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Fortbildungsakademie der Apothekerkammer Schleswig-Holstein: Morbus Parkinson: G

Morbus Parkinson ist eine vergleichsweise gut erforschte neurologische Erkrankung, gegen die eine Vielzahl von Arzneimitteln zur Verfügung steht. Gerade dieses differenzierte Angebot erfordert ein gutes Hintergrundwissen, welche Substanz unter welchen Bedingungen einzusetzen ist. Eine bestens strukturierte Übersicht zu diesem Thema vermittelte Prof. Dr. Günther Deuschl, Kiel, während seines spannenden Vortrages für die Akademie für pharmazeutische Fortbildung und Qualitätssicherung der Apothekerkammer Schleswig-Holstein am 7. Juni 2001 in Kiel. Er stellte außerdem das hochinnovative und vielversprechende Verfahren der stereotaktischen Operation für pharmakologisch austherapierte Parkinson-Patienten vor.

Als Hauptsymptom des Morbus Parkinson fällt die Akinese auf, eine Bewegungsverlangsamung, die typischerweise zunächst einseitig zu abgehackten Bewegungen führt. Hinzu kommen meistens Rigor, d.h. eine Muskelsteife, die den Bewegungen einen Widerstand entgegensetzt, und Tremor, das bekannte Zittern in Verbindung mit auffallend kleinen Schritten. Das Zittern unterscheidet sich als Ruhetremor deutlich vom vergleichsweise harmlosen Alterszittern, das nur in Bewegung auftritt. Außerdem verschlechtert sich beim Morbus Parkinson die Standfestigkeit, d.h. die Patienten fallen um, wenn sie angestoßen werden.

Etwa 75% der Patienten mit einem solchen Symptomenkomplex leiden an idiopathischem Morbus Parkinson. Die restlichen 25% der Patienten, deren Symptome auf diese Krankheit schließen lassen, verteilen sich auf eine ungeheure Vielzahl der verschiedensten anderen neurologischen Erkrankungen. Daher ist vor der Therapie auch bei scheinbar eindeutigen Symptomen unbedingt eine neurologische Abklärung erforderlich.

Morbus Parkinson wird durch die Degeneration von Zellen in der Substantia nigra verursacht. So entsteht ein Mangel am Neurotransmitter Dopamin, und dopaminerge Synapsen gehen zugrunde. Mit dieser Erkenntnis wurde erstmals in der Geschichte der Neurologie ein Transmitterdefizit als Ursache einer Erkrankung identifiziert. Doch wird neuerdings diskutiert, dass auch Veränderungen in anderen Hirnarealen stattfinden.

Therapie: Dopaminmangel ausgleichen

Um den Dopaminmangel auszugleichen, wird L-Dopa gegeben. Dies überwindet die Blut-Hirn-Schranke und wird im zentralen Kompartiment zu Dopamin umgewandelt. Dies stimuliert die verbliebenen Synapsen. Zusätzlich wird ein peripher wirksamer Decarboxlase-Hemmstoff gegeben, der die Umwandlung von L-Dopa zu Dopamin in der Peripherie und damit schwerwiegende Nebenwirkungen verhindert. Mittlerweile ist L-Dopa nur noch in fixer Kombination mit einem Decarboxylase-Hemmstoff im Handel.

Einen neuen Therapieansatz stellen die COMT(Catechol-O-methyltransferase)-Inhibitoren dar, im Handel ist nur der Wirkstoff Entacapon. Dies hemmt den Abbau des Dopamins zu 3-Methyldopamin und erhöht damit seine Verfügbarkeit. Dieses Therapiekonzept ist nur in Verbindung mit der Gabe von L-Dopa wirksam. Doch werde dies nach Erfahrung von Deuschl gelegentlich übersehen. Daher sei bei solchen Verordnungen die besondere Aufmerksamkeit der Apothekerschaft gefragt. Außerdem sollte auf die gelbgrünliche Färbung des Urins durch diese Medikation hingewiesen werden.

Dopamin-Agonisten

Eine alternative Therapie ohne L-Dopa stellen die Dopamin-Agonisten dar. Neben den lange bekannten Klassikern wie Bromocriptin und Lisurid stehen inzwischen einige neue – erheblich teurere – Agonisten zur Verfügung. Nach Einschätzung von Deuschl haben die bisherigen Studien nur geringfügig bessere Wirkungsqualitäten der neuen Substanzen gezeigt, entscheidend sei vielmehr ihre wesentlich längere Wirkungsdauer. Das Extrem bildet Cabergolin mit 36 Stunden Wirkdauer gegenüber Lisurid mit zwei Stunden.

Als bedeutsame Nebenwirkungen können sowohl L-Dopa als auch Dopamin-Agonisten zu einer ausgeprägten Hypotonie und Müdigkeit führen. Besonders jüngere Patienten reagieren in dieser Hinsicht empfindlich, sodass das Medikament sehr langsam aufdosiert werden sollte. Außerdem treten relativ häufig gastrointestinale Symptome auf, z.B. Durchfall.

Weitere Konzepte ohne L-Dopa

Eine schon lange bekannte Alternative bildet Amantadin, das jedoch erheblich schwächer wirkt als L-Dopa oder die Dopamin-Agonisten. Amantadin wird zudem intravenös bei der akinetischen Krise eingesetzt. Auch für Amantadin konnte kürzlich der Wirkungsmechanismus im Rahmen der glutaminergen Signalübertragung aufgeklärt werden. Es gilt als relativ gut verträglich, bei einigen Patienten treten jedoch schwerwiegende Beinödeme auf. In diesen Fällen sollte die Therapie abgesetzt werden. Daneben werden mitunter Anticholinergika zur Therapie eingesetzt. Diese können jedoch Gedächtnisstörungen und Verwirrtheitszustände auslösen. Besonders bei älteren Patienten sollte diese Substanzklasse daher mit großer Vorsicht verwendet werden.

L-Dopa-Gabe möglichst lange hinauszögern

Insgesamt erlaubt dieses vielfältige pharmakologische Arsenal zumeist eine gute individuelle Einstellung der Patienten. Gut eingestellte Patienten haben eine weitgehend unveränderte Lebenswartung gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt. Sie sollten bis zum fünften Jahr der Erkrankung im Alltagsleben nicht durch ihre Bewegungsabläufe zu erkennen sein. Wer im Alter von 50 Jahren erkrankt, sollte über 20Jahre geistig und körperlich beweglich erhalten werden können. Im höheren Alter droht eine Bradyphrenie, d. h. eine Verlangsamung der Gedanken, bei der das Denkvermögen aber erhalten bleibt. Größere therapeutische Schwierigkeiten ergeben sich dagegen eher bei Patienten, die in jüngerem Alter erkranken.

Obwohl L-Dopa eine kausale Therapie darstellt, sollte dies in der Frühphase der Erkrankung nicht eingesetzt werden. Dies würde schnell eine gute Einstellung ermöglichen, aber auf Kosten erheblicher Komplikationen nach einigen Jahren. Vermutlich macht die schnelle Verfügbarkeit größerer Mengen Dopamin das System überempfindlich, doch sind die Zusammenhänge umstritten. Deuschl warnte eindringlich vor einem frühzeitigen Einsatz von L-Dopa. Daher haben auch die erwähnten weniger stark wirksamen Substanzen große Bedeutung für die Therapie, auch das relativ schwache Amantadin.

So können Patienten zumeist über drei Jahre gut ohne L-Dopa behandelt werden. In Studien wurde durch frühzeitigen Einsatz von Dopamin-Agonisten der Einsatz von L-Dopa auf bis zu fünf Jahre nach Krankheitsbeginn hinausgezögert.

Vielfältige Komplikationen

Im Laufe der Zeit entwickeln die Patienten jedoch schwerwiegende Fluktuationen, d.h. sie springen zwischen Akinese und Dyskinesien hin und her. In der Akinese-Phase sind sie unbeweglich, bei Dyskinesien zeigen sie vielfältige unkoordinierte Bewegungen, bei denen sie sogar aus dem Bett fallen können. Diese Zustände können mehrmals täglich abwechseln. Beim Auftreten solcher Komplikationen muss die Therapie mit L-Dopa einsetzen, die frühzeitige Gabe fördert aber gerade diese Komplikationen.

Meist beginnen die Störungen am Abend, im weiteren Verlauf immer früher im Tagesablauf. Dann sind die Einnahmeintervalle zu verkürzen. Wenn immer mehr Synapsen untergehen, schwindet auch die Speicherkapazität für das exogen zugeführt L-Dopa bzw. das daraus gebildete Dopamin. Dann bietet sich der Einsatz von Entacapon an, das den Abbau hemmt. So lässt sich der Blutspiegel von Dopamin glätten. In dieser Phase kommt auch die lange Wirksamkeit der neueren Dopamin-Agonisten bei vielen Patienten zum Tragen. Aufgrund neuester Erkenntnisse soll Amantadin die Dyskinesien sogar um 60 bis 80% vermindern können, sofern es vertragen wird.

Bei fortschreitender Erkrankung kommen auch Halluzinationen und Psychosen vor. Dies beginnt mit besonders lebhaften, bunten oder grausamen Träumen, über die die Patienten berichten. Daher sollten sie ausdrücklich hiernach befragt werden. Anfangs können die Patienten die Halluzinationen noch als unwirklich beschreiben, später kann sich dies zu einer kaum erträglichen Belastung für die Angehörigen steigern.

Zur Therapie dieser Psychosen dürfen keinesfalls klassische Antipsychotika, wie beispielsweise Haloperidol, eingesetzt werden, da diese als Dopamin-Antagonisten wirken. Deuschl forderte die Apotheker nachdrücklich auf, bei Verordnungen von Antipsychotika für Parkinson-Patienten zu intervenieren. Zur Therapie komme hier derzeit nur Clozapin in Betracht, wobei die Dosierung geringer als bei klassischen Psychosen ist. Das erforderliche umständliche Blutbild-Monitoring ist dabei in Kauf zu nehmen.

Weitere Probleme im Zusammenhang mit Morbus Parkinson sind typischerweise Verstopfung, Hypotonie und Störungen der Sexualität. Bei Verstopfung bieten sich Macrogol-Zubereitungen an, bei Potenzstörungen ist Sildenafil auch für Parkinson-Patienten unter den üblichen Anwendungsbeschränkungen einsetzbar. Die Hypotonie kann mit Fludrocortison behandelt werden.

Ultima ratio: die stereotaktische Operation

Trotz der vielfältigen Möglichkeiten der Pharmakotherapie sind manche Patienten nach längerem Krankheitsverlauf nicht mehr befriedigend einstellbar. Dann kann eine stereotaktische Operation helfen, doch das Konzept befindet sich derzeit noch im Versuchsstadium. In Deutschland hat die Universität Kiel eine zentrale Funktion bei der Erforschung dieses Verfahrens. Seit 1998 wurden dort 45 Eingriffe vorgenommen. Ziel des Projektes ist, das Operationsverfahren zur Routine zu entwickeln, was voraussichtlich noch etwa zehn Jahre dauern dürfte.

Bei der etwa 12stündigen Operation werden den Patienten bei Bewusstsein Elektroden an ausgewählte Stellen des Gehirns implantiert. Diese können später von außen stimuliert werden. Wenn die Operation gelingt, können sogar pharmakologisch austherapierte Patienten mit schwersten Komplikationen wieder arbeitsfähig und rund um die Uhr weitgehend normal beweglich werden. Dabei werden weiterhin geringe Dosen L-Dopa verabreicht.

Vor einer solchen Operation sollte ein Patient über wenigstens zwölf Jahre behandelt worden sein. Erfolge sind nur bei Patienten möglich, die vor der Operation wenigstens noch für einige Minuten auf eine L-Dopa-Gabe ansprechen. Die weitere Auswahl von Patienten, die von einer solchen Operation profitieren könnten, erfordert derzeit noch ein stationäres Screening. Ein weiteres Hindernis bildet der schwerwiegende Eingriff selbst. Doch sind die bisherigen Erfolge eindrucksvoll. Langzeiterfahrungen liegen nicht vor, da die Methode weltweit erst seit sieben Jahren angewendet wird.

Kastentext: Das Wichtigste in Kürze

  • Etwa 25% der Patienten mit typischen Parkinson-Symptomen haben keinen Morbus Parkinson.
  • Entacapon ist nur in Verbindung mit L-Dopa wirksam.
  • Moderne Dopamin-Agonisten zeichnen sich besonders durch ihre lange Wirkungsdauer aus. Dies ermöglicht eine Stabilisierung von Patienten mit Fluktuationen im Tagesverlauf.
  • Die Gabe von L-Dopa sollte möglichst lange hinausgezögert werden, um Spätkomplikation ebenfalls hinauszuzögern.
  • Gegen Halluzinationen oder Psychosen bei Parkinson-Patienten dürfen keinesfalls klassische Antipsychotika mit Dopamin-antagonistischer Wirkung genommen werden. Clozapin bietet eine Alternative.
  • Die stereotaktische Operation befindet sich derzeit noch im Versuchsstadium, verspricht aber auch bei pharmakologisch nicht mehr einstellbaren Patienten gute Erfolge.

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