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Arzneistoffentwicklung: Mit Bioinformatik zu neuen Leitsubstanzen

Die pharmazeutische Industrie ist fortlaufend an neuen Arzneistoffen interessiert. Einen Einblick in die aktuelle Entwicklung von Leitsubstanzen gewährte Prof. Dr.Martin Schneider, Schering AG, Berlin, im Rahmen des Pharmazeutischen Kolloquiums am Institut für Pharmazie der Universität Greifswald.

Der Weg zu einer gewünschten Leitsubstanz verlief bislang nach dem erprobten Schema Ideefindung - Synthese - In-vivo-Testung mit anschließender Strukturoptimierung. Da diese Wirkstoffentwicklung durchschnittlich zehn bis zwölf Jahre in Anspruch nimmt und 400 bis 900 Millionen US-Dollar kostet, bemüht man sich durch den Einsatz von modernen Technologien, Zeit und Kosten zu sparen.

Die heutige Vorgehensweise, so Schneider, beginnt mit den Angriffsstellen für Arzneistoffe (targets). Nach der Target-Identifizierung und -Validierung fährt sie mit der Leitstrukturfindung und -optimierung fort und mündet in die präklinische Phase, die die ersten pharmakokinetischen und toxikologischen Daten liefert. Pharmakokinetischen Daten kommt heutzutage ein hoher Stellenwert zu, da 30 Prozent geeigneter Leitsubstanzen wegen einer ungünstigen Pharmakokinetik nicht weiter verfolgt werden können.

Insgesamt ist es notwendig, neue Schlüsseltechnologien zu implementieren und interdisziplinäre Arbeitsgruppen zur Bündelung des Wissens zu schaffen (technology platforms). In diesem Zusammenhang spielt die Bioinformatik eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur bei der Sequenz-, Expressions- und Mutationsanalyse, sondern auch bei der dreidimensionalen Strukturanalyse. Die Grundlage bilden hierbei umfangreiche und gut organisierte Datenbanken.

Affymetrix-Technologie

Bei der Target-Identifikation greift man zum Beispiel auf die bewährte Affymetrix-Technologie zurück, die mit Hilfe von Oligonucleotiden eine gleichzeitige Analyse differenzieller Genexpression von Tausenden von Genen auf einem Chip ermöglicht. Ein solcher ca. 2,5 cm² messender Chip fasst zur Zeit etwa 12000 ausgewählte Gene, die im Hause des Referenten nach den Schwerpunkten Tumorerkrankungen, Diagnostik und Target-Familien erfolgversprechender Proteasen wie Kinasen, Phosphatasen und G-Proteine eingeteilt sind. Die Genexpressionsanalyse erlaubt es, zahlreiche neue Targets zu finden, sie zu klassifizieren und unerwünschte Effekte vorherzusagen. Die Auswahl des Targets orientiert sich an seiner klinischen Relevanz.

HRTF stat ELISA

Liegt ein validiertes Target vor, ist es notwendig, auf dem Weg zur neuen Leitstruktur ein Assay zu entwickeln. Dabei wird das altbekannte ELISA wegen der zahlreichen Arbeitsschritte nicht mehr verwendet, man greift auf effizientere Systeme wie HTRF (Homogeneous time-resolved fluorescence) zurück. Dieses Assay erfordert keine Trennungsverfahren und findet ausschließlich in der Lösung statt. Die Targets sind mit Europiumcryptat und mit quervernetztem Phycobiliprotein beschichtet, die einen Fluoreszenz-Resonanzenergie-Transferkomplex bilden.

Auf diese Weise lassen sich 200000 Substanzen in zwei Wochen testen und idealerweise auf 500 Verbindungen einschränken. Von diesen 500 aktiven Stoffen verbleiben bei einem zweiten, eingehenderen Screening in der Regel nicht mehr als fünf Strukturen für weitere Optimierungen. Bei dem High-Throughput-Screening wird auf bereits bestehende Substanzsammlungen zurückgegriffen. Mittlerweile stehen dabei viele Firmen vor dem Problem, dass ein Viertel bis ein Drittel der gelagerten Substanzen zersetzt oder nicht eindeutig gekennzeichnet ist.

Schneider wertete die Bioinformatik und die Strukturbiologie als neue, wichtige Technologien, die für die pharmazeutische Industrie in Zukunft verstärkt auf dem Wege der Entwicklung von Leitstrukturen von Interesse sein werden.

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