazeutische Betreuung von Patienten: Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker im modernen Gesundheitswesen".

Die Intention dieser Veranstaltung war die zusammenfassende Darstellung verschiedener Lehrinhalte der Klinischen Pharmazie in Halle/Saale, wo bereits seit dem Studienjahr 1999/2000 Veranstaltungen in diesem Fach durchgeführt werden. Die Veranstaltung war von Prof. Dr. Hilde Spahn-Langguth unter Mitarbeit von Prof. Dr.Henning Schröder organisiert worden. Referenten aus den Bereichen Hochschule, Klinik und Industrie führten die Zuhörer (Pharmaziestudierende, Offizinpharmazeuten, wissenschaftliche Assistenten und Hochschullehrer, aber auch Gymnasiasten kurz vor der Berufswahl) in die Grundzüge von klinischer Pharmakokinetik und Pharmakotherapie ein, charakterisierten die Entwicklung und die Rolle der Klinischen Pharmazie in den USA in den letzten Jahren und zeigten auf, in welchen Feldern ein patientenorientiert ausgebildeter Pharmazeut gute Berufschancen haben kann.

Die Dekanin des Fachbereiches, Prof. Dr.Birgit Dräger, würdigte in ihrer Begrüßung die intensiven Bemühungen am Fachbereich Pharmazie, neue Lehrinhalte schon frühzeitig als fakultative Veranstaltungen in das Studium zu integrieren, um die Ausbildung der Studenten so innovativ wie nur möglich zu gestalten.

Der Sinn von Dosierungsschemata

Spahn-Langguth erläuterte die seit jeher komplementäre Funktion von Arzt und Apotheker in Bezug auf den Patienten. Die Klinische Pharmazie als neues Fach in Deutschland sollte nicht bzw. nicht nur theoretisch, sondern vielmehr ausgesprochen Praxis- und vor allem Patienten-orientiert gesehen werden. Dementsprechend hatten die bisherigen Veranstaltungen zur Klinischen Pharmazie in Halle z.B. die klinische Pharmakokinetik (mit Modellberechnungen zur Erstellung von Dosierungsschemata bei Normal- und Risikopopulationen und mit Fallbeispielen), Themen der Epidemiologie, Zytostatika-Herstellung und Industrie-relevante Forschungsmethoden in der Klinischen Pharmakologie, aber auch Seminare mit Vorstellung von Patienten und Stationsbesuchen zum Inhalt.

Spahn-Langguth hob hervor, dass z.B. wegen Organerkrankungen oder Übergewicht eine Modifikation des "normalen" Dosierungsschemas erforderlich sein kann. Auch die unzureichende Compliance von Patienten kann einen unzureichenden Therapieerfolg verursachen. Mithilfe von pharmakokinetischen Simulationen machte Spahn-Langguth dem Auditorium deutlich, welch großen Einfluss die regelmäßige Applikation eines Arzneistoffs auf dessen Blutspiegelkonzentration hat und wie schnell man bei Nichteinhalten des Applikationsschemas den therapeutischen Bereich verlassen kann.

Fallbeispiele der Pharmakotherapie

Schröder erläuterte das Lernen anhand von Fallbeispielen im Bereich der Pharmakotherapie; dabei stellt er den Patienten in den Mittelpunkt, um ihn optimal zu therapieren. Als Beispiel wählte er den Einsatz von Acetylsalicylsäure als Infarktprophylaxe bei einem Asthmapatienten. Hier hob er hervor, dass eine ASS-Gabe nur bei ASS-sensitiven Asthmatikern (sie überexprimieren das Gen für die Leukotrien-C4-Mutase) einen Anfall provozieren kann. Diese genetische Abweichung ist festzustellen bei ca. 10% der Bevölkerung. Hier muss der Therapeut - z.B. mit einer Recherche in den Datenbanken des NIH (National Institute of Health) - nach Alternativen suchen.

Bessere Anwendung der Arzneimittel

Prof. Dr. Hartmut Derendorf (University of Florida, Gainesville) verdeutlichte dem Auditorium, dass die Miteinbeziehung des Pharmazeuten in die Arzneimitteltherapie eine Verbesserung des Therapieerfolges und eine signifikante Kostenreduktion ermöglicht. So konnte bei Leukämie-Patienten durch eine bessere Anwendung der Arzneimittel (ohne neue Wirkstoffe) in den letzten 40Jahren eine deutliche Erhöhung der Überlebensrate erzielt wurde. Arzneimittelbezogene Probleme in Altersheimen führen - so Derendorf - zu zusätzlichen Kosten, die höher liegen als die Arzneimittelkosten selbst. Derendorf wies auch darauf hin, dass dieser Aspekt in Deutschland in naher Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird, da aufgrund der demographischen Entwicklung der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung deutlich zunehmen wird.

Doping mit "Aufbaunahrung"

Der Dopingspezialist Prof. Dr. Wilhelm Schänzer (Institut für Biochemie, Sporthochschule Köln) referierte über Nahrungsergänzungsmittel, gesetzliche Richtlinien, Definitionen und Deklarationen sowie das Vorkommen von nicht deklarierten Inhaltsstoffen in "Aufbaunahrung", die in Zusammenhang mit der routinemäßig an seinem Institut (IOC-akkreditiertes Institut) durchgeführten Dopinganalytik von Bedeutung sein können. Aufgrund von Kontaminierungen bei Nahrungsergänzungsmitteln waren Urinproben z.B. Nandrolon-positiv.

Interessant ist die Tatsache, dass ca. 95% der Hochleistungssportler Asthmapatienten sind, die mit bestimmten b2-Sympathomimetika behandelt werden dürfen. Denn fast alle Substanzen aus dieser Gruppe stehen aufgrund ihrer anabolen Wirkung auf der Doping-Liste. Auch bei Substanzen, die neuerdings unterstützend im Leistungssport eingesetzt werden (wie das Kreatin), wird derzeit die Aufnahme in die Doping-Liste geprüft.

Beispiel Dermatopharmazie

Oberarzt Dr. Johannes Wohlrab (Universitätshautklinik, Halle/S.) erläuterte seine Vorstellungen von einer Zusammenarbeit von Arzt und Apotheker in eindrucksvoller Weise. Er sieht die Zukunft des kompetenten Pharmazeuten in einer intensiveren Kooperation mit dem Mediziner und ist der Überzeugung, dass der Offizinapotheker gerade auf dem Gebiet der Dermatopharmazie gut ausgebildet sein muss. Der Apotheker sollte hier die Möglichkeiten und Grenzen einer kompetenten Beratung zu kennen.

Wohlrab stellte u.a. neue Erkenntnisse zum Thema "Sonnenschutz" vor, die belegen, dass intensiver Lichtschutz mit hohen Lichtschutzfaktoren zwar vor Sonnenbrand, nicht aber vor Hautkrebs zu schützen scheint. Daher lautet derzeit seine Maxime, dass nichts über den textilen Sonnenschutz geht.

Wohlrab führt an der Universität Halle zusammen mit Prof. Dr.W. Wohlrab Vorlesungen und immer "ausgebuchte" Seminare für Pharmazeuten durch, die nicht nur aufgrund ihres informativen Charakters (z.B. mit Vorstellung von Patienten), sondern auch aufgrund der Vermittlung einer gewissen Berufsethik von den Studierenden sehr positiv beurteilt werden.

Pharmakokinetik immer wichtiger

Dr.Stefan Bahlbach (Aventis, Frankfurt) zeigte in seinem Referat zunächst die vielfältigen Berufsperspektiven für gut ausgebildete Pharmazeuten, um dann auf die Perspektiven in der pharmazeutischen Industrie einzugehen. Neben den Aufgabenbereichen eines Herstellungs- und Kontrollleiters ging Bahlbach insbesondere auf die immer noch zunehmende Bedeutung der Pharmakokinetik in Präklinik und Klinik ein, sodass ein umfassendes Grundverständnis der Studierenden auf diesem Gebiet essenziell ist.

In der abschließenden Diskussion war man sich einig, dass das Berufsbild des Pharmazeuten und sein Verhältnis zum Arzt zukünftig neu definiert werden kann und muss. Angesichts der Finanzierungsprobleme in unserem Gesundheitssystem scheint eine stärkere Einbindung des Pharmazeuten in die Pharmakotherapie und die Compliance-Überwachung ein vernünftiger Weg zur Reduktion der Therapiekosten zu sein. Das Beispiel USA, wo man uns in dieser Hinsicht allerdings viele Jahre voraus ist, belegt, dass dies ein prinzipiell gangbarer Weg ist. Auch von den Studierenden in Halle wird die neue Orientierung der Pharmazie zu den Hallenser Kliniken mit gemeinsamen, derzeit noch fakultativen Veranstaltungen mit Begeisterung aufgenommen.

Bemerkenswert ist neben dem Engagement der Studierenden in diesem Zusammenhang laut Spahn-Langguth die spontane Bereitschaft unserer Kliniken, an der Ausbildung von Pharmaziestudierenden mit gemeinsamen Veranstaltungen (Vorlesungen, Seminaren mit Vorstellungen von Patienten, Besuch von Bettenstationen) mitzuwirken.

Kastentext: Ausgezeichnet

Dem Pharmazeuten Lars Brichta (Jg. 1977; 2.Staatsexamen 2000) wurde am 21.Juni 2001 in der Abschlussveranstaltung zum Tag der Forschung an der Martin-Luther-Universität in Halle/S. das Luther- Stipendium verliehen, das vom Verein der Freunde und Förderer der MLU und dem Rektorat der Universität als Promotionsstipendium an besonders begabte Studierende in Halle vergeben wird. Lars Brichta, der während seines Studiums aufgrund seiner besonderen Leistungen bereits in die Studienstiftung des Deutschen Volkes aufgenommen worden ist, hat 2000/2001 zusätzlich in der Arbeitsgruppe von Frau Prof. Spahn-Langguth (in Kooperation mit der Firma Novartis in Basel) eine Diplomarbeit auf dem Gebiet der präklinischen MS-Analytik und Pharmakokinetik angefertigt (Abschluss: Diplompharmazeut) und wird nach Beendigung des 3. Ausbildungs- und Prüfungsabschnittes Ende 2001 zu einem Forschungsaufenthalt am National Institute of Health (NIH) in Bethesda gehen.

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