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Freier Wettbewerb oder nicht? Kommentar

Politiker und Krankenkassen behaupten immer wieder, Arzneimittel aus dem Internet seien billiger als in der Apotheke. Aber stimmt das überhaupt? Werden die Kosten durch den umständlichen Versand geringer? Natürlich nicht, die Kosten steigen sogar - aus Sicht der Apotheke. Nicht die Kosten sind geringer, sondern die Preise - und das ist ein Riesenunterschied! Denn die Preise haben nichts mit dem Internet zu tun, sondern mit der Arzneimittelpreisverordnung, die im Ausland nicht gilt. Das Internet ist nur das Instrument, um die deutschen Regeln zu umgehen. Mit dem Telefon ginge dies genauso gut, nur eben ohne das medienwirksame www-Image. Wer also als Politiker die Bestellung bei ausländischen (Internet-)Apotheken propagiert, fordert zur Umgehung von Gesetzen auf, die er selbst oder seine Parteifreunde mal geschaffen haben.

Da wäre es doch zumindest die sauberere Lösung, die Gesetze zu ändern. Dann könnte jede deutsche Apotheke auch billige Rosinen anbieten. Die wären dann sogar noch günstiger als von der Internet-Apotheke im Ausland, die hohen Kosten für den Versand entfielen ja. Im Gegenzug müssten billige und seltene Arzneimittel teurer werden. Wer wollte dann noch zu nicht kostendeckenden Festbeträgen liefern? Oder sich für ein paar Mark im Notdienst ärgern lassen? Nein, der Schlüsselservice oder der Abflussnotdienst für etliche hundert Euro wären die Vorbilder. Sollen die Politiker doch erklären, was freier Wettbewerb bedeutet!

Apropos freier Wettbewerb, gilt der überhaupt im Gesundheitswesen? Der Waren- und Dienstleistungsverkehr ist in der EU frei, es gilt europaweiter Wettbewerb. Die Sozialsysteme unterliegen dagegen dem Subsidiaritätsprinzip und sind Sache der Mitgliedstaaten. Was ist denn nun mit den Arzneimitteln? Sind sie frei handelbare Waren oder Teil der Sozialsysteme? Beides zusammen geht nicht - und genau das ist das zentrale Problem. Wenn die bestehenden Sozialsysteme Vorrang vor dem freien Warenverkehr haben sollen, müssten alle EU-Länder gemeinsam im gegenseitigen Interesse Aktivitäten á la DocMorris rigoros unterbinden. Wenn aber der freie Wettbewerb mit Waren und Dienstleistungen wichtiger sein soll als die nationalen Sozialsysteme, dürfte es keine Arzneimittelpreisverordnung geben - und keine Festbeträge und keine national abgeschotteten Krankenversicherungen, usw. Konsequent zu Ende gedacht dürfte es dann überhaupt keine "gesetzlichen" Versicherungen und auch keine nationalen Gesundheitsdienste wie in Großbritannien oder Dänemark mehr geben, sondern ausschließlich freien Wettbewerb privater Krankenversicherungen. Krankenkassenvertreter, die freien Wettbewerb fordern, machen sich damit zu allererst selbst überflüssig.

Das Problem betrifft also keineswegs nur die Apotheken. Darum brauchen wir eine klare Aussage zur Priorität: Was geht vor, wenn Wettbewerb und Sozialsysteme kollidieren? Die Entscheidung darüber liegt nicht in Berlin. Auch die europäischen Gerichte sind hier überfordert, denn die entscheiden nur über Einzelfälle. Außerdem ist dies keine juristische, sondern eine politische Frage, sogar eine zentrale Frage der europäischen Zukunft: Und die kann nur die europäische Politik entscheiden. Wir brauchen eine klare Regel für ganz Europa! Darum mein Rat: Sprechen Sie mit Ihrem Europaabgeordneten!

Thomas Müller-Bohn

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